Das Problem mit der Gewalt

Die nächste Version 0.63 befasst sich weiter mit der „Deutschen Ideologie“
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Ein Teil des neuen Textes:

Das Problem mit der Gewalt

„Das erste Dekret der Kommune war daher die Unterdrückung des stehenden Heeres und seine Ersetzung durch das bewaffnete Volk.“
Seit wir Menschen wurden, haben wir ein Problem mit der Gewalt.
Wir haben dies deswegen, weil das Menschwerdungsprogramm eben zuallererst bedeutet, dass an die Stelle von Instrinktsteuerung Kultur tritt.
Wir schaffen diese Kultur und der wesentlichste Bestandteil jeder Kultur ist die Frage, wie wir miteinander umgehen, wie wir Streit, den wir immer haben werden, unterschiedliche Interessen und Konflikte lösen.
Darauf haben wir im Laufe unserer bisherigen Geschichte nicht eine einzige Antwort gefunden, sondern ziemlich viele und nicht wenige davon beruhten auf dem Vorrecht des Stärkeren.
Es gab aber auch von Anfang an andere Antworten, Antworten die auf Liebe, Achtung und Zuneigung beruhen.
Gerade solche Gesellschaften haben große kulturelle Leistungen vollbracht, Tiere und Pflanzen gezähmt und damit frühe Wohlstandsgesellschaften geschaffen.
Die Gestalt der Frau Holle alias Freia alias Venus erinnert noch an dieses verlorene Paradies.
Doch dieses Paradies war nicht von Dauer, weil aus Jägergesellschaften Kriegergesellschaften wurden und weil dies der Anfang war, jene entscheidende Arbeitsteilung aus der letzlich die Klassengesellschaften entstanden.
Dass die Bourgeoisie alles durch bare Zahlung ersetzt hat, wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest erklären, war nicht immer ein Verlust für die Menschheit.
Dass in Florenz aus dem Krieger, dem Ritter, ein Condottiere wurde unterwarf die Herrschaft der Krieger der Herrschaft des Geldes.
Und so lernten die Schweizer Bauern, nach dem sie sich oft genug bei fremden Herren für Kriegsdienst verdingen mussten, schließllich auf eigene Rechnung kämpfen und eröffneten damit ein neues Zeitalter der Volksherrschaft.
Diesem Schweizer Vorbild verdankt sich auch die Idee der Milizen und der Abschaffung der stehenden Heere. Einer Idee, die nicht nur die Kommune hatte, sondern der auch Engels bis an sein Lebensende treu geblieben ist.
Letzten Endes muss es aber um die Abschaffung und nicht um die Demokratisierung des Krieges gehen. Dass jeder ein Gewehr im Schrank hat, macht die Welt nicht sicherer. Und die Unfähigkeit der Bundeswehr und der mit ihr verbandelten Rüstungsindustrie eine bezahlbare Drohne (bezahlbar gemessen am Staatsetat, nicht an unserem Geldbeutel!) zu bauen, ändert nichts daran, dass die Computerzeitschriften inzwischen voll sind mit Bauanleitungen für Drohnen zum selber bauen. Und natürlich lassen sich auch solche selbstgebastelte Drohnen als Waffen einsetzen.
Es geht somit mehr darum die Waffen ein zu sammeln als sie allgemein zugänglich zu machen. Dabei existiert das Problem des „dual use“ in jedem Drogerie-Markt, so dass wir politisch und gegebenenfalls mit Polizeigewalt verhindern müssen, dass jeder Idiot einen Privatkrieg mit selbstgebastelten Bomben beginnen kann.
Natürlich lassen sich Marx und Engels bei ihrer Forderung nach Abschaffung der stehenden Heere auch von der Erfahrung leiten, dass die bewaffnete Gewalt immer ein Instrument der Ausbeutung und der Unterdrückung war und ist.
Allerdings bedroht uns aktuell die privatisierte Gewalt von Verbrechern, vor allem von organisierten Verbrechen mindestens so sehr wie ein Mißbrauch staatlicher Gewalt.
Vor beidem müssen wir uns schützen.
Dabei kommt der Ächtung der Gewalt sowohl in innerstaatlichen als auch in zwischenstaatlichen Konflikten eine Schlüsselrolle zu.
Jedes, auch das repressivste, System braucht ein Minimum an Akzeptanz sowohl bei der eigenen Bevölkerung als auch beim Rest der Welt.
Auf solche Regimes wirtschaftlichen und moralischen Druck aus zu üben ist in aller Regel die bessere Strategie. Die Aussage, dass Sanktionen nichts bewirken, ist bisher durch mehrere Beispiele eindrucksvoll widerlegt. Man braucht halt Zeit und Geduld.
Für Gewaltverbrecher und gewisse Formen quasi-staatlichen Terrors braucht es dagegen einen effektiven, repressiven Gewaltapparat, der am besten überstaatlich organisiert und legitimiert wäre. Natürlich nicht in dem Sinn, dass man einen einheitlichen zentralisierten Apparat schafft, der dann selbst wieder eine Gefahr wäre, sondern in dem Sinn, dass man sich wirksam zur Kooperation verpflichtet.
In diesem Bereich hilft schon deshalb kein wirtschaftlicher und moralischer Druck, weil sich die Akteure, die sich selbst bewußt ausserhalb jeglicher zivilen Minimalstandards bewegen, auch durch die Berufung auf solche Standards nicht zu erreichen sind.
Zugleich muss uns immer klar sein, dass auch von den staatlichen Repressions-apparaten immer eine latente Gefahr ausgeht, die nur durch strikte demokratische Kontrolle wirksam eingedämmt werden kann.
Dabei wird sich Militär zu einer Art Sonderpolizei wandeln müssen, unterworfen dem Gewaltmonopol der UN.
Direkt nach dem denkwürdigen März 1848 verfasste Freiligrath sein „Trotz alledem“:
„Das war ne heisse Märzenzeit,
nun aber da es Blüten schneit
nun ist es kalt
Trotz alledem „
In diesem Lied heisst es auch: „Wir werden unsre Büchsen los, Soldatenwild trotzalledem.“
Das macht deutlich, dass die Forderung nach Abschaffung der stehenden Heere und ihrem Ersatz durch ein Milizsystem den klaren historischen Hintergrund hat, dass die stehenden Heere auch und vor allem Instrumente zur Unterdrückung des Volkswillens waren. Und wenn wir aktuell nach Thailand oder Ägypten schauen, dann ist es dort genauso. Das Volk wählt falsch und das Militär macht sich zum obersten Richter und „korrigiert“ den Volkswillen.
Dafür, dass dies nicht passieren kann, wollten Freiligrath, Marx und die Pariser Kommunarden ihre „Büchsen“.
Die Frage ist allerdings: Helfen die wirklich?
Wenn man über Länder diskutiert, in dieses Prinzip der allgemeinen Bewaffnung der männlichen Bevölkerung verwirklicht ist, dann fallen mir sofort 2 ein:
Die Schweiz und die USA.
Jeder männliche Schweizer hat sein Gewehr im Schrank und für den (weissen) Durchschnittsamerikaner (bzw. auch die -amerikanerin) ist das Recht eine Waffe zu tragen so was wie der Kern seiner/ihrer Identität.
Trotzdem könnten beide Länder in Bezug auf die Gewalt nicht unterschiedlicher sein. In der Schweiz, diesem gleichermassen merkwürdigen, wie interessanten Land finden alle paar Wochen eine oder mehrere Volksabstimmungen statt.
Das Volk, der Souverän, trifft fortwährend Entscheidungen. Wie es sich für das richtige Leben gehört, sind diese Entscheidungen nicht immer klug, aber auch nicht immer dumm. Und manchmal nimmt sich der Souverän auch das selbstverständliche Recht heraus, eine ihm vorgelegte Frage als unwichtig zu ignorieren.
Die Schweizer schätzen und lieben ihre Ordnung, an der sie gleichzeitig ständig Veränderungen vornehmen. Wer etwas ändern will, startet eine Kampagne und versucht Mehrheiten zu gewinnen. Das ist der Weg, auf dem in der Schweiz sogar Revolutionen möglich sind. Einen anderen Weg akzeptieren die Schweizer nicht.
Die amerikanische Ordnung beruht größtenteils auf dem Gun-man, der die Verbrecher erschiesst und Schwarze und Rothäute einschüchert oder gegebenfalls auch erschiesst.
Deswegen wurde diese Ordnung auch von niemand vorher und nachher so grundlegend in Frage gestellt, wie von Rosa Parks und Martin Luther King.
Die amerikanischen Bürgerrechtler haben sich dieser Gewaltkultur verweigert und stattdessen ihre selbstverständlichen demokratischen Bürgerrechte eingefordert.
Sie sind einfach sitzen geblieben im für sie verbotenen Bus.
Wie Wilhelm Tell sich geweigert hat einen Hut auf der Stange zu grüßen, haben sie sich geweigert „Gesetze“ zu befolgen, die den Geist der Ungerechtigkeit und des Rassismus atmen.
Eldrige Cleaver und seine Black Panther haben sich tragisch getäuscht, als sie meinten, dass auch Schwarze sich bewaffnen sollten. Sie haben sich damit einer Gewalt-Ordnung angepasst und ihre Prämissen akzeptiert, denen sich Martin Luther King und seine MitstreiterInnen konsequent verweigert haben.
Eine friedliche, menschliche Ordnung ist aber nur möglich und vorstellbar, wenn Gewalt kein legitimes Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mehr ist.
Natürlich ist gewaltfreier Widerstand nicht die Antwort auf alle Fragen. Damit er greift und erfolgreich ist, ist ein Minimum an Zivilisiertheit nötig.
In einer Gesellschaft, in der ein Menschenleben nicht zählt, ist es sehr schwer mit einer Strategie Erfolg zu haben, die auf unsere menschliche Empathiefähigkeit setzt.
In diesem Fall sind wir wieder auf die ausserordentlich problematische Figur des „guten Kriegers“ angewiesen.
Damit aus diesem Kriegertum nicht immer wieder Ausbeutung und Unterdrückung entstehen, brauchen wir ein eindeutiges Gewaltmonopol, auch zwischenstaatlich in Form von internationalen Organisationen. Und wir brauchen eine sehr wache, sehr kritische öffentliche Kontrolle unserer „Krieger“. Ihre Mission ist strikt an die Unterdrückung von Gewalt gebunden. Sie darf keine Legitimation für die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung noch so hehrer sonstiger Ziele sein.
Ein bekannter Satz behauptet: „Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Bevor dieser Satz gesagt werden konnte, war Gewalt schon lange zum bevorzugten Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen geworden.
Eine gewaltfreie Welt kann nur entstehen, wenn Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Interessen von der Menschheit nicht mehr akzeptiert wird und Krieg als politisches Versagen verstanden wird.
So sympathisch mir die Forderung nach Abschaffung aller stehenden Heere auch ist, dass jeder stattdessen ein Gewehr im Schrank hat, scheint mir definitiv nicht der richtige Weg zu einer gewaltfreien Welt.

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