42er-Fragen oder von der Suche des Magens nach dem letzten Grund

Myschkin_f0.48Die Version 0.48 kann nun als PDF runtergeladen werden: Myschkin_f0.48
Abweichend von den bisherigen Gepflogenheiten folgt nun nicht die gesamte Erweiterung, sondern nur ein Kapitel:

2. Der Sinn des Lebens

Eine dieser Fragen nach „Allem“ und, zwar die bei weitem populärste, ist die Frage „Warum lebe ich ?“. „Was für einen Sinn hat es, dass ich lebe ?“
Es ist eine durch und durch sinnlose Frage.
Das Leben braucht keinen Grund. Es ist sich Grund genug.
Das Leben braucht auch keine Rechtfertigung. Es ist dadurch gerechtfertigt, dass es ist.
Das Leben braucht keinen Sinn. Es trägt seinen Sinn in sich selber.
Schon das Leben einer Amöbe ist ein außerordentliches Wunder in der Kälte des Weltalls. Dass es Leben gibt, ist dieses Wunder. Es ist einer Natur abgetrotzt, die diesem Leben oft nicht freundlich gesonnen ist. Und es ist ein Prozess, der sich selbst stützt und verstärkt.
Jedes Menschenleben ist ein Teil dieses Lebensprozesses. Und jedes dieser Leben ist ein Wunder für und an sich.
Deswegen besteht der Sinn des Lebens darin dass wir leben.
Wenn trotzdem viele Menschen sich die „Sinnfrage“ stellen, dann liegt das
daran, dass wir sehr oft gelebt werden, statt zu leben.
Die unselige Tradition Menschen zu „stimmbegabten Werkzeugen“ zu degradieren ist zwar geschwächt, aber noch lange nicht endgültig gebrochen. Und solange das so ist, gibt es das „falsche Leben“.
Und indem wir gelebt werden, statt zu leben, stellt sich uns die Sinnfrage.
Dabei lenkt der Blick auf den Himmel nur von der hier auf Erden zu lösenden Aufgabe ab: Nämlich endlich frei zu sein.
Frei nicht von Bindungen oder Verpflichtungen, wenn wir für andere da sein wollen, aber frei davon, für andere da sein zu müssen.
Dass unser Leben seinen Sinn in sich selber und im Mitleben mit allem Leben um uns herum findet, ist deswegen ein Akt der Befreiung, der noch gelingen muss.

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Aktuelle Version als EBOOK

Ein erster Versuch die aktuelle Version auch als EBOOK zur Verfügung zu stellen:
Wir Myschkins Version F0.47 – Walter Altvater.epub

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Abschied von der Metaphysik

Die neue Version 0.47 kann nun heruntergeladen werden: Myschkin_f0.47
Eigentlich wollte ich das Kapitel über den Abschied von der Metaphysik erst abschliessen, bevor ich eine Version 0.47 veröffentliche.
Allerdings wird das Kapitel nun umfangreicher als geplant und nach Fertigstellung werde ich diese einleitenden Philosophie-Kapitel zu einem eigenständigen Exkurs zusammen fassen.
Das kann aber noch dauern. Vor allem den ziemlich grossmäuligen Schopenhauer zu lesen, fällt mir schwer. Wenn seine Wichtigtuerei auch nur halbwegs der Bedeutung seiner Gedanken entsprechen würde, wärs einfacher.
Im folgenden nun wie gewohnt das neue Kapitel:
8. Abschied von der Metaphysik
Metaphysik soll Wissen sein, das jeder Erfahrung voraus geht. Das einfach da ist. Für Kant war unsere Vorstellung von Raum und Zeit ein solches „Vorwissen“. Wir haben uns von einem solchen „ewigen“ Raum-Zeit-Verständnis längst verabschieden müssen. Deswegen ist es angebracht, dass wir die Metaphysik endlich dahin verabschieden, wo schon andere vormals mächtige Ideen ihren ewigen Frieden gefunden haben.
1 Vernunft und Verstand
Es ist wichtig an der Unterscheidung zwischen Vernunft und Verstand fest zu halten. Wobei unter Verstand im wesentlichen unser Denkapparat zu verstehen ist, der sich die Welt mittels Sprache und logischem Denken erschließt.
Die Vernunft repräsentiert dagegen die Gesamtheit unserer Fähigkeiten uns die Welt in unser Inneres zu holen. Vernunft ist Tun meint Hegel in seiner Vorrede zur Phänomenologie, aber das stimmt natürlich so nur für Leute, die wie er auf dem Kopf gehen. Alle Anderen haben dafür ihre Füße und gebrauchen haupt­sächlich ihre Hände zum Tun. Unsere mehr oder weniger entwickelte Vernunft ist der ständige Begleiter unseres Tuns.
D.h. unsere Hände sind eben nicht „geistlos“, wie überhaupt die Vorstellung eines getrennt über den Wassern schwebenden Geistes verkennt, dass sich Denken, Fühlen und Handeln nur in der Theorie auftrennen und vom Körper lösen lassen.
Insbesondere ist es falsch Erkenntnis nur in der Sprache zu verorten.
Die bekannte Sentenz: „Wovon man nicht reden kann, davon soll man schweigen !“ ist Unsinn.
Es passiert vieles in uns und mit uns, von dem wir auch wissen, von dem aber nur schwer oder prinzipiell gar nicht geredet werden kann.
Ein achthundert Jahre altes Gedicht von Walther von der Vogelweide „Unter der Linde“ handelt genau davon: Es erzählt uns, wie man von etwas redet, von dem man nicht reden kann (zitiert nach Wikipedia):
Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
Vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen
zuo der ouwe,
dô was mîn friedel komen ê.
Dâ wart ich enpfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin sælic iemer mê.
Kuster mich? Wol tûsentstunt:
tandaradei,
seht, wie rôt mir ist der munt.

Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
Des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
Bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken, wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir læge,
wessez iemen
(nû enwelle got!), sô schamt ich mich.Wes er mit mir pflæge,
niemer niemen
bevinde daz, wan er und ich,
und ein kleinez vogellîn –
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

„Wes er mit mir pflæge,“ darüber will sie niemand etwas erzählen. Aber genau deswegen können wir alle es uns sehr gut vorstellen.
Jede wortreiche Erklärung könnte die Schönheit dessen, wovon die Rede ist nur unzureichend wiedergeben.
Große Gefühle vertragen keine großen Worte. Trotzdem kann man von ihnen nicht schweigen. Wittgensteins Ratschlag würde die Dichter arbeitslos machen.
Dabei brauchen wir die Dichter um uns von dem zu erzählen, wovon man nicht reden kann, aber wovon man auch nicht schweigen darf.
Leben heißt handeln, heißt etwas tun.
Dieses Tun muss begleitet und vorausgeplant werden.
Dazu benützen wir die Gesamtheit dessen, was wir als Vernunft bezeichnen.
Es reicht dabei nicht, nur mit dem Verstand voraus zu denken. Wir müssen uns auch einfühlen können, in andere genauso, wie in neue Situationen.
Wir müssen blitzschnell, instinktiv reagieren oder langsam und sorgfältig nach langer Überlegung und entsprechender Beratung.
Dabei stehen wir mitten in den Widersprüchen des Lebens.
Ja wir können sagen: Alles Leben ist mit sich selbst im Widerspruch.
Identisch und gleichzeitig Nicht-Identisch zu sein ist sein Wesen.
Kommt der Stoffwechsel mit dem Außen zum Erliegen ist der Tod unvermeidbar.
Um zu leben und am Leben zu bleiben, bedient sich jeder Mensch auch seines Verstandes, wohl wissend, dass dies ein beschränkter Geselle ist.
Beschränkt schon dadurch, dass ihm die reiche weite Welt der Gefühle nur als Ahnung aufscheint und er oft rätseln muss, was ihm sein Bauch denn sagen will.
Beschränkt aber auch dadurch, dass manche Denkoperationen ihre eigenen Gesetze haben und ihr Recht fordern. So gehorcht das logische Denken dem Satz von der Identität. Leben ist aber beides: Identisch und Nicht-Identisch, die Identität erhält sich indem sie sich stückweise aufgibt.
Logisches Denken ist deswegen vom Leben und Lebendigen gereinigt.
Wenn Hegel, aber in seiner Nachfolge z.B. auch Marx oder Dewey von der „Logik der Sache“ reden, dann ist das falsch. Logik ist die Kunst des Folgerns.
Jedes Folgern endet aber am Widerspruch.
Nur wenn das Nicht-Identische fortwährend zum Identischen verdaut wird, kann das Folgern weitergehen.
Im Netz der Kausalitäten sind die Identitäten die Knotenpunkte und jede dominierende Nicht-Identität ein relativer Endpunkt, an dem die Kette gerissen ist.
Wesentlich für den Unterschied zwischen „vernünftig“ und „verständig“ ist das Verhältnis zum Widerspruch.
Logisches Denken muss Widersprüche eliminieren. Sie sind gewissermaßen Brüche in den kausalen Ketten (oder Risse im Kausal-Netz, durch das die Fische der Wahrheit davon schwimmen).
Dialektisches Denken bewegt sich im Widerspruch und durch den Widerspruch.
Widersprüche sind die Hot-spots an denen neue Ideen zur Oberfläche drängen.
Aber nicht nur neue Ideen drängen an die Oberfläche, denn Widersprüche durchziehen auch die Realität: Widersprüche sind der Ort an dem das Leben pulsiert.
Es sind die Brüche in der Identität. Dort wo das Ich ins Nicht-Ich übergeht ist der Widerspruch zu Hause. In zu beseitigen gelänge nur, wenn ich so, wie ich bin, für immer eingefroren werden könnte und trotzdem am Leben bliebe.
Jegliche Identität, gedacht als fortdauernd oder gar ewig, ist Illusion.
Sich zu erhalten, in dem man sich jeden Tag erneuert und ändert, ist der Widerspruch, der letzten Endes jede Form von Lebendigkeit begründet und durchzieht.
Geburt und Tod sind dabei die mächtigsten und elementarsten Wahrheiten.
Da Männer nicht gebären können, versuchen sie der eigenen Vergänglichkeit durch den Rekurs auf „ewige Wahrheiten“ zu entfliehen.
Ein leider viel zu früh verstorbener Freund, Klaus Schwarz, selbst ein Philosoph, postulierte, dass jegliches Philosophieren in der Angst vor dem Tod seinen wirklichen Grund hat.
Die „ewigen Ideen“ sind der Ersatz für das nicht existierende „ewige Leben“.
Das wirkliche ewige Leben, das durch den Zyklus von Geburt und Tod neuer Geburt und wieder Tod bestimmt ist, soll dagegen nur „irdischer Schein“ sein.
Dieses System „ewiger Wahrheiten“ und die Logik stützen und stärken sich von Geburt an gegenseitig, weil die „ewigen Wahrheiten“ der Logik eben so ewige Identitäten liefern. So können beide zusammen den Anspruch erheben mit der Wahrheit identisch zu sein.
Logisches Denken geht auf die Ewigkeit, dialektisches Denken kennt nur den ewigen Prozess des Werdens und Vergehens.
Der Widerspruch zwischen dialektischem und logischem Denken bildet selbst einen Hot-spot.
Dabei kann die Dialektik die wilden Ideen liefern, die dann mittels der Logik auf ihre Konsequenzen hin entwickelt werden müssen und dadurch zu beweisen oder zu widerlegen sind.
Das ergäbe ein viel fröhlicheres und fruchtbareres Paar als die Verheiratung der Logik mit „ewigen Wahrheiten“.
Hegels großer Irrtum liegt dagegen darin, dass er eine „dialektische Logik“ postulierte. Das unterstellt eine Folgerichtigkeit, die dem Leben fremd ist, einer Folgerichtigkeit, die in dieser Eindeutigkeit weder der unbelebten noch gar der belebten Natur zukommt. Auch nach Hegel findet man immer wieder die Idee einer „dialektischen Logik“ zuletzt als „negative Dialektik“. Dieser Ansatz ist aber falsch.
Die Dialektik sprengt logische und kausale Ketten, sie begründet keine.
2 Das „apriori“-Problem
Wenn wir etwas sehen und wissen sollen z.B. „dies ist ein Haus“ benötigen wir die Idee des Hauses zuvor in unserem Kopf, sonst sehen wir kein Haus.
Sowenig wir irgendein Haus sehen ohne die Idee des Hauses, sowenig sehen wir einen Baum ohne die Idee des Baums. Natürlich ist es Quatsch zu sagen der Baum benötige erst den Kopf eines Menschen um zu existieren, aber ohne die Baumidee existiert er nicht im Kopf.
Die Existenz einer Idee ist das apriori jeder Erkenntnis.
D.h. neue Erkenntnisse brauchen erstmal neue Ideen, sonst können sie gar nicht einsortiert werden.
Damit haben wir ein erstes „apriori“.
Dieses Apriori ist allerdings nicht historisch das erste. Unser ganzer Körper ist unser allererstes „apriori“.
Dabei führt es in die Irre, wenn wir uns diesen unseren Körper hierarchisch gegliedert vorstellen, bei dem dann über allem der Verstand thront und die Fäden zieht.
Diese falsche Vorstellung führt angesichts neuerer Ergebnisse der Hirnforschung zu sehr schrägen Diskussionen. Wenn festgestellt wird, dass meine Hand bereits unterwegs sein kann, bevor mein Kopf ihr sagt: „Mach Dich auf den Weg!“, dann ändert das überhaupt nichts daran, dass es meine Hand ist. Und deswegen ist und bleibt, was auch immer meine Hand tut, es meine Tat.
Würde sich diese Hand zusammen mit ihrer Schwester um den Hals eines anderen Menschen legen und zudrücken, so wäre ich doch nicht dadurch vom Mordvorwurf suspendiert, dass ich nachweisen kann, dass mein Verstand meinen Händen atemlos hinterher gerannt ist.
Vielleicht wird aus Mord Totschlag, weil mein Verstand definitiv abwesend war, aber ich bleibe verantwortlich.
Unser Denkvermögen ist kein separates, vom restlichen Körper strikt getrenntes Gebilde, sondern eine unserer vielen Fähigkeiten, die alle strikt an unsere Körperlichkeit gebunden sind und mit ihr untergehen.
Dieser unser Körper ist deswegen unser allererstes „apriori“, weil keine Erfahrung uns auch nur das Geringste lehren kann, wenn Verstand und Gefühl, kurz wir, wie wir sind, nicht dafür bereit sind.
Eine wesentliche Voraussetzung und damit das 2. „apriori“ dafür, dass uns Erfahrung etwas lehrt, ist das Vorhandensein passender Ideen. Sie bilden die Schubladen in die wir unsere Erfahrungen packen.
Und erst wenn eine Erfahrung uns nicht in Ruhe lässt, aber auch mit noch so roher Gewalt nicht in eine bereit liegende Schublade passt, werden wir empfänglich für neue Ideen und konstruieren neue Schubladen.
Dabei können wir eines sicher wissen: Keine Schublade wird jemals immer passen. D.h. neue Ideen eröffnen nicht nur neue Perspektiven, sie können auch alte verstellen. Das „Licht der Aufklärung“ kann auch blenden und verblenden.
Die Logik steht zwischen Körperlichkeit und Denkidee:
Einerseits ist logisches Denken so primitiv und technisch einfach zu installieren, dass vermutlich bereits der Fadenwurm ein veritabler Logiker ist. Er ist sich dessen aber nicht bewusst. D.h. unser Körper ist bereits ein versierter Logiker. Und gerade jene Abläufe bei uns, die quasi automatisch ablaufen, werden vermutlich über eine fest verdrahtete oder manchmal auch mehr oder weniger mühsam erlernte interne Logik gesteuert.
Andererseits entsteht Logik als Denkkonzept erst mit der eleatischen Philosophie. Das Problematische an dieser ganzen Richtung, die auch heute noch den philosophischen Diskurs zu beherrschen sucht, ist vor allem der Überlegenheitsanspruch:
Der Kopf herrscht über den Bauch, wie der Herr über den Knecht und unter beiden ist die Magd der Gefühle beiden gefügig.
Das Absurde an dieser Philosophie besteht darin, dass ausgerechnet dem primitivsten Teil unseres Denkapparats die höchste Wertschätzung entgegen gebracht wird.
Wir haben es somit mit mindestens 3 „Aprioris“ zu tun, die jeder Erfahrung vorausgehen:
1. Unserem Körper, der jede Erfahrung filtert und bewertet
2. Den in unserer Kultur vorgefundenen und von uns verinnerlichten Ideen, die uns den Ordnungsrahmen, aber auch einen weiteren Filter liefern, in den wir unsere Erfahrungen einsortieren können.
3. Der Logik, als einem wesentlichen Werkzeug des Denkens. Wobei Logik in zweierlei Form unser Denken begleitet:
Als körperliche Struktur, die es uns überhaupt erst ermöglicht Sinneseindrücke in verschiedene Arten von innerer Repräsentation zu überführen und als Idee in unserem Kopf, mit deren Hilfe wir die Welt ordnen.
Ideen ordnen nicht nur das, was wir erfahren, sie können auch so stark sein, dass sie verhindern, dass wir etwas erfahren. Sie formulieren gewissermaßen das Vor-Urteil, das unser Denken und unser Urteilen im voraus prägt. Das gilt auch und in ganz besonderem Masse für die Idee der Logik.
Vor diesem Hintergrund kann Philosophie nur dann Sinn machen, wenn sie sich mit der Fragwürdigkeit bestimmter Leitideen befasst.
Die zentrale Leitidee, mit deren Fragwürdigkeit wir uns befassen müssen, ist die Logik.
Eine Philosophie, die selbst heute noch, angesichts von Logik als industriellem Massenprodukt, nur der Logik huldigt, ist keine.

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Parcival: König der Frauen

Eine neue Version kann heruntergeladen werden:
Myschkin_f0.46
Diese Version enthält ein neues Kapitel und diverse Änderungen querbeet.
Das neue Kapitel kann man auch hier lesen:

Parcival: König der Frauen
Hinter manchen Märchen und Sagen stecken längst vergangene und vergessene gesellschaftlich Zustände. Sie sind der Widerhall verflossener Revolutionen und Konterrevolutionen.
Der Mythos vom Heiligen Gral und vom tumben Parcival, der sich erst bewähren muss um dann Gralskönig und damit Herrscher über Wales zu werden, ist eine solche Geschichte, die man nicht oft genug erzählen kann, weil sie wie ein fein geschliffener Stein in jeder Beleuchtung uns von anderen Welten erzählt.
Die Matriarchatsforscherin Göttner-Abendroth versucht sich in „geistiger Archäologie“ auf der Suche nach dem untergegangenen Matriarchat.
So wie andere aus verfärbter Erde Pfostenlöcher und aus Pfostenlöchern längst verfallene Hütten rekonstruieren, so rekonstruiert sie aus Geschichten und Geschichtchen untergegangene Kulte, Lebensgewohnheiten und Denkweisen.
Wer ihr vorwirft, das sei doch „spekulativ“, vergisst, dass die wenigen Knochen aus Neandertal sich auch nur durch höchst spekulative Ergänzungen zum ganzen Menschen formen.
„Spekulieren“ bedeutet aus wenigen Andeutungen eine ganze Geschichte zu machen. Solche Geschichten müssen nicht wahr sein, aber sie können uns entscheidend helfen uns der Wahrheit zu nähern.
Die Geschichte, die uns Göttner-Abendroth erzählt ist die Geschichte vom Gral, als einem Quell der Fruchtbarkeit, als einem heiligen weiblichen Schoß. Die Gralsherrschaft ist bedroht durch männliches Dominanzstreben, durch einen neuen Typ von Krieg und Krieger, der durch seine Machtgier alle Quellen der Fruchtbarkeit, bei den Frauen und in der Natur zum Versiegen bringt, weil sowohl Natur als auch Frau zwar vergewaltigt werden können, aber ihre großartige Leben schaffende Tätigkeit ist nicht erzwingbar, so dass zur Strafe die Natur verdorrt und die Frauen unfruchtbar werden. Der Gral verschwindet aus der Welt, wenn man ihm nicht in der rechten Weise dient und Frauen und Natur verehrt.
Parcivals Vater stirbt nicht in fernen Ländern „im Dienst der Frauen“ wie bei Eschenbach, sondern bei der Verteidigung des Grals.
Die Welt, die er verteidigt, ist eine Welt des Wohlstands und des Wohlergehens, der Freude am eigenen Körper und seiner Lust.
Die Welt der Keltenkrieger, der er unterliegt, die Welt des König Ither, des roten Ritters, ist eine Welt des Machtstrebens und der Gier. Wobei diese Gier zur Folge hat, dass man das Leben verfehlt und versäumt, weil man stattdessen den Tod im Gepäck hat.
Als ?? stirbt zieht sich die Königin Herzeleide in die Einsamkeit zu zurück um dort ihren Sohn auf die Welt zu bringen. Er soll nicht von den siegreichen Kelten zu einem Keltenkrieger, zu einem Unhold, erzogen werden.
Schließlich geht er hinaus in die Welt und rächt, ohne dass er weiss was er tut, seinen Vater.
Er wird zum schließlich zum guten Krieger.
Vorher ist er aber in der Gefahr ein Gefolgsmann des Kelten-Königs Arthur zu werden und damit ein Verräter seines Volkes.
Am Ende rettet der gute Krieger Parcival den Gral und das Gralsvolk.
Problematisch an dieser Erzählung ist die Figur des „guten Kriegers“.
Sie verbreitet die Illusion, als sei es möglich einerseits ein guter Krieger und damit ein guter Mörder und Totschläger zu sein, andererseits aber Liebe und Zärtlichkeit zu schützen und zu leben.
Gleichzeitig weiss nicht nur Göttner-Abendroth, sondern auch dem alten Mythos ist dieses Wissen eingeschrieben, dass diese Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren eine Illusion ist.
Schönfärberisch heissen solche Illusionen auch oft Ideal.

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