Von den wirklichen Problemen wirklicher Menschen

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Die Auseinandersetzung mit der „Deutschen Ideologie“ macht Fortschritte. Allerdings muss dieser Schatz erst mühsam aus Lenin-Stalinschem Schutt ausgegraben werden.
Es ist frappierend wie treffend Dostojewskij mit Lebedev, Keller u.a. den „bolschewistischen Geist“ beschreiben hat !
Die neuen Kapitel:

Von den wirklichen Problemen wirklicher Menschen
„Die Althegelianer hatten Alles begriffen, sobald es auf eine Hegelsche logische Kategorie zurückgeführt war. Die Junghegelianer kritisierten Alles, indem sie ihm religiöse Vorstellungen unterschoben oder es für theologisch erklärten. Die Junghegelianer stimmen mit den Althegelianern überein in dem Glauben an die Herrschaft der Religion, der Begriffe, des Allgemeinen in der bestehenden Welt. Nur bekämpfen die Einen die Herrschaft als Usurpation, welche die Andern als legitim feiern.
Da bei diesen Junghegelianern die Vorstellungen, Gedanken, Begriffe, überhaupt die Produkte des von ihnen verselbständigten Bewußtseins für die eigentlichen Fesseln der Menschen gelten, gerade wie sie bei den Althegelianern für die wahren Bande der menschlichen Gesellschaft erklärt werden, so versteht es sich, daß die Junghegelianer auch nur gegen diese Illusionen des Bewußtseins zu kämpfen haben. Da nach ihrer Phantasie die Verhältnisse der Menschen, ihr ganzes Tun und Treiben, ihre Fesseln und Schranken Produkte ihres Bewußtseins sind, so stellen die Junghegelianer konsequenterweise das moralische Postulat an sie, ihr gegenwärtiges Bewußtsein mit dem menschlichen, kritischen oder egoistischen Bewußtsein zu vertauschen und dadurch ihre Schranken zu beseitigen. Diese Forderung, das Bewußtsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d.h. es vermittelst einer andren Interpretation anzuerkennen. Die junghegelschen Ideologen sind trotz ihrer angeblich »welterschütternden« Phrasen die größten Konservativen. Die jüngsten von ihnen haben den richtigen Ausdruck für ihre Tätigkeit gefunden, wenn sie behaupten, nur gegen »Phrasen« zu kämpfen. Sie vergessen nur, daß sie diesen Phrasen selbst nichts als Phrasen entgegensetzen, und daß sie die wirkliche bestehende Welt keineswegs bekämpfen, wenn sie nur die Phrasen dieser Welt bekämpfen.“
[Marx: Die deutsche Ideologie. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 49002- 49003 (vgl. MEW Bd. 3, S. 19-20) http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]

„Diese Forderung, das Bewußtsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d.h. es vermittelst einer andren Interpretation anzuerkennen.“ heißt es. Und man erkennt unschwer, dass dies der gleiche Gedanke ist, der in den „Thesen zu Feuerbach“ folgendermassen ausgedrückt wird:
„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.“
[Marx: Thesen über Feuerbach. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 48555
(vgl. MEW Bd. 3, S. 7) http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]

Daran erkennt man aber auch, dass Adorno Unsinn schreibt, wenn er seine „Negative Dialektik“ so beginnt:

„Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward. Das summarische Urteil, sie habe die Welt bloß interpretiert, sei durch Resignation vor der Realität verkrüppelt auch in sich, wird zum Defaitismus der Vernunft, nachdem die Veränderung der Welt mißlang. Sie gewährt keinen Ort, von dem aus Theorie als solche des Anachronistischen, dessen sie nach wie vor verdächtig ist, konkret zu überführen wäre. Vielleicht langte die Interpretation nicht zu, die den praktischen Übergang verhieß. Der Augenblick, an dem die Kritik der Theorie hing, läßt nicht theoretisch sich prolongieren. Praxis, auf unabsehbare Zeit vertagt, ist nicht mehr die Einspruchsinstanz gegen selbstzufriedene Spekulation, sondern meist der Vorwand, unter dem Exekutiven den kritischen Gedanken als eitel abzuwürgen, dessen verändernde Praxis bedürfte. Nachdem Philosophie das Versprechen, sie sei eins mit der Wirklichkeit oder stünde unmittelbar vor deren Herstellung, brach, ist sie genötigt, sich selber rücksichtslos zu kritisieren.“
[Band 6: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit: Einleitung. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 2830 (vgl. GS 6, S. 15)
http://www.digitale-bibliothek.de/band97.htm ]

Was Adorno nicht versteht: Es ging bei der Feuerbach-Kritik von Marx und Engels nie um die Verabschiedung von Theorie zugunsten von Praxis.
Es ging darum, sich von ideologischen Nebelbildungen ohne Bezug zum wirklichen Leben wirklicher Menschen zu verabschieden.
Diese Art von Philosophie ist und bleibt überholt.
Im übrigen ist es reichlich vermessen angesichts der riesigen Veränderungen, die die letzten 200 Jahre der Welt gebracht haben, Veränderungen, die ja erkennbar noch lange nicht an ihr Ende gekommen sind, zu postulieren:
„Das summarische Urteil, sie habe die Welt bloß interpretiert, sei durch Resignation vor der Realität verkrüppelt auch in sich, wird zum Defaitismus der Vernunft, nachdem die Veränderung der Welt mißlang.“
In den letzten 200 Jahren hat sich die Welt von Generation zu Generation so grundlegend verändert, dass die Behauptung „die Veränderung der Welt mißlang“ schon näher begründet werden müsste.
Und auch wenn nicht alles zum Besseren geworden ist, ist das Geschwätz von der „guten alten Zeit“ doch reichlich abgeschmackt und ahnungslos, wenn man die Lebensrealität z.B. des Durchschnittsdeutschen von heute mit der z.B. des beginnenden 18 Jahrhunderts vergleicht.
Dass die Welt, wie sie ist, noch weit davon entfernt ist, so zu sein, wie wir es wünschen, ist kein „Mißlingen“ von Veränderung, sondern nur ein Nachweis dafür, dass die grundlegende Veränderung der Welt, die Etablierung der Freundlichkeit, des Mitleidens aber auch Mitfreuens als Prinzip, kein Ein-Generationen-Projekt war und ist.
Jede Generation, die neu antritt, hat das Recht zu glauben, dass sie das Werk der Befreiung vollenden wird.
Keine Generation, die abtritt, und dieses Werk noch nicht vollendet hat, hat das Recht zu resignieren, weil die Befreiung nicht zur Gänze gelang.
Jede Generation hat die Pflicht so viele Schritte zu gehen wie ihr möglich ist.

Die Absage, die Marx den Philosophen erteilt, bezieht sich darauf, dass diese Philosophen mit Ideen gegen Ideen kämpfen statt die Realität in den Blick zu nehmen und zu einem vertieften Verständnis dieser Realität bei zu tragen.

Die Absage ist auch eine Absage an das Denken, das die Wahrheit im Allgemeinen sucht.
Während aber Adorno bis an sein Lebensende gebraucht hat um zu verstehen, dass es nur die Wahrheit des Besonderen, Einzelnen gibt, dass Abstraktionen bloße Hilfsmittel des Denkens sind, denen keine eigene Wahrheit zu kommt, ist genau dies der Startpunkt für die Beiden.

„Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen, keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen man nur in der Einbildung abstrahieren kann. Es sind die wirklichen Individuen, ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen wie die durch ihre eigne Aktion erzeugten. Diese Voraussetzungen sind also auf rein empirischem Wege konstatierbar.
Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen und ihr dadurch gegebenes Verhältnis zur übrigen Natur. Wir können hier natürlich weder auf die physische Beschaffenheit der Menschen selbst noch auf die von den Menschen vorgefundenen Naturbedingungen, die geologischen, orohydrographischen, klimatischen und andern Verhältnisse, eingehen. Alle Geschichtschreibung muß von diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen.
Man kann die Menschen durch das Bewußtsein, durch die Religion, durch was man sonst will, von den Tieren unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren, ein Schritt, der durch ihre körperliche Organisation bedingt ist. Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst.
Die Weise, in der die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, hängt zunächst von der Beschaffenheit der vorgefundenen und zu reproduzierenden Lebensmittel selbst ab. Diese Weise der Produktion ist nicht bloß nach der Seite hin zu betrachten, daß sie die Reproduktion der physischen Existenz der Individuen ist. Sie ist vielmehr schon eine bestimmte Art der Tätigkeit dieser Individuen, eine bestimmte Art, ihr Leben zu äußern, eine bestimmte Lebensweise derselben. Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie. Was sie sind, fällt also zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als auch damit, wie sie produzieren. Was die Individuen also sind, das hängt ab von den materiellen Bedingungen ihrer Produktion.
Diese Produktion tritt erst ein mit der Vermehrung der Bevölkerung. Sie setzt selbst wieder einen Verkehr der Individuen untereinander voraus. Die Form dieses Verkehrs ist wieder durch die Produktion bedingt.“
[Marx: Die deutsche Ideologie. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 49004 – 49006 (vgl. MEW Bd. 3, S. 20-21) http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]

Es ist ein hoher Anspruch, den sie stellen und dem sie sich stellen: Es soll um die wirklichen Probleme wirklicher Menschen gehen und nicht um irgendwelche „Gespenster“, irgendwelche Ideen, denen diese Menschen unterworfen sind oder sich unterwerfen sollen.
Die wirklichen Probleme wirklicher Menschen beginnen aber mit dem Essen und Trinken und damit wie man sich dieses beschaffen kann. Sie beginnen damit, aber sie enden damit nicht. Wir wollen nicht allein sein, wir wollen geliebt werden, mit allen Facetten, die Liebe haben kann und wir sorgen auch für andere, Kinder und Ältere zumal.
Wie wir uns die Mittel zum täglichen Leben beschaffen ist dabei das zentrale Problem jedes wirklichen Menschen. Und die verschiedenen Formen der gesellschaftlichen Kooperation, aber auch der Über- und Unterordnung, von Herrschaft und Knechtschaft sind prägend für uns und für unsere ganze Existenz.
Vor diesen Realitäten blamiert sich jede hehre Idee.

Der Mythos Proletariat

Auch die Idee eines Proletariats, das sich für die Befreiung der Menschheit opfert, ist eine solche hehre Idee.
Es ist ein zentraler Widerspruch im Denken von Marx und Engels, dass ihre konsequente Absage an alle hehren Ziele und Ideale, ihre konsequente Hinwendung zu den wirklichen Menschen und ihren wirklichen Interessen ausgerechnet die abgeschmackteste Hegelsche Idee, nämlich die vom irdischen Jammertal, von der Geschichte als Golgatha und der Erlösung durch die Geistwerdung, d.h. durch das Aufgehen im Weltgeist, das ausgerechnet diese Idee in beider Denken überlebt hat. Leicht säkularisiert zwar, mit dem Proletariat als Erlöser und dem Aufstieg eben diesen Proletariats aus den Niederungen einer unmenschlichen Existenz zu den Höhen des wahren Menschseins.
Das Proletariat als Idee, als Erlöser hat Generationen von Intellektuellen den Blick auf das wirkliche Proletariat, so wie es leibt, lebt und liebt konsequent verstellt. An seine Stelle ist ein Mythos getreten.
Dabei ist es ja nicht so, dass wir bzw. unsere Vorfahren in den letzten 150 Jahren nicht Teil eines weltweiten revolutionären Prozesses gewesen wären, bei dem bis heute kein Stein auf dem anderen blieb und von dem wir wissen, dass er bei Strafe unseres sonstigen Untergangs noch weiter gehen muss, bis wir mit uns selbst, aber auch mit unserer Mutter Erde versöhnt sind.
In diesem Prozess gibt es allerdings keinen Heiland. Auch keinen Heiland namens „Proletariat“. Wie viel Heil oder Unheil auf unsere Häupter kommt, ist Folge gemeinsamer Tat oder Untat.
Die Idee des Proletariats und seiner „Mission“ wurde in diesem Prozess die zentrale Einfallspforte für idealistisches Gewäsch, für eine Ideologie, die dem konkreten Proletarier seinen konkreten Anspruch auf ein möglicherweise nur kleines Glück im Namen der „großen Sache“ abspricht.
Sie wurde zur Einfallspforte für alle Arten reaktionärer Ideologien.
Wir sollten uns endlich fragen, welchen Interessen diese Ideologien tatsächlich gedient haben.

Das Konzept der zwei Revolutionen
„Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt.
Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose »bare Zahlung«. Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt.
Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.
Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt.
Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.
Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.
Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.
Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der einzelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltliteratur.
Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktions­instru­mente, durch die unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehn wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.
[Marx: Manifest der kommunistischen Partei. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 50062 -50066 (vgl. MEW Bd. 4, S. 464-466)
http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]

„ ..sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“ Und diese Welt ist die notwendige Voraussetzung dafür, dass danach folgende revolutionäre Veränderungen schließlich eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung hervorbringen.
Eine antikapitalistische Einheitsfront, bei der sich russische Bürokraten, chinesische Mandarine, deutscher Adel des Bodens und des Geistes und andere Repräsentanten feudaler Vergangenheit mit den Arbeitern gegen die Krämerseelen (wobei das Adjektiv „jüdisch“ nie weit ist) verbünden, war nie ihr Ziel.
Im Gegenteil: Dieses seltsame Klassenbündnis war in ihren Augen die Verkörperung der Konterrevolution.
Rosa Luxemburgs Ausruf „Wir sind wieder bei Marx !“ auf dem Gründungskongreß der KPD war ein tragischer Irrtum.
Der Kommunismus, so wie er sich im 20 Jahrhundert etablierte, hatte nicht mehr das primäre Ziel den Kapitalismus zu überwinden. Es ging vielmehr darum ihn in Ländern wie Rußland oder China gar nicht erst entstehen zu lassen.
Und hinter der sozialistischen Maske, der Maske des „Arbeiterführers“, verbargen sich nur die alten Herrenschichten, die vor allem gegen ihren ansonsten sicheren Untergang kämpften.
Ein Untergang, der weniger durch Panzer und Kanonen herbeigeführt wird als durch die beständige Maulwurfstätigkeit von Handel und Wandel.
Und so stehen wir am Ende des 20. und am Beginn des 21.Jahrhunderts vor der durch und durch paradoxen Situation, dass eine ganze Reihe untergegangener oder im Untergehen befindlicher feudaler Regimes für Sozialismus bzw. Kommunismus stehen.
In Syrien oder Nordkorea einschliesslich Vererbung der Führungsposition.
Durch diesen Maskenball gerieten auch die höchst realen, über den Kapitalismus hinaus weisenden Errungenschaften, die in der Diskussion gerne unter den Begriff „Sozialstaat“ subsummiert werden, in Gefahr und ins Rutschen.
Das wirkliche Proletariat mit seinen wirklichen Problemen hat daher gut daran getan dieser Art von „Sozialismus/Kommunismus“ konsequent den Rücken zu kehren. Und der Untergang des Sowjetreiches war daher für seinen Kampf ein Segen.
Allerdings erwiesen sich noch im Untergang die Protagonisten dieses „realen Sozialsmus“ als die wirklichen Feinde der arbeitenden Menschen.
Die Einbeziehung der chinesischen Bevölkerung in die kapitalistische Welt hat zusammen mit der Computerisierung die Konkurrenz unter der arbeitenden Bevölkerung weltweit maximal verschärft und das Proletariat in den bisher privilegierten entwickelten Ländern muss nun lernen, dass Solidarität mit den Armen und Schwachen dieser Welt auch im Interesse des eigenen Lohns, der eigenen Existenzbedingungen, unverzichtbar ist.
So vollendeten ausgerechnet die chinesischen Kommunisten den kapitalistischen Weltmarkt und wenn das chinesische Proletariat aus seiner gedrückten und unterdrückten Stellung heraus kommen soll, dann muss es auch in China die elementaren Rechte der bürgerlichen Revolution verwirklichen:
Rede-, Diskussions- und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Koalitionsrecht, das Recht beliebige Parteien zu bilden, freie, gleiche und geheime Wahlen.
Mit Hilfe dieser Rechte werden auch die chinesichen Arbeiter und Arbeiterinnen, wie überall auf der Welt, ihren Pariastatus überwinden können.
Das ist der Sinn, der in der „Deutschen Ideologie“ verkündeten Idee von der proletarischen Revolution als Vollenderin der bürgerlichen:
Das Proletariat, das Volk herrscht mittels des Wahlzettels.
Durch die Etablierung demokratischer Verhältnisse werden in der Tat die Massen zur Herrschaft gebracht.
Natürlich versuchen zunächst die herrschenden und die Wirtschaft kontrollierenden Eliten durch die Kontrolle über die ideologische Apparate, durch Einflussnahme im politischen Raum, bis hin zu direkter Korruption, ihre Herrschaft zu erhalten und demokratische Wahlen zum bloßen Spektakel verkommen zu lassen, natürlich leben die Spuren einer 5000jährigen Unterdrückung in unseren Gehirnen und Körpern weiter.
Vor allem die Unterdrückung der Frauen durch ihre Männer und die dazu gehörige devote, unterwürfige Haltung der Frauen ist uns gewissermaßen fast zur zweiten Natur geworden.
Die Brutalität und Rücksichtslosigkeit, die uns geformt hat, prägt auch unser Verhältnis zur Natur und zu jeglicher Kreatur in ihr.
Aber diese Mühen des Wandels sind kein Argument gegen den Wandel.
Sie zeigen nur, wie schwierig es ist und welche Anstrengung es kostet die über Jahrtausende gewachsene Sklavenmentalität hinter uns zu lassen und Freiheit nicht bloß zu postulieren, sondern tatsächlich zu leben.
Unsere Welt ändert sich jeden Tag und es liegt allein an uns, dafür zu sorgen, dass es eine Veränderung zum Besseren wird.
Die bürgerliche Revolution schafft mit der Demokratie die Voraussetzungen dafür, dass die Gesellschaft im Interesse des Volkes, der großen Mehrheit, verändert werden kann.
Diese Möglichkeiten dann auch wirklich zu nutzen, das ist der revolutionäre Prozess in dem wir uns gegenwärtig befinden.
Zu diesem Prozess gehört auch, dass die parlamentarische Form der Demokratie durch vielfältige Formen direkter Demokratie ergänzt werden muss.
Die Hoffnung auf den großen Knall, der alles ändert, ist vordemokratisch. Die Erwartung, dass Veränderungen nur im Schneckentempo vor sich gehen, ahnungslos. Demokratische Prozesse können langwierig und mühsam sein, aber wenn eine Mehrheit Veränderungen will, werden sich die Lokomotiven der Geschichte in Bewegung setzen und ein Land, einen Kontinent, die ganze Welt verändern.

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