Die „platonische Liebe“ und der „arme Ritter“


 

„»Wie es sich damit auch verhalten mag, soviel ist klar, daß es diesem ›armen Ritter‹ nun ganz gleichgültig war, wer seine Dame war, und was sie tat. Ihm genügte es, sie sich ausgewählt zu haben und an ihre ›reine Schönheit‹ zu glauben; und nun verehrte er sie sein ganzes Leben lang; gerade darin besteht sein Verdienst, dass er, selbst wenn sie später zur Diebin würde, doch an sie glauben und für ihre reine Schönheit eine Lanze brechen müßte. Der Dichter scheint beabsichtigt zu haben, in der auffallenden Gestalt eines reinen, hochgesinnten Ritters den ganzen gewaltigen Begriff der mittelalterlichen, ritterlichen platonischen Liebe zur zusammenfassenden Darstellung zu bringen; selbstverständlich ist das alles ein Ideal. In dem ›armen Ritter‹ hat dieses Gefühl schon die höchste Stufe erreicht, die Askese; man muß gestehen, daß die Fähigkeit zu einem solchen Gefühl einen hohen Wert hat, und daß solche Gefühle einen bedeutsamen und unter Umständen sehr löblichen Charakterzug bilden, wobei ich nicht gerade Don Quijote meine. Der ›arme Ritter‹ ist eine Art Don Quijote, aber ein ernster, nicht ein komischer. Ich habe ihn am Anfang nicht verstanden und über ihn gelacht; aber jetzt liebe ich den ›armen Ritter‹, und vor allen Dingen schätze ich seine Taten hoch.«
Damit schloß Aglaja, und wenn man sie ansah, konnte man schwer daraus klug werden, ob sie im Ernst sprach oder scherzte.“
[Dostoevskij: Der Idiot. Die Bibliothek der Weltliteratur, S. 20072-20073 (vgl. Dostojevskij-Idiot Bd. 4, S. 116) http://www.digitale-bibliothek.de/band89.htm ]


Der arme Ritter“ heißt ein wunderbares Gedicht Puschkins:

„Lebte einst ein armer Ritter
Schweigsam und von schlichtem Sinn,
Und mit bleichen Wangen schritt er
Kühn und grad durchs Leben hin.

Ihm war ein Gesicht erschienen
Von geheimnisvoller Art,
Und er hat, um ihm zu dienen,
tief im Herzen es bewahrt.

Als er einst nach Gent gefahren,
Sah am Weg er wunderbar
Sich Maria offenbaren,
Die uns Christ, den Herrn, gebar.

Und entflammt im Herzensgrunde
Sah er keine Frau hinfort,
Und er sprach seit dieser Stunde
Nicht mit einer mehr ein Wort.

Seit der Zeit hat er das Gitter
Des Visiers nicht mehr bewegt
Und sich um den Hals statt Flitter
einen Rosenkranz gelegt.

Hob zum Vater nie die Hände,
Hob sie nie zum Sohn empor,
Nicht zum Heiligen Geist - am Ende
Galt er allen als ein Tor.

Nur vor ihr, der Heiligen, Schönen,
Brach er nächtelang ins Knie,
Ihr nur flossen seine Tränen,
Und sein Auge sah nur sie.

Voll der Liebe, die nicht ruhte,
Und zu frommem Traum gewillt,
Malte er mit eigenem Blute
A. M. D. auf seinen Schild.

Als im Lande Palästine,
Eh die heiße Schlacht entbrannt,
Alle reisigen Paladine
Ihre Damen stolz genannt

Tönte weithin seine Stimme
„Lumen coelum!" übers Feld,
Und er hat mit zornigem Grimme
Manchen Muselman gefällt.

Heimgekehrt in Burg und Mauer,
Blieb er von der Welt getrennt,
Voller Liebe, voller Trauer
Starb er ohne Sakrament;

Und in seiner letzten Stunde
Nahte ihm der Böse schon,
Um mit ewigem Höllenschlunde
Seine Seele zu bedrohn:

Nie bat er um Gottes Segen,
Und die Fasten hielt er nie,
Und er ging auf dunklen Wegen
Zu der Gottesmagd Marie.

Doch die Reine, Gnadenreiche
Trat vor Gott und bat für ihn
Und empfing im Himmelreiche
Ihren treuen Paladin.“
(Alexander Puschkin, Gedichte russisch und deutsch, Aus dem Russischen übertragen von Michael Engelhard, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1999,S.667-669).

Wenn wir dieses Gedicht als Ganzes zur Kenntnis nehmen, stoßen wir auf verschiedene Merkwürdigkeiten in Aglajas Argumentation.
Z.B. behauptet sie:
„Der Dichter scheint beabsichtigt zu haben, in der auffallenden Gestalt eines reinen, hochgesinnten Ritters den ganzen gewaltigen Begriff der mittelalterlichen, ritterlichen platonischen Liebe zur zusammenfassenden Darstellung zu bringen.“
Hat er das wirklich ? Und stimmt das überhaupt mit der „mittelalterlichen, ritterlichen platonischen Liebe“ ? Und hat Puschkin, der im Duell wegen einer Frau jung gestorben ist überhaupt etwas im Sinn mit dieser Art von Liebe ?
Es ist auch nicht irgendeine Frau, die er liebt, sondern ausschließlich eine: Maria, die „Gottesmagd“.
Wir wollen diesen Fragen Punkt für Punkt nachgehen und am Ende auch der Frage, ob Myschkin, ob die Myschkins überhaupt „Ritter“ und sei es auch „arme“ sein können.
Da Ritter und Kavalier ursprünglich dasselbe bezeichnen wird es dabei zwangsläufig auch um die Frage gehen, wie denn sich Beziehungen zwischen Mann und Frau gestalten bzw. gestalten sollten.
Der Ritter und seine Dame sind zentral für unser jeweiliges Rollenverständnis als Männer und Frauen. Die Frage ist: Beschreiben sie auch die Zukunft dieser komplizierten Beziehung und welche Art von Beziehung wäre gut für die Myschkins ?

Beginnen wir unsere Betrachtungen mit einem seltsamen Gespenst namens „platonischer Liebe“:

Die platonische Liebe

In der Wikipedia (http://de.wikipedia.org/wiki/Platonische_Liebe ) finden wir folgende Definition:
„Platonische Liebe ist die Liebe nur auf geistiger Ebene, die auf den antiken griechischen Philosophen Platon (428/427 bis 348/347 v. Chr.) zurückgeführt wird.
Nach heutiger Bedeutung bezeichnet platonische Liebe eine Liebe ohne Sex auf Basis seelischer Verbundenheit und inniger Freundschaft.
Die von Platon in seinem Werk Symposion ausführlich beschriebene platonische Liebe und Verbundenheit steht einer in erster Linie sexuell motivierten Liebe gegenüber. Nach Platon ist diese wahre Liebe nur unter „Gleichen“ möglich. „Gleiche“ bedeutet, dass beide Individuen eine entwickelte und bewusste Seele besitzen, egal welchen Geschlechtes. Fälschlicherweise wird unter „gleich“ oftmals Homosexualität verstanden, was unzutreffend ist, da platonische Liebe frei von Sexualität ist. Platon schildert, wie der junge, schöne Alkibiades vergeblich versucht, den alten und
hässlichen Sokrates zu verführen. Dieser schlägt statt der sexuellen Vereinigung eine „höhere“, nichtkörperliche Form der Liebe vor, in der die Seelen zueinander finden.
Nach Platon ist die platonische Liebe die höchste Stufe der Liebe. Sie steht damit im Gegensatz zur körperlichen Liebe. Diese bildet die 1. Stufe der Liebe. Davon ausgehend kann der Mensch die Liebe zu schönen und guten Lebenseinstellungen lernen (2. Stufe). Als 3. Stufe fungiert die Liebe zur Wissenschaft. Danach folgt als höchste Stufe die platonische, geistige Liebe. Sie entspricht dem jedem Menschen eingegebenen Streben nach Idealen wie Schönheit, Wahrheit und letztendlich Göttlichkeit. Diese Stufe erreichen nur sehr wenige Menschen (siehe im Symposion die Erzählung von Diotima). Diejenigen, die diese Liebe praktizieren, nennt Platon Philosophen. Nach diesem Ansatz fasst Platon auch die Philosophie ihrem Wesen nach als Liebe auf. “
Soweit die Wikipedia.
Plato sah sich philosophisch in der Nachfolge des Parmenides. Das Problem, das ihm dieser hinterlassen hatte, bestand aber darin, dass die allzu plumpe Verleugnung des Werden und Vergehens nicht durch zu halten war.
Die Platon'sche Lösung bestand nun darin, dass hinter den Dingen die Ideen als ewig und unzerstörbar postuliert wurden.
So konnte die Welt nun geteilt werden in eine materielle „Scheinwelt“ in der Werden und Vergehen, Geburt und Tod regierten und in eine „wirkliche“ Welt der ewigen und ewig mit sich selbst gleichen Ideen.
Dies „wirkliche“ Welt sollte die Welt des mit sich identischen, des ewigen A = A und damit das originäre Reich des Logos sein.


Von diesen Warte her, steht die Idee der Liebe höher als die vollzogene Liebe. Die vollzogene Liebe, der Sex, ist gewissermaßen „verunreinigt“ durch ihre Körperlichkeit. Je mehr die Liebe nur eine Idee ist, desto reiner, desto unzerstörbarer, desto ewiger.

Und natürlich sind auch die Dementis in Bezug auf die Homoerotik falsch, den gleich konnten nach damaligem Verständnis Mann und Frau gar nicht sein.

Ganz abgesehen davon, dass selbst Bachofen noch im 19 Jahrhundert Frauen nicht auf der Seite des Geistes gesehen hat. Bei den hohen Ideen und den niederen köperlichen Bedürfnissen, sind die „hohen Ideen und Ideale“ immer männlich.

Nun sind wir aber, wie Keynes vollkommen richtig festgestellt hat, „in the long run all dead“ und müssen uns fragen, was wir dann von der „Ewigkeit“ vor allem von der angeblichen Ewigkeit der Ideen haben.

Ideen sind nicht ewig

Das ist aber nicht das einzige Problem, das uns die „ewigen Ideen“ bereiten. Es gibt noch ein viel grundsätzlicheres Problem: In welches Formalin will Plato den seine Ideen legen, damit sie sich ewig halten ohne ranzig zu werden ?
Ideen bedürfen eines Kopfes. Und weil der Kopf eines Plato heute schon längst vermodert und verfault ist, benötigen sie nun einen anderen Kopf, z.B. den eines Walter Altvaters. Und irgendwann wird auch dieser Kopf vermodert und verfault sein.


Ideen existieren in keinem Kopf losgelöst von allem anderen was noch erlebt, erlitten,
erfühlt und erdacht wurde. Und selbst wenn ich einer „humanistischen“ Bildung würdig gewesen wäre und Plato im altgriechischen Original lesen könnte, könnte ich dann noch altgriechisch denken ? Alle Ideen müssen in jedem Kopf immer wieder aufs Neue gebildet werden. Weil wir Vorbilder im Denken haben, können wir Abkürzungen nehmen und kommen so schneller zum Ziel. Aber das was da in jedem Kopf wieder neu entsteht, ist alles Mögliche nur eines nicht: Eine identische Kopie eines vorgeblichen Originals. Vor diesem Hintergrund sollte man auch die heute mit so viel Leidenschaft geführte Diskussion über Open Source, Open Access und Urheberrecht neu beleuchten. Ideen können nicht einfach wie ein Sack Kartoffeln gekauft und auf den Schultern nach Hause getragen werden.

Es ist nicht das Leben, das lauter Identitäten produziert, sondern die Logik, die nur funktioniert, wenn A festgehalten wird und man die Veränderung die währenddessen mit diesem A vor sich geht, ignoriert, weil sie ignoriert werden können und insoweit sie ignoriert werden können.
Es ist der Logiker, der eine Welt fester Identitäten schafft, weil er sie für seine Logik braucht.
Etwas so schillerndes, fluktuierendes, Himmel hoch jauchzendes und zu Tode betrübtes wie die Liebe muss deswegen vom Logiker zu einer dünnen, abstrakten Idee gemacht werden, weil es sonst jedwede Logik von Beginn an sprengt.

Sowenig Ideen ohne Kopf existieren können, um so viel weniger kann Liebe ohne Körper und zwar vorzugsweise zwei, existieren. Schließlich ist dies ein Vorgang, der so eindeutig und eindringlich wie kein anderer jede Faser unseres jeweiligen Körpers erfasst und bei dem gleichzeitig ein fremder Körper schon durch seine bloße Annäherung zum Magneten wird, der uns erfasst und durch einander wirbelt.
Was bleibt denn übrig von der Liebe, wenn man dieses großartige Körpergefühl daraus entfernt ?
Was für eine Liebe soll das denn schon sein, die Idee der Liebe an sich, ohne Kopf und ohne Körper ?

Ohne Frauen kein Schmerz !


Aber auch jene, die den Sinnen den Vorzug gaben unter den Griechen, waren deswegen noch lange keine Freunde der Sinnlichkeit.

So liest man bei Epikur:
„Denn es sind nicht Trinkgelage und fortgesetzte Feste und auch nicht der Genuss von Knaben und Frauen oder Fischen und das übrige Angebot eines reich gedeckten Tischs, was das Leben angenehm macht, sondern die nüchterne Überlegung, die die Gründe für jedes Wählen und Meiden erforscht und diejenigen Meinungen vertreibt, aufgrund von welchen größte Unruhe die Seelen ergreift.“

(Epikur, Ausgewählte Schriften, Brief an Menoikeus, Seite 7, Stuttgart 2010)

Ein merkwürdiger Text, bei dem Frauen, Knaben und Fische gleichermaßen unter die Genussmittel eingereiht werden.

Wenn ich des Altgriechischen mächtig wäre, würde ich diese Stelle einer näheren Betrachtung unterziehen, denn der Zusammenhang zwischen Fischen, Knaben und Frauen erschließt sich mir nicht.

Der „Brief an Menoikeus“ ist ähnlich wie z.B. die Briefe des Paulus im christlichen Umfeld, eine Werbeschrift für die eigene Philosophie, hier der epikuräischen. Da die meisten Werke Epikurs verloren oder verschollen sind, ist es zugleich eines der wenigen originalen Zeugnisse.

Epikur plädiert darin für ein bescheidenes, aber genussvolles Leben.

Er besteht auf der Endlichkeit, auch unserer Seelen und darauf, dass wir unseren Sinnen vertrauen.

Die Lust ist ihm in erster Linie Abwesenheit von Schmerz.

Epikur rät sich von Lüsten fern zu halten, bei denen am Ende der Schmerz überwiegt. Außerdem lässt sich Lust nicht beliebig steigern. Es macht großen Spaß sich genussvoll satt zu essen. Aber sich zu überfressen, macht keinen Spaß. Und die sogenannten raffinierten Genüsse bringen, z.B. beim Essen, nicht unbedingt eine wirkliche Steigerung der Lust.

Die zitierte Stelle ist übrigens die einzige in dem ganzen Brief, in dem überhaupt von Frauen die Rede ist.

Es ist für ihn keine Frage, dass die Liebe zu Frauen nur Schmerz bereitet, jedenfalls mehr Schmerz als Lust:

„Keine Lust ist an sich selbst etwas Schlechtes, aber das, was einige Arten von Lust hervorbringt, erzeugt Störungen, die um ein vielfaches größer sind als die Empfindungen der Lust.“

(Epikur, Ausgewählte Schriften, Die Hauptlehrsätze(Kyriai Doxai), Seite 14, Lehrsatzt VIII Stuttgart 2010)

„Spruch 51

Ich erfahre von Dir, dass die Erregung des Fleisches dich im Übermaß zum geschlechtlichen Verkehr drängt. Wenn du weder Gesetze brichst noch die guten Sitten verletzt, noch einem deiner Nächsten Schaden zufügst, noch dein eigenes Fleisch aufreibst, noch die notwendigen Dinge vergeudest, dann geh ruhig so, wie du willst, deiner Neigung nach. Freilich ist es nicht machbar, nicht wenigstens gegen eine dieser Bedingungen zu verstoßen; die erotische Vergnügung hat nämlich noch nie jemandem genutzt, man muss sogar froh sein, wenn sie nicht geschadet hat.“

(Epikur, Ausgewählte Schriften, Die Vatikanische Spruchsammlung (Gonomologigum Vaticaneum Epicureum, Seite 30, Spruch 51, Stuttgart 2010)

Unmittelbar darauf heißt es im Spruch 52:

„Die Freundschaft tanzt um die Welt und fordert uns alle auf, aufzuwachen zum Glück.“

(Epikur, Ausgewählte Schriften, Die Vatikanische Spruchsammlung (Gonomologigum Vaticaneum Epicureum, Seite 30, Spruch 52, Stuttgart 2010)

Man muss, glaube ich, nicht erwähnen, dass hier bestimmt nur die Freundschaft unter Männern gemeint sein kann, denn wie soll überhaupt eine wahre Freundschaft zwischen Mann und Frau möglich sein, bei der nicht wenigstens feine erotische Schwingungen in der Luft sind.

Die beiden Gegenpole Epikur und Plato treffen sich bei der „platonischen Liebe“. Und vor die Tür hängen sie gemeinsam ein Schild:

„Frauen und Hunde haben hier keinen Zutritt !!!“

Übrigens: Ohne Frauen kein Schmerz ist keine Übersetzung des Bob Marley-Hits „No woman no cry“, denn im jamikanischen Englisch bedeutet „No woman no cry“ sinngemäß ins Deutsche übertragen: „Komm Mädchen, weine nicht !“.

Bob Marley war halt in einer anderen Kultur zu Hause als der griechisch-römisch-christlich-abendländischen !

Und die Freundschaft wird erst dann wirklich um die Welt tanzen und uns alle zum Glück aufzuwecken, wenn diese Freundschaft die Frauen und den Eros gleichermaßen einschließt.

Noch ein paar Bemerkungen zu Epikur und den Frauen

So sehr sich Plato und Epikur im Ergebnis auch gleichen: Sie sind und bleiben Antipoden in der Philosophie.
Epikur glaubt nicht an Ideen, sondern an das Leben in seiner sinnlichen Fülle.
Deswegen fällt es uns umso schwerer seine seltsamen Ansichten zum Eros und den Frauen zu verstehen.

Ich sehe zwei Ursachen für diese Auffassungen:

Eine philosophische, gewissermaßen denklogische: Seine Definition der Lust als Abwesenheit von Schmerz. Und eine historisch, gesellschaftliche: Die Spaltung der Gesellschaft in Herren und Knechte, unter der dann die Mägde gewissermaßen nochmals aufgespalten sind und eine eigene Hierarchie unter der männlichen Hierarchie bilden.

Wenden wir uns zunächst dem Begriff der Lust zu:

Lust ist weder bloße Abwesenheit von Schmerz, noch ist es das Höchste im Leben, denn das Leben selbst ist immer das Höchste.

Das Leben hat auch keinen Sinn oder Zweck, denn es ist sich selbst Sinn und Zweck.
Natürlich ist ein gelungenes Leben immer ein lustvolles Leben, aber wer immer nur den Schmerz vermeiden will, muss aufpassen, dass er nicht als Oblomov endet und jedes Tun meidet, weil es Schmerzen verursachen könnte.

Lust und Schmerz sind beide unvermeidbare Bestandteile jedes Lebens.
Und manchmal müssen wir durch Schmerzen gehen um die Gipfel der Lust zu erklimmen.

Ohne Schmerzen sind wir tot.

Ohne Glück und Befriedigung aber auch.

Damit das niemand missversteht: Die Feier des Opfers, erst recht des Menschenopfers, lehne ich ab. Per aspera ad astra ist nicht meine Devise.

Aber auch und gerade das Erreichen eines Ziels kann uns große Momente des Glücks bescheren.

Richard Sennett hat ein Buch über das „Handwerk“ geschrieben. Es handelt davon wieviel Glück, Befriedigung, ja Lust Arbeit verschaffen kann, wenn sie frei ist vom Druck der Knechtschaft.

Aber ohne dass man schwitzt und sich auch mal quält wird man dieses Glück nicht erreichen können.

Entscheidend ist nicht, ob immer alles einfach geht, das mündet schnell in Langweile, sondern ob ich etwas tun kann, weil ich es tun will und nicht weil die Peitsche des Herren oder die noch viel härtere Peitsche des Zwecks mich antreibt.

Reden wir nun von Herr und Knecht.

Hegel, der bekanntlich meint auf dem Kopf gehen zu müssen und auch noch glaubt dies zu können, schickt in der „Phänomenologie“ das eine Selbstbewusstsein gegen das andere in den Kampf. Es stellt sich heraus, dass es eigentlich zwei Männer sind, die sich einen Kampf um Leben und Tod liefern. Der eine siegt, der andere unterliegt und schon haben wir Herr und Knecht, d.h. die Sklaverei philosophisch verstanden und erklärt.

Man denkt sich: „Was für ein Schmarren“ und weiss aus Geschichtsbüchern, obwohl die das Thema Sklaverei meist sparsam behandeln, die „Freunde des Griechentums“ ignorieren es sogar am liebsten, man weiß, dass Sklaverei Jahrtausende so funktionierte:Ein Trupp „Sklavenhändler“ überfällt bei Nacht ein wehrloses Dorf, die Männer werden erschlagen, Frauen und Kinder misshandelt, missbraucht, entführt und wie ein Stück Vieh auf dem nächstgelegenen Sklavenmarkt verkauft. Der „Knecht“, der dem „Herrn“ gegenüber steht, ist somit zuallererst eine „Magd“ und schon wegen der Kinder wird die jedem Kampf auf Leben und Tod aus dem Weg gehen müssen.

Aber wie das so ist bei Hegel: In dem Moment, in dem man ihn leicht genervt zur Seite legen will, findet man im Dreck einen Diamanten, den man nur noch blank reiben und schleifen muss, damit er glänzt und funkelt:

„Die Wahrheit des selbständigen Bewußtseins ist demnach das knechtische Bewußtsein. Dieses erscheint zwar zunächst außer sich und nicht als die Wahrheit des Selbstbewußtseins. Aber wie die Herrschaft zeigte, daß ihr Wesen das Verkehrte dessen ist, was sie sein will, so wird auch wohl die Knechtschaft vielmehr in ihrer Vollbringung zum Gegenteile dessen werden, was sie unmittelbar ist; sie wird als in sich zurückgedrängtes Bewußtsein in sich gehen und zur wahren Selbständigkeit sich umkehren.“

[Hegel: Phänomenologie des Geistes. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 38886-38997

(vgl. Hegel-W Bd. 3, S. 147-155)

http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]

 

D.h. während auf der Seite des Herren nur der Genuss ist ohne die Arbeit und die Anstrengung des Vollbringens, wird der Knecht (die Magd) zu dem/der die alles kann, der Herr aber zum bloß passiven Trottel.

 

Nach Hegel ist es der Knecht und wir können hinzu fügen eigentlich sogar die Magd, die sich zu wirklichem Selbstbewusstsein erhebt.Fortwährend sammelt sich in einer Herr-Knecht/Magd-Gesellschaft die Dummheit und Unfähigkeit auf der Seite der Herren und die Fähigkeiten und Talente auf der Seite der Mägde und Knechte.So tauschen Herren und Knechte fortwährend die Plätze. Der Sklavenaufstand auf Haiti soll ihn zu dieser Aussage inspiriert haben.

Allerdings bestätigt uns der Verlauf der Geschichte nicht unbedingt diese Theorie. Die Spaltung in Herren und Knechte hat Jahrtausende überstanden und manche halten sie schon für ewig, für eine Art Naturgesetz der Menschheit.

Was allerdings stimmt: Herrschaft erzeugt ständig eine Akkumulation der Blödheit auf der Herrenseite und als ihr natürlicher Gegenpol die Notwendigkeit, für die, die unten sind, mit außergewöhnlichem Geschick und Verstand das Leben zu meistern.

Deswegen benötigt die Herrenschicht einen permanenten Zustrom von Knechten, während ein Teil der besonders unfähigen Trottel absinken muss.

Das sind die Gegenströmungen, die die von Hegel beschriebene Dialektik konterkarieren.

Bei diesem ständig nötigen Aufsteigen spielen aber gerade die Frauen eine zentrale Rolle:

Wenn sie von unten kommt, aber klug, hübsch und tüchtig ist, kann sie einen eher durchschnittlichen Vertreter der Herrenschicht zum tüchtigen Kerl machen und ihren Kindern einen Teil ihrer Fähigkeiten vererben.

Umgekehrt kann sich eine „Herrin“ (welch seltsames Wort) einen tüchtigen Mann von unten suchen und mit ihm und durch ihn die Herrschaft ihres Clans verlängern.

Damit wird aber Liebe, Eros statt Selbstzweck zum Kampffeld um gesellschaftlichen Auf- oder Abstieg.

Einfach nur zu lieben, kann gefährlicher Leichtsinn sein.

Im Prinzip finden wir uns hier schon mitten in Thomas Manns „Buddenbrocks“.

Aber auch Brecht hat darüber geschrieben, z.B. in den „7 Todsünden der Kleinbürger“ und seine berühmte „Seeräuber-Jenny“ zeigt beispielhaft wie sich dadurch auch für jene, die ganz unten steht, die Sehnsucht nach Liebe in die Gier nach Macht und Rache verwandelt.

Ballade von der Seeräuber-Jenny

Für unseren Philosophen der Lust beinhaltet demnach die Liebe, die ja nur Mittel zum Zweck ist in einer Herren-Knecht-Gesellschaft, zu viel Schmerz, zu viel potentiellen Stress.

Wir sollten daraus lernen, dass „freie Liebe“ zu erst einmal die Befreiung von Zwecken erfordert, bevor sich unsere „Wahlverwandtschaften“ ungestört entfalten und täglich neu verbinden können.

Warum „Humanismus“ nicht Menschlichkeit heißt !

„Humanistische Bildung – und eine andere gibt es nicht – bedeutete allerdings nicht eine allgemeine oder unverbindliche Ausrichtung an den Ideen der Humanität, der Menschlichkeit oder der Menschenwürde. Diese Vorstellungen sind für den Neuhumanismus streng gebunden an das Studium der antiken Sprachen, namentlich des Altgriechischen, und der antiken Kultur“

(Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung, Seite 58,Wien 2006)

Für den Herrn Professor beginnt der Mensch mit dem Altsprachler und die Menschheit mit den Griechen.

Auch der bei solchen Gelegenheiten unvermeidliche Wilhelm von Humboldt, preußischer Kulturminister vor 200 Jahren, darf nicht fehlen.

Angeblich soll er folgendes gesagt haben: „..Es zeigt sich daher in dem Griechischen Charakter meistentheils der ursprüngliche Charakter der Menschheit überhaupt.“

(Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung, Seite 58,Wien 2006)

Und weiter unser Professor:

„Es geht der humanistischen Bildung um die Kenntnisse jener komplexen Formen und Gestalten, in denen sich Menschsein realisieren kann; da es aber unmöglich ist, diese Vielfalt empirisch und historisch umfassend auch nur halbwegs vollständig zu studieren, schlägt Humboldt eine Methode vor, die durchaus modern scheint: das exemplarische Lernen.“

(Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung, Seite 59,Wien 2006)

Der Reihe nach:

Auch und gerade ein Professor für kantische Philosophie sollte Begriffe nicht einfach gebrauchen ohne wirklich zu wissen, was sie bedeuten.

Über „exemplarisches Lernen“ kann er sich bei Oskar Negt informieren. Der hat dieses Konzept in die gewerkschaftliche Bildungsarbeit eingeführt. „Exemplarisches Lernen“ heißt bei Negt, ich gehe von mir und meinem Erfahrungshorizont aus und diskutiere von da aus über gesellschaftliche Strukturen.

Ich weiß nicht bei welcher Seance Herr Liessmann zuletzt Sokrates begegnet ist und ob der sich durch Stühlerücken oder bloßes Zittern der Kerzenflamme bemerkbar gemacht hat, auf jeden Fall liegt das Athen des Jahres 431 (Beginn des Peloponnesischen Krieges) weit außerhalb meines persönlichen Erfahrungshorizonts.

Es ist also nichts mit „exemplarischem Lernen“.

Wie verhält es sich dann mit dem „ursprünglichen Charakter der Menschheit“ ?

Nun, wenn wir ganz zu unseren Ursprüngen zurück wollen, müssen wir in den Zoo gehen, zu unseren nächsten Verwandten, den Bonobos und den Schimpansen. Von deren Vorfahren haben wir uns vor ca.5 Millionen Jahren getrennt. Alles was seither passiert ist, hat uns von unseren natürlichen Ursprüngen und auch von unserem „ursprünglichen Charakter“ entfernt.

Ein Begriff wie „ursprünglich“ macht in einem evolutionären Prozess wenig Sinn. Ursprünglich waren alle Lebewesen Einzeller. Irgend ein einmal erreichtes Niveau ist dann der Ausgangspunkt für etwas Neues und wird dadurch zum „Ursprung“. Jeder Ursprung hat aber selbst eine lange Geschichte.

Natürlich konnte das Humboldt nicht wissen, aber Liessmann müsste das wissen, ansonsten kann bei ihm von irgend einer Art von Bildung keine Rede sein.

Wenn wir so den Ursprung der Menschen vor 5 Millionen Jahren sehen, gibt es selbstverständlich in dieser langen Geschichte der Menschen wichtige Einschnitte (also „Ursprünge“):

Vor ca.2 Millionen Jahren verlassen die Neandertaler Afrika, vor ca.200.000 Jahren entsteht in Südafrika der eigentliche Jetztmensch, vor noch nicht einmal 10.000 Jahren (das ist noch nicht einmal die Halbwertszeit von Plutonium) lernen diese Menschen in der „neolithischen Revolution“ Ackerbau und Viehzucht, etwa vor 5000-6000 Jahren entstehen die ersten Staaten.

Vor ca.4000 Jahren geht die Megalith-Kultur unter.

Wie und warum ist unbekannt.

In dieser Zeit und zum Teil davor tauchen auch neue Völker sowohl im Nahen Osten, in Europa als auch in Indien auf. Es sind die Indoeuropäer. Nach einer Hypothese der Historkikerin Marija Gimbutas kamen diese Völker aus dem Steppengebiet zwischen Don und Altai und begruben ihre Vornehmen in „Kurgans“ (Hügelgräbern).

Als Widerschein des unbekannten, aber wohl dramatischen Geschehens auf der Erde, ändert sich der Götterhimmel.

Die Schöpfungs- und Fruchtbarkeitsgöttinen werden in den Hintergrund gedrängt und männliche, ziemlich gewalttätige Kriegergötter übernehmen das Regiment im Himmel.

Das geschieht an verschiedenen Orten. Ob Zeus, Wotan, Jupiter oder Shiva, der Krieger und Eroberer tritt vor die Fruchtbarkeit und Liebe spendenden Göttinnen. Sie werden zum Teil mit brutaler Gewalt unterjocht, vergewaltigt und einiger ihrer wichtigsten Tempel und Heiligtümer beraubt. All das geschieht natürlich nicht gleichzeitig und nicht ohne Widerstand und Gegenwehr, aber es geschieht. Und es gibt Rückzugsräume: Südindien, die Alpen, Britannien und Irland zum Beispiel. Ein anderer Rückzugsraum ist gewissermaßen die gesellschaftliche Vertikale: Während die neuen Herren die neuen Herren im Himmel verehren und ihre Verehrung dem Volk oktroyieren bleiben die alten Göttinnen bei den Unterdrückten, zumal bei den nun immer rechtloser werdenden Frauen, lebendig und haben z.B. als Frau Holle im Volksmärchen überlebt, während die „Wiedererweckung“ Wotans durch Wagnerianer, Nietzescheaner und Nazis nie etwas anderes war, als ein Fall von ideologischer Leichenschändung.

Die Kultur des Volkes, das man später das griechische nennt, entsteht ab etwa 1000 vor Christus auf den Trümmern einer ursprünglich weit überlegenen Vorgängerkultur, der minoischen.

Nach dem Gründungsmythos Athens steht am Anfang dieser Stadt der Sieg über die Amazonen, d.h. die Unterjochung einer vormals viel stärker von Frauen, auch von weiblichen Kriegern, geprägten Kultur.

Am Anfang des Griechentums steht auch die brutale Unterdrückung der ursprünglichen Bevölkerung, die Träger dieser minoischen Kultur war.

Sie werden zu Heloten.

Und, und das ist das, was uns hier am meisten interessiert: Grundlage dieser Kultur ist nicht nur die Sklaverei, sondern auch und vor allem die Unterdrückung der Frauen, ihre regelrechte Entfernung aus dem öffentlichen Leben.

Nirgends spiegelt sich das so deutlich wie im griechischen Mythos.

Das Orakel von Delphi wird von Apoll der Gaja geraubt und seiner Herrschaft unterstellt, Zeus ist ein durch die Lande ziehender Vergewaltiger und Apollo erklärt schließlich in der Orestie die Frau, die Mutter zum bloßen Behältnis männlichen Samens.

Eine Meinung der auch jeder Abtreibungsgegner heute noch zustimmen wird.

Natürlich kann man einer Kultur nur gerecht werden, wenn man sie auch mit den Maßstäben ihrer Zeit misst.

Aber gerade deswegen ist ja dieses Geschwätz vom zeitlosen Griechentum so unerträglich.

Epikur und Plato stehen auf gegensätzlichen Positionen. Und niemand wird erstaunt sein, wenn ich erkläre, dass ich eher auf der Seite Epikurs stehe.

Um so mehr befremdet mich beim Philosophen der Lust, dass er die Möglichkeit einer glücklichen Freundschaft zwischen Männern und Frauen, die die erotische Seite nicht ausschließt, verleugnet.

Letzten Endes landet er dadurch, bei aller Gegensätzlichkeit, beim platonischen Ideal: Der Männerfreundschaft ohne Sexualität.

Zu diesem Ideal gehört auch die Aufspaltung des Frauenbildes in Heilige und Hure, wie es Theweleit in seinen „Männerfantasien“ für die Freikorps-(und oft künftigen SA-Männer) beschrieben hat.

Felix Salten ist der Verfasser des Drehbuchs von „Bambi“ und des pornografischen Romans von der Wiener Hure Josefine Mutzenbacher.

Einerseits wird das „unschuldige Rehlein“ zur Frau bzw. die Frau zum „unschuldigen Rehlein“ andererseits wird die Mutzenbacher zur personifizierten Muschi, die in jeder Szene einen anderen Mann regelrecht in sich hinein saugt.

Entweder ist eine Frau „ehrbar“ und dann hat sie asexuell zu sein oder sie hat starke sexuelle Bedürfnisse und wird dann zu einer „Frau von zweifelhaftem Ruf.“

Auch das ist ein Teil des „griechischen Erbes“ und zwar vermutlich der aller problematischste Teil.

Wenn wir daher mit Aglaja „den ganzen gewaltigen Begriff der mittelalterlichen, ritterlichen platonischen Liebe“ untersuchen wollen, kommen wir mit Plato, Epikur und den Griechen nicht wirklich weiter.

Sicher hören wir da Nietzsche vom „Dionysischen“ raunen, aber der Philosoph der Macht hat nie begriffen, dass dieser Teil der griechischen Kultur gerade von den Machtlosen, den Unterdrückten, den Schwachen gegen das apollinische Herrentum bewahrt wurde.

Nachdem bei den Griechen und zuletzt bei Paulus, die Liebe zwar heilig gesprochen, aber die Frau und jegliche Sexualität aus ihr entfernt wurde, wollen wir nun sehen, wohin uns das Mittelalter mit seinen rostigen Rittern führt.

Das „keuche“ und „finstere“ Mittelalter
oder Ritter und Liebe in Eschenbachs Parzival

Bekanntlich ist der Kavalier ursprünglich ein Chevalier und damit nichts anderes als ein Ritter.
Und ein Kavalier ist einer, der wie weiland die Firma Bauknecht, „weiß was Frauen wünschen“.
Der Roman vom tumben Naivling Parzival, der am Ende Gralskönig wird ist vor allem eine Erzählung darüber, dass „Parzival die Frauen mehr schätzt als Gott.“
Man darf sich da von Wagner, der später eine ganz andere reichlich blutleere Geschichte vom Gralskönig erfunden hat, nicht täuschen lassen.
Zwei Dinge stehen bei Eschenbach immer im Zentrum: Kampf zwischen Männern, vorwiegend als „Tjost“, d.h. indem man mit gestrecktem Galopp und angelegter Lanze auf einander los reitet um sich wechselseitig aus dem Sattel zu heben bzw. gleich um zu bringen und schöne Frauen. Frauen sind der einzige und wirkliche Grund fürs Kämpfen.
Dabei verehrt man nicht nur das Bild der Dame, sondern greift ihr gelegentlich auch ganz direkt unter den Rock.
Ritter zu sein bedeutet im Wesentlichen immer zu wissen, wann das eine und wann das andere von Seiten der Dame gefragt ist.
Die Geschichte beginnt mit Parzivals Vater Gamureth, der bis nach Bagdad zieht um Frauen und Länder zu erobern.
Im Land der Mohren rettet er die schöne schwarze Belacane, nach Wolfram die schönste aller schönen Frauen, vor der Belagerung durch abgewiesene und beleidigte Männer. Zur Belohnung führt sie ihn in die „inneren Gemächer“ und macht ihn zu ihrem Mann. Nachdem er ihr ein Kind gemacht hat, wird es ihm zu langweilig bei der Schönen und er verlässt sie um wieder als Ritter zu kämpfen.
Er gelangt nach Wales und in einen Ritterkampf. Der ausgelobte Preis dieses Kampfes ist die schöne Prinzessin Herzeloyde. Er gewinnt den Kampf und muss danach regelrecht auf seine rechtliche Verpflichtung hingewiesen werden, Herzeloyde zu heiraten. Das tut er dann, mit den üblichen Folgen. Er verlässt auch die schwangere Herzeloyde um wieder in Bagdad für den Kalifen und für schöne Frauen zu kämpfen.
Dabei stirbt er.
Die Königin Herzeloyde zieht sich danach mit ihrem Säugling und Gefolge in die Wildnis zurück und verbietet ihrer Dienerschaft das Wort „Ritter“ gegenüber dem kleinen Parzival überhaupt zu erwähnen.
Ihr Junge soll nicht wie sein Vater ein Ritter werden.
Aber offensichtlich liegt ihm das Rittertum im Blut. So schießt er mit seiner Schleuder Vögel tot um anschließend die toten Vögel zu beweinen. Er entwickelt damit schon früh die übliche Sentimentalität professioneller Totschläger.
Als sie schließlich einsieht, dass sie ihn nicht vor der Welt und dem Rittertum bewahren kann, schickt sie ihn in einem Narrenkleid (nach dem Motto: besser doof als tot) und versehen mit guten Ratschlägen hinaus in die Welt.
Wie uns später erzählt wird, stirbt Herzeloyde danach an Herzeleid, weil sie sowohl Mann als auch Sohn an das Rittertum verloren hat.
Parzival zieht nun in die Welt hinaus und befolgt die Ratschläge seiner Mutter mehr oder weniger wörtlich.
So hat sie ihm geraten, er solle, wenn er einer schönen Frau begegne, diese festhalten und nicht mehr loslassen.
Das tut er dann bei der schönen Jeschute, der Frau des ????. Es kommt zu einer Vergewaltigung und dazu, dass Jeschute von ihrem Mann verstoßen wird, mit der auch heute noch gebräuchlichen Begründung sie habe sicher Spaß dabei gehabt.
Eschenbachs Tadel an Parzival ist sehr bemerkenswert:
Er verweist auf den Vater Gamuret und darauf, dass dieser sich den „süssen Hügeln der Jeschute“ sicher auf eine Art und Weise genähert hätte, und zwar so, dass einerseits Jeschute damit einverstanden und andererseits der Ehemann nichts bemerkt hätte.
Die „ritterliche Liebe“ erweist sich damit nicht als platonisch, sondern vielmehr als außerehelich, wie denn auch zum Gral keine Frauen ohne ihren „Amis“ sprich Liebhaber zugelassen sind.
Zwar gibt es eine Passage mit dem Einsiedler
?Trevirerent? In dem dieser Parzival belehrt, das Ideal des Grals sei die eheliche Liebe des Gralskönigs und die Ehelosigkeit der Tempelritter.
Aber diese Belehrungen werden im weiteren Verlauf der Handlung als das entlarvt was sie sind: fromme Sprüche.
Parzival erreicht schließlich mit seinem schwarz-weissen Halbbruder Firefiz entgültig die Gralsburg (Firefiz möchte unbedingt dabei sein: hübsche Mädchen gucken !).
Vorher haben sie sich allerdings beinah erschlagen, weil so ein richtiger Ritter natürlich erst mit der Lanze zustößt oder mit dem Schwert zuschlägt und erst danach fragt: Wer bist du ?
Auf der Gralsburg verliebt sich der Heide Firefiz so unsterblich in die „reine Jungfrau“ und Gralshüterin Response de Joie, dass er auf der Stelle zum Christentum übertritt und sie heiratet. Dabei wird er im Angesicht Gottes und des heiligen Grals zum Bigamisten, den er ist ja schon mit der Königin Secundille verheiratet.
Wie man zuvor erfahren hat, ist seine Liebe zu Secundille und ihre Liebe zu ihm sehr groß.
So ist sie halt die „reine“ Ritterliebe: Heute hier morgen dort.
Passenderweise stirbt dann Secundille im fernen Kaukasus und Response (nicht etwa Firefiz !) kann beruhigt sein.

Dass erinnert an Hollywood und die fünfziger Jahre und man fragt sich unwillkürlich, ob es auf Stauferburgen auch schon Hausfrauenverbände gab, die auf Sitte und Anstand geachtet haben.
Damit hätten wir nun „den ganzen gewaltigen Begriff der mittelalterlichen, ritterlichen platonischen Liebe (Aglaja)“ hinreichend entwickelt und können als des Wesen eines jeden Ritters bzw. Kavaliers folgende Punkte festhalten:
1. Potentielle männliche Konkurrenten erst totschlagen, dann fragen.
Allerdings muss dies auf „ritterliche Art“ geschehen, d.h. nach gewissen Regeln.
2. Immer bereit im Dienst der Liebe und der Frauen (Die Lanze ist immer im Anschlag).

3. Verbotene Früchte schmecken am besten.
4. Man(n) muss und kann immer wissen, was Frau will.

Parcival: König der Frauen

Hinter manchen Märchen und Sagen stecken längst vergangene und vergessene gesellschaftlich Zustände. Sie sind der Widerhall verflossener Revolutionen und Konterrevolutionen.

Der Mythos vom Heiligen Gral und vom tumben Parcival, der sich erst bewähren muss um dann Gralskönig und damit Herrscher über Wales zu werden, ist eine solche Geschichte, die man nicht oft genug erzählen kann, weil sie wie ein fein geschliffener Stein in jeder Beleuchtung uns von anderen Welten erzählt.

Die Matriarchatsforscherin Göttner-Abendroth versucht sich in „geistiger Archäologie“ auf der Suche nach dem untergegangenen Matriarchat.

So wie andere aus verfärbter Erde Pfostenlöcher und aus Pfostenlöchern längst verfallene Hütten rekonstruieren, so rekonstruiert sie aus Geschichten und Geschichtchen untergegangene Kulte, Lebensgewohnheiten und Denkweisen.

Wer ihr vorwirft, das sei doch „spekulativ“, vergisst, dass die wenigen Knochen aus Neandertal sich auch nur durch höchst spekulative Ergänzungen zum ganzen Menschen formen.

„Spekulieren“ bedeutet aus wenigen Andeutungen eine ganze Geschichte zu machen. Solche Geschichten müssen nicht wahr sein, aber sie können uns entscheidend helfen uns der Wahrheit zu nähern.

Die Geschichte, die uns Göttner-Abendroth erzählt ist die Geschichte vom Gral, als einem Quell der Fruchtbarkeit, als einem heiligen weiblichen Schoß. Die Gralsherrschaft ist bedroht durch männliches Dominanzstreben, durch einen neuen Typ von Krieg und Krieger, der durch seine Machtgier alle Quellen der Fruchtbarkeit, bei den Frauen und in der Natur, zum Versiegen bringt, weil sowohl Natur als auch Frau zwar vergewaltigt werden können, aber ihre großartige, Leben schaffende Tätigkeit ist nicht erzwingbar, so dass zur Strafe die Natur verdorrt und die Frauen unfruchtbar werden. Der Gral verschwindet aus der Welt, wenn man ihm nicht in der rechten Weise dient und Frauen und Natur verehrt.

Parcivals Vater stirbt nicht in fernen Ländern „im Dienst der Frauen“ wie bei Eschenbach, sondern bei der Verteidigung des Grals.

Die Welt, die er verteidigt, ist eine Welt des Wohlstands und des Wohlergehens, der Freude am eigenen Körper und seiner Lust.

Die Welt der Keltenkrieger, der er unterliegt, die Welt des König Ither, des roten Ritters, ist eine Welt des Machtstrebens und der Gier. Wobei diese Gier zur Folge hat, dass man das Leben verfehlt und versäumt, weil man stattdessen den Tod im Gepäck hat.

Als ?? stirbt zieht sich die Königin Herzeleide in die Einsamkeit zu zurück um dort ihren Sohn auf die Welt zu bringen. Er soll nicht von den siegreichen Kelten zu einem Keltenkrieger, zu einem Unhold, erzogen werden.

Schließlich geht er hinaus in die Welt und rächt, ohne dass er weiß was er tut, seinen Vater.

Er wird schließlich zum guten Krieger.

Vorher ist er aber in der Gefahr ein Gefolgsmann des Kelten-Königs Arthur zu werden und damit ein Verräter seines Volkes.

Am Ende rettet der gute Krieger Parcival den Gral und das Gralsvolk.

Problematisch an dieser Erzählung ist die Figur des „guten Kriegers“.

Sie verbreitet die Illusion, als sei es möglich einerseits ein guter Krieger und damit ein guter Mörder und Totschläger zu sein, andererseits aber Liebe und Zärtlichkeit zu schützen und zu leben.

Gleichzeitig weiß nicht nur Göttner-Abendroth, sondern auch dem alten Mythos ist dieses Wissen eingeschrieben, dass diese Gleichzeitigkeit des Unvereinbaren eine Illusion ist.

Schönfärberisch heißen solche Illusionen auch oft Ideal.

Die fremden Welten sind Frauenwelten

Gerade bei Eschenbach fällt auf, dass er sich mit seinen Geschichten hinaus träumt aus der Enge seiner mainfränkischen Heimat, die er im übrigen nie wirklich verlassen hat, Erfurt scheint sein weitester Weg in die Fremde gewesen zu sein.

Es sind zwei Sensuchtslandschaften in denen er sich bewegt:

Der Orient, manchmal auch „Indien“ genannt, wobei dieser Orient mehr oder weniger für alles steht, was nicht Europa ist und Wales/Britannien, wobei dieses Land, diese Welt, auf der anderen Seite des Hadrianswalls gelegen hat. D.h. die Welt Parcivals ist nicht die griechisch-römische.

Wir finden in dieser Welt des „finsteren Mittelalters“ erstaunlich viele erstaunlich selbstbewusste Frauen.
Die Königinnen definieren sich nicht als die Frauen von Königen, sondern umgekehrt: Der Held wird zum König, weil und insofern er eine Königin heiratet. Danach darf er gerne regieren, aber sie ist es, die ihn überhaupt erst zum König macht.

Wir sind es ja gewohnt Geschichte linear zu denken.

Und danach waren Frauen früher unterdrückt und befreien sich heute. So bleibt aber unverständlich, warum zu Eschenbachs Zeit die vornehme, der Oberschicht angehörende Frau eine „fraue“ war, während sie neuhochdeutsch zur „Herrin“ wird. Die Zeit der Chevaillers, der Kavaliere, muss auch eine Zeit gewesen sein in der zumindest vorübergehend und vielleicht nur in einer bestimmten Schicht, Frauen freier waren als Jahrhunderte danach.

Freilich war das, wenn überhaupt, nur eine prekäre, vorübergehende Freiheit, denn z.B. die Grafen Berangar bei Kaiserin Magaretha oder die Marquarts von Annweiler bei Konstanze, die brutalen Krieger, bemächtigten sich auch gerne der Königinnen und Kaiserinnen.

Aber trotzdem alles vorübergehend und verletzlich war: Die Sehnsucht ist uns geblieben, die Ahnung, das alles auch anders sein kann und das Hoffen auf bessere Möglichkeiten.

Die holden Burgfräuleins sind die Treibfeder jeder Ritterromantik.

Tannhäuser und Frau Venus

Eine der merkwürdigsten und seltsamsten Geschichten, die uns aus der Ritterzeit überliefert sind, ist die Geschichte vom Ritter Tannhäuser und der Frau Venus.

Die Geschichte geht so:

 

Das Lied von Tannhäuser

 

Nach einem Flugblatt, Nürnberg 1515

 

Nun will ichs aber heben an

von dem Danheuser zu singen

und was er hat Wunders getan

mit seiner Fraw Venußinnen

 

Danheuser was ein Ritter gut,

wann er wolt Wunder schawen,

er wolt in Fraw Venus Berg

zu andern schönen Frawen.

 

»Herr Danheuser, ir seid mir lieb,

daran solt ir mir gedenken:

ir habt mir einen Aid geschworen,

ir wölt von mir nit wenken. «

 

»Fraw Venus, das enhab ich nit,

ich wil das widersprechen,

wenn red't das iemand mer dan ir,

Got helf mirs an im rechen.«

 

»Herr Danheuser, wie red't ir nun,

ir solt bei mir beleiben,

ich will euch mein Gespilen geben

zu einem steten Weibe.«

 

»Und nem ich nun ein ander Weib,

ich hab in meinem Sinne,

so müst ich in der Helle Glut

auch ewiklich verbrinnen.«

 

»Ir sagt mir vil von der Helle Glut

und habt es nie entpfunden:

gedenkt an meinen roten Mund,

der lachet zu allen Stunden.«

 

»Was hilfet mich ewer roter Mund,

er ist mir gar unmere;

nun gebt mir Urlaub, Frewlein zart,

durch aller Frawen Ere.«

 

»Herr Danheuser, wölt jr Urlaub han,

in wil euch keinen geben;

nun beleibent, edler Danheuser,

und fristet ewer Leben.«

 

»Mein Leben das ist worden krank,

ich mag nit lenger bleiben,

nun gebt mir Urlaub, Frewlein zart,

von ewrem stolzen Leibe.«

 

»Herr Danheuser, nit redet also,

ir tut euch nit wol besinnen,

so geen wir in ein Kemerlein

und spilen der edlen Minnen.«

 

»Gebrauch ich nun ein fremdes Weib,

ich hab in meinem Sinne:

Fraw Venus, edle Frawe zart,

ir seid ein Teufelinne.«

 

»Herr Danheuser, was red't ir nun,

daß ir mich günnet schelten;

nun solt ihr lenger hierinne sein,

ir müstent sein dick entgelten.«

 

»Fraw Venus, und das wil ich nit,

ich mag nit lenger bleiben;

Maria, Mutter, reine Maid,

nun hilf mir von den Weiben!«

 

»Herr Danheuser, ir solt Urlaub han,

mein Lob das solt ir preisen,

wo ir do in dem Land umbfart;

nembt Urlaub von dem Greisen.«

 

Do schied er wider aus dem Berg

in Jamer und in Rewen:

»Ich wil gen Rom wol in die Stat

auf eines Babstes Trawen.

 

Nun far ich frölich auf die Ban,

Got müß sein immer walten,

zu einem Babst, der heist Urban,

ob er mich möcht behalten.»

 

»Ach Babst, lieber Herre mein,

ich klag euch meine Sunde,

die ich mein Tag begangen hab,

als ich euchs wil verkünden.

 

Ich bin gewesen auch ein Jar

bei Venus einer Frawen,

so wölt ich Beicht und Buß entpfahen,

ob ich möcht Got anschawen.«

 

Der Babst het ein Steblein in der Hand,

das was sich also dürre:

»Als wenig es begrünen mag,

kumpst du zu Gottes Hulde!«

 

»Nun solt ich leben nur ein Jar,

ein Jar auf diser Erden,

so wölt ich Beicht und Buß entpfahen

und Gottes Trost erwerben.«

 

Do zog er wider aus der Stat

in Jammer und in Leiden:

»Maria, Mutter, reine Maid,

muß ich nun von dir scheiden?«

 

Er zog do wider in den Berg

und ewiklich on Ende:

»Ich wil zu Venus, meiner Frawen zart,

wo mich Got wil hin senden.«

 

»Seid Got wilkumen, Danheuser,

ich hab ewer lang entporen,

seid wilkumen, mein lieber Herr,

zu einem Bulen auserkoren.«

 

Das weret bis an den dritten Tag,

der Stab hub an zu grünen,

der Babst schicket aus in alle Land,

wo der Danheuser wer hin kumen.

 

Do was er wider in den Berg

und het sein Lieb erkoren,

des must der vierte Babst Urban

auch ewiklich sein verloren.

 

Zitiert nach:

http://12koerbe.de/lapsitexillis/tanhuser.htm

 

„Es war mir, als hätte ich in einem dumpfen Bergschacht plötzlich eine große Goldader entdeckt, und die stolzeinfachen, urkräftigen Worte strahlten mir so blank entgegen, daß mein Herz fast geblendet wurde von dem unerwarteten Glanz. Ich ahnte gleich, aus diesem Liede sprach zu mir eine wohlbekannte Freudenstimme; ich vernahm darin die Töne jener verketzerten Nachtigallen, die, während der Passionszeit des Mittelalters, mit gar schweigsamen Schnäblein sich versteckt halten mußten und nur zuweilen, wo man sie am wenigsten vermutete, etwa gar hinter einem Klostergitter, einige jauchzende Laute hervorflattern ließen. Kennst du die Briefe von Heloise an Abälard? Nächst dem Hohenliede des großen Königs (ich spreche von König Salomo) kenne ich keinen flammenderen Gesang der Zärtlichkeit als das Zweigespräch zwischen Frau Venus und dem Tannhäuser. Dieses Lied ist wie eine Schlacht der Liebe, und es fließt darin das roteste Herzblut.“

[Heine: Elementargeister. Deutsche Literatur von Lessing bis Kafka, S. 78047

(vgl. Heine-WuB Bd. 5, S. 365)

http://www.digitale-bibliothek.de/band1.htm ]

 

Heine hat dann noch eine eigene Version dieses Liedes gedichtet, konnte es dabei aber nicht lassen seine üblichen Spitzen auf die schwäbische Dichterschule und andere Lieblingsfeinde ab zu feuern.

Was in diesem Fall seinem Werk eher geschadet hat.

Im 19.Jahrhundert hat man den Abschiedswunsch Tannhäusers von Frau Venus vor allem als christlich motivierte Reue gedeutet. Wagner hat mit seiner Oper diese Deutung zur bestimmenden gemacht. Aber trifft sie tatsächlich zu ?

 

»Mein Leben das ist worden krank,

ich mag nit lenger bleiben,

nun gebt mir Urlaub, Frewlein zart,

von ewrem stolzen Leibe.«

 

Das ist keine moralisch motivierte Reue, das ist körperlich empfundene Unlust.

Die „süssen“ Leiber der Frau Venus und ihrer Gespielinnen sind ihm zu viel geworden. Aus Lust wurde Unlust.

Die Anrufung der heiligen und reinen Maria ist ein Trick um „Frau Venus“ zum Nachgeben zu zwingen.

Aber auch vor seiner Rückkehr zu Frau Venus betet er zu Maria:

 

Do zog er wider aus der Stat

in Jammer und in Leiden:

»Maria, Mutter, reine Maid,

muß ich nun von dir scheiden?«

 

Muss er das ? Oder bedeutet nicht der grünende Stab, dass SIE dazu ihren Segen gibt ?

Schließlich kehrt er erst zu Frau Venus zurück und danach beginnt der Stab des Papstes zu grünen.

Und es ist der Papst und nicht Tannhäuser, der nun „auch ewiklich sein verloren“.

Er hat es an Liebe mangeln lassen.

Der Ritter Don Quichotte


Spätestens als die schweizer Bauernhaufen im Krieg gegen den „letzten“ Ritter Kaiser Maximillian die Panzerreiter reihenweise vom Pferd holten und totschlugen, war auch das Rittertum als militärische Einrichtung gestorben.
Überlebt hat nur das Ritterideal.
Diese seltsame Mischung aus Mordlust und Frauenverehrung hat natürlich immer auch den Spott herausgefordert. Schon Eschenbach ist im krassen Gegensatz zu Richard Wagner nicht frei von Spott und tiefer Ironie und wenn man ihn in Kategorien des 19 Jahrhunderts einsortieren würde, so müsste er eindeutig an die Seite des „welschen, jüdischen“ Kölners Jack Offenbach gestellt werden und ist somit ein klarer Antipode des „Teutonen“ Wagner.
Der „Ritter von der traurigen Gestalt“ mit seinem Kampf gegen Windmühlen steht gerade zu paradigmatisch für diesen Spott.
Und seine Dulcinea ist nur der Traum von einer Frau, dem keine wirkliche Frau entspricht.
Wir können ihn daher in diesem Zusammenhang ignorieren.

Der „arme Ritter“

Der „arme Ritter“ wird gerne mit Don Quichotte gleich gesetzt. Das ist aber falsch.
Zunächst mal ist es falsch, weil er im Gegensatz zu Quichotte reale Kämpfe mit realen Rittern ausficht:

„Als im Lande Palästine,
Eh die heiße Schlacht entbrannt,
Alle reisigen Paladine
Ihre Damen stolz genannt.

Tönte weithin seine Stimme
„Lumen coelum!" übers Feld,
Und er hat mit zornigem Grimme
Manchen Muselman gefällt.„

Seine „Dame“ ist die Jungfrau Maria, die er einmal gesehen hat und in die er sich verliebt hat. Diese Liebe ist kein bloßes ritterliches Sehnen wie bei Don Quichotte. Er will eine Frau besitzen, die er einmal gesehen hat und bei deren Anblick er sich gesagt hat:
Die oder Keine !

„Als er einst nach Gent gefahren,
Sah am Weg er wunderbar
Sich Maria offenbaren,
Die uns Christ, den Herrn, gebar.

Und entflammt im Herzensgrunde
Sah er keine Frau hinfort,
Und er sprach seit dieser Stunde
Nicht mit einer mehr ein Wort.

Seit der Zeit hat er das Gitter
Des Visiers nicht mehr bewegt
Und sich um den Hals statt Flitter
einen Rosenkranz gelegt.

Hob zum Vater nie die Hände,
Hob sie nie zum Sohn empor,
Nicht zum Heiligen Geist - am Ende
Galt er allen als ein Tor. „

Er will die Frau Maria, Gott steht im dabei eher im Wege, so wie bei anderen Männern und Frauen der Ehegatte.
Wobei das Gedicht, und das mögen mir alle Katholiken und Orthodoxen verzeihen, natürlich die Frage provoziert, wie man sich das den vor zu stellen habe, das „Sah am Weg er wunderbar sich Maria offenbaren“. Mir fällt da eine Fahrt durch Pilsen ein, bei der eine stark geschminkte Frau allen Lastwagenfahrern zuwinkte um sie auf ihr spezielles Geschäft aufmerksam zu machen. Es sind nun mal Frauen in ganz besonderen Berufen, die sich Männern am „Weg“ „offenbaren“.

„Die Torheit des Ritters erinnert uns an den „Idiotismus" des Fürsten Myschkin und zugleich ruft die Gestalt dieses traurigen und einsamen Ritters das Bild eines anderen armen ritterlichen „Toren" – Don Quichotte von La Mancha ins Gedächtnis. Nur dass dieser Arme Ritter, statt des Namens Dulcinea, die Buchstaben A.M.D., - „Ave, Mater Dei" auf seinem Schild führt, und sein Schlachtruf heißt: „Lumen Coelum!" - ..Himmelslicht!". Aglaja sagt in Dostojewskis Roman, der arme Ritter sei „genau wie Don Quichotte, nur ein ganz ernstgenommener, ohne jede Komik". Ein „recht seltsamer" Zug der Ballade, welcher einen Zuhörer oder Leser befremden kann, ist, dass ihre christliche Stimmung etwas verdächtig, ja ketzerisch wirkt: die Mutter Christi scheint der heiligen Dreieinigkeit gegenübergestellt zu werden.
….

Hier stehen wir vor einem Knäuel von Problemen. Der arme Ritter verhält sich zum katholischen kirchlichen Brauch sehr frei, oder, besser zu sagen, recht gleichgültig. Sein Indifferentismus gegenüber der hl. Dreieinigkeit, diesem geheimnisvollen Prüfstein und Stein des Anstoßes für Religionsphilosophen, fordert ans Tageslicht eine lange Geschichte des Kampfes der Kirche gegen sogenannte Antitrinitarier und Socinianer (eigentlich schon während der Reformation). Jedoch eine extra-ordinäre Anbetung der Mutter Gottes verbietet uns, den armen Ritter als einen Vorläufer religiöser Protestanten zu qualifizieren. Seit dem IV. Jahrhundert stand das Christentum schon vor dem Problem des halbheidnischen Kultus der Gottesmutter als einer weiblichen Gottheit. Einige Spuren davon blieben in katholischen und griechisch-orthodoxen Ländern sogar bis heute.
Aus der Sicht der Religionsphilosophie können wir im Puschkinschen „Armen Ritter" wohl das Beispiel eines unorthodoxen religiösen Gefühls sehen, die Möglichkeit eines außerkirchlichen Glaubens.“
(Rostislav Danilevski, Lumen Coelum. Über ein Leitmotiv bei Goethe und Puschkin in Landauer Schriften zur Kommunikations- und Kulturwissenschaft Band 1 Herausgegeben von Gerhard Fieguth, Detlev Gohrbandt, Jan Hollm, Heinz-Helmut Luger, Stephan Merten Gerhard Fieguth (Hrsg.) Begegnungen mit Goethe. KnechtVerlag).

Es ist schon erstaunlich wieviel Mühe Rostislav Danilevski sich gibt das Offensichtliche unter einem Schwall von religionsphilosophischen Phrasen zu begraben.
Der Reiz des Gedichts liegt doch gerade darin, dass unser „armer Ritter“ gegen alle Vernunft Maria liebt und ganz real als Frau begehrt.

„Nie bat er um Gottes Segen,
Und die Fasten hielt er nie
Und er ging auf dunklen Wegen
Zu der Gottesmagd Marie.“

Er „ging auf dunklen Wegen“ wie jeder Liebhaber, der zur Frau eines anderen geht und natürlich bittet er nicht um Gottes Segen, wenn er zur „Gottesmagd Marie“ geht.

Wobei die Stellung Gottes zur Mutter seines Kindes durchaus merkwürdig ist.
Er hat zwar von ihr ein Kind, hat aber nie auch nur einen Moment daran gedacht, dafür die normale Verantwortung als Ehemann zu übernehmen.
Die Stellung Marias ist vergleichbar den beiden Haussklavinnen Bilhas und Silpas die für Jakobs Frauen Lea und Rachel jeweils Kinder bekommen, nachdem diese im Gebärwettstreit um die zwölf Söhne Israels zurück zu fallen drohen.
„Jakob hatte zwölf Söhne. Die Söhne Leas waren: Ruben, der Erstgeborene Jakobs, ferner Simeon, Levi, Juda, Issachar und Sebulon. Die Söhne Rahels waren: Josef und Benjamin. Die Söhne Bilhas, der Magd Rahels, waren: Dan und Naftali. Die Söhne Silpas, der Magd Leas, waren: Gad und Ascher.“
(Genesis, 35, 22-27).
Deswegen ist sie auch „Gottesmagd“ und nicht etwa Gottes Frau.
Sie ist gewissermaßen das Pflanzgefäß für seinen göttlichen Samen.
Trotzdem oder gerade deswegen müssen natürlich Maria und ihr „armer Ritter“ vorsichtig sein mit ihrer verbotenen Liebe.

Um so bewundernswerter ist der Mut dieser Frau, die, als der „Böse“ ihren Ritter holen will, zu Gott geht und für ihn bittet:

„Doch die Reine, Gnadenreiche
Trat vor Gott und bat für ihn,
Und empfing im Himmelreiche
Ihren treuen Paladin. „

Und wir wünschen den beiden ewiges Glück und dass ihre Liebe dafür reicht.

Zuvor wollen wir uns aber noch ein wenig an Rostislav Danilevski und seinen geistigen Pirouetten ergötzen mit denen er Puschkin, Maria, den „armen Ritter„, Dostojewskij und zu allem Überfluß auch noch den Heiden Goethe zu treuen rechtgläubigen „Gliedern“ der einen orthodoxen Kirche erklärt.

Zwar teilt er mit:
„In seinen Jugendjahren (1821) dichtete Puschkin ein freigeistiges Rokoko-Poem im Stil von Voltaires Gabrieleade, wo die evangelische Geschichte der Verkündigung Maria travestierd wurde. Die Schönheit und Grazie der Verse bewahrten aber das Poem vor allem Verdacht der Plattheit. Die Gottlosigkeit der Gabrieleade bleibt eigentlich, im Grunde genommen, problematisch.“
Uns macht er eher neugierig.
Trotz dieses sehr interessanten Hinweises, dass Puschkin tatsächlich Maria in erster Linie als Frau sieht, weil er sie auch früher schon so gesehen hat, resümiert er das Gedicht folgendermaßen:
„Das Himmelslicht, Lumen Coelum des Armen Ritters, bedeutet hier die höchste Gerechtigkeit und Wahrheit, welche nicht nur von einer Konfession oder Kirche vertreten werden kann, sondern auch von der Persönlichkeit durch ihre eigenen Bemühungen auf ihren individuellen Wegen erreichbar ist. Eine Anknüpfung an pietistische Traditionen wäre hier zu vermuten. Das Bild erinnert uns auch an die Idee des Lichtes, welches „das Fett oder Wasser des Lebens oder des Himmels" ist, wie der geniale Schwärmer Jakob Böhme sich in seiner Schrift ..Aurora, oder Morgenröthe im Aufgang“ einmal ausgedrückt hat.“.

Vor unserem geistigen Auge erscheint direkt eine Maria mit Dutt, so angezogen, dass alle körperlichen Reize verborgen bleiben müssen, wie sie mit ihrem „armen Ritter“ in guter pietistischer Tradition Bibelstunden abhält.
Dieser sitzt schmachtend zu ihren Füßen aber statt eines Kusses erreicht ihn das Wort Gottes.
Vielleicht diskutieren sie dann gemeinsam über „feministische Theologie“ und darüber, ob Gott, falls er eine Göttin ist, wirklich so herzlos sein kann, dass sie ihr Kind von einer anderen austragen lässt um es dann etwas so albernem wie einer abstrakten Idee, und sei es auch die Idee der Liebe, zu opfern.

Nachdem Danilevski Puschkin so zum Heiligen erklärt hat, ist dann kein geringerer als Goethe an der Reihe.
„Und das verklärte Gretchen betet vor Mater Gloriosa:“ so der verklärte und verzückte Rostislav Danilevski aus Faust 2 zitierend:
„Neige, neige,
Du Ohnegleiche,
Du Strahlenreiche,
Dein Antlitz gnädig meinem Glück!"

Im allgemeine beweist diese Stelle weniger Goethes Gläubigkeit als vielmehr dass er ein Landsmann von Papa Hesselbach ist und also auch im Blauen Bock hätte auftreten dürfen.
„Neige“ reimt sich erst dann auf „Ohnegleiche“ und „Strahlenreiche“ wenn man es „Neiche“ ausspricht, was jeder Frankfurter so tun wird.

Bleiben uns noch Rostislav Danilevskis „
Schlussbemerkungen“:
Eine gewisse Ähnlichkeit verbindet die Entscheidungen in den beiden Werken. Die Leidenschaft des Armen Ritters führt ihn zwar von einer frommen in eine beinahe irdische, mindestens eine verdächtig leidenschaftliche Liebe. Fausts unersättlicher „dunkler Drang" zieht ihn umgekehrt durch die verbrecherische und sinnliche Liebschaft mit Margarethe und über andere Irrungen und Streiche des zweiten Teiles der Tragödie in die „höhern Sphären" der himmlischen Liebe.
Dieser Verschiedenheit ihrer Wege ungeachtet, finden die beiden die gleiche Rettung und werden, auf das Wort ihrer Liebenden, von der irdischen Unvollkommenheit glücklich erlöst. Also sind die Motive des Lichtes und der Liebe für den deutschen wie auch für den russischen Dichter von gleicher leitender Bedeutung gewesen. Erblickt man in ihnen eine poetische Metapher Gottes, so mag es dahingestellt bleiben; für die menschliche Praxis ist aber wichtig, dass diese Leitmotive dem Menschengeist dienlich sind, indem sie ihm zum rechten Wege verhelfen, Oder, wie Puschkin in seiner Variation des Exegi Monumentum von Horaz einmal gesagt hat, „das Gefühl des Guten" im Menschen erwecken. Wahrlich ist diese Erde für Goethe und Puschkin nicht dunkel gewesen! Das Lumen Coelum, oder, wie Wladimir Solovjov anlässlich des Faust-Finales formulierte, „das geistige Licht des absoluten Ideals" warf auf die spätere Kultur Russlands seinen Abglanz. Dafür war vor allem Fedor Dostojewski Kronzeuge. Die Gestalt des Armen Ritters diente ihm als poetische Rechtfertigung seines Fürsten Myschkin, eines christlich-reinen, freilich eines utopischen Charakters, der, um Christus nachzuahmen, keine scheinheilige Frömmigkeit brauchte. Außerdem waren die Helden der Ballade Puschkins und des Dostojewski-Romans in materieller Hinsicht arm, was, vom evangelischen Standpunkt gesehen und besonders in der russischen Welt, ihre Nähe zur göttlichen Wahrheit bezeichnet. Auch in der Kultur der deutschen Zunge kommen ähnliche Figuren von Zeit zu Zeit vor, wie z.B. Hutten, oder Jürg Jenatsch bei K. F. Meyer, ein „Narr in Christo Emmanuel Quint" bei G. Hauptmann oder H. Manns französischer König Henri Quatre. Das sind m. E. Beweise der inneren und tiefen geistigen Verwandtschaft und vielfältiger Beziehungen der Nationalkulturen Goethes und Puschkins.“

Wenn übrigens ein (Fast)-Millionen-Erbe wie Myschkin „arm“ ist, was ist dann „reich“ ?
„Das Lumen Coelum, oder, wie Wladimir Solovjov anlasslich des Faust-Finales formulierte, „das geistige Licht des absoluten Ideals" warf auf die spätere Kultur Russlands seinen Abglanz.“ Der Autor weiß hier gar nicht wie wahr er spricht. Allerdings endet er bei Dostojewskij und vergisst Lenin und Stalin.
„Das geistige Licht des absoluten Ideals“ entfacht ein sehr gefährliches Feuer in dem Menschen, Häuser, Bücher alle gleichermaßen verbrennen.
Insofern hat er leider noch nicht einmal unrecht, wenn er da von einer „geistigen“ Verwandtschaft zwischen Rußland und Deutschland spricht. Allerdings tut er Puschkin und Goethe unrecht, denn die beiden stehen gerade nicht für die „Verehrung des absoluten Ideals“.
Deren beider leidenschaftliche Verehrung der Weiblichkeit als „absolutes Ideal“ ins Körperlose zu entrücken, bedarf schon allerhöchster Anstrengungen der Ignoranz.
Und ich hoffe und bete, dass er auch dem heutigen Deutschland damit Unrecht tut. Die schwarz-rot-goldenen Fahnen z.B. bei
Weltmeisterschaften gelten jedenfalls mehr der Feier von Fußballerbeinen als der „Verehrung des absoluten Ideals“.
Es spielt übrigens letztlich keine Rolle für welches Ideal das Feuer brennt. Ob es Kommunismus heißt, auch Demokratie kann es sogar heissen, Nation, Christliche platonische Gottesliebe oder am Ende Islam:
Es ist immer dasselbe Feuer aus Selbstgerechtigkeit, Besserwisserei und
Verachtung für alles Leibliche das uns die Katastrophen beschert.

Und es ist die große Leistung Puschkins, dass er die tief in unserer Kultur eingebrannte Aufspaltung der Frauen in Heilige und Huren, deren einer Pol ja gerade die „Heilige Jungfrau“ bildet, die immer „rein und zart“ sein soll, wobei „rein“ eigentlich asexuell heißt und zart, mit seiner Verbindung zu zärtlich doch wieder ins sinnliche weißt, dass er diese Spaltung aufgehoben und aus Maria eine begehrte und begehrungswerte Frau macht, gewissermaßen die Königin aller begehrenswerten Frauen.

Der „Arme Ritter“ von Alexander Block



Ein Yankee aus Conneticut an König Artus Hof -
Mark Twain und das Rittertum


Ein Fabrikaufseher einer Waffenfabrik in Hartford (Conneticut) bekommt von einem Untergebenen eins auf den Schädel und landet prompt im 6. Jahrhundert erst auf einem Baum und dann am Hofe des König Artus.
Dank einer Sonnenfinsternis, die er vorhersagen kann, kann er sich zum Oberzauberer aufschwingen und Merlin zur Seite drängen.
Als richtigem „Businessmen“ ist ihm die feudale Bärenhäuterei zuwider und er nutzt seine Vertrauensstellung beim König um das Reich des König Artus auf den rechten kapitalistischen Weg zu bringen.
Z.B. initiiert er wegen der mangelhaften Hygiene eine Seifenfabrik und schickt dann Ritter übers Land um Seifenreklame zu machen. Mit fast schon missionarischem Eifer versucht er die feudale Ordnung durch Geschäftssinn zu unterspülen.
Er ist mindestens so tüchtig im Geschäftemachen wie die Ritter im Lanzenschwingen. Während aber die Ritter behaupten für die Frauen zu kämpfen, ist ihm Business Selbstzweck bei dem Frauen nur stören.
Er verkörpert gewissermaßen das „innerweltliche Mönchtum“, von dem Max Weber redet, ganz perfekt.
So perfekt, dass er in große Verlegenheit kommt, als Alisante la Carteloise auftaucht und von einem verwunschenen Zauberschloss erzählt. Unser Yankee hält sie für so „glaubwürdig wie eine Damenuhr“, aber es hilft nichts: Sie wird seine Dame und der König schickt ihn mit ihr auf Abenteuerfahrt.
Als ihm das mitgeteilt wird, ist er entsetzt, dass er allein mit Alisande, die er bald „Sandy“ nennt, im Wald unterwegs sein soll.
„Was ? Allein mit mir durch Wald und Heide, wo ich so gut wie verlobt bin ? Das ist ja skandalös. Was sollten die Leute davon halten ?“
Und so erinnert er sich zum ersten Mal nach 4 Jahren im Reiche Arthurs an seine Verlobte Mieze Flannagan aus East-Hartford.
Auf der Reise behält er auch nachts seine eiserne Rüstung an, damit ihn Sandy nicht in Unterkleidung sieht.

Vermutlich wurde extra für ihn das Wort von der „toten Hose“ erfunden.
Sein Kampf gegen den Feudalismus endet schliesslich in einem Gemetzel wie am Little Big Horn. Verletzt durch einen Messerstich kehrt er zurück ins 19.Jahrhundert und fantasiert dort im Fiebertraum von seiner Sandy.
Man versteht nach diesem Roman, warum Männer, die Frauen verstehen immer noch Kavaliere heißen und Königshochzeiten Frauenherzen höher schlagen lassen. Bourgeoisie und Kapitalismus haben zwar das Rittertum entthront, aber die Prüderie der „Macher“ hat die Frauenherzen nicht höher schlagen lassen.


Kann Myschkin ein Ritter sein ?

Für Myschkin und alle Myschkins ist das männliche Ideal des Rittertums eine sehr gefährliche Falle.
Einerseits ist es übermächtig, gewissermaßen die allgemein als gültige akzeptierte Norm männlichen Verhaltens überhaupt.
Andererseits ist es unerfüllbar. Zumindest für jeden Myschkin.

Wie mächtig diese Norm ist, kann man sich klar machen, wenn man berücksichtigt, dass aus dem Ritter auch ein Cowboy oder ein Actionheld amerikanischer oder chinesischer Art werden kann, ohne das sich am Prinzip etwas ändert:
Die Fähigkeit jeden Kampf mit männlichen Konkurrenten zu gewinnen ist kombiniert mit der Fähigkeit jeder Frau zu gefallen und zugleich zu wissen, was ihr gefällt.
Man kann sich Sean Connery als perfekten Ritter Gawan vorstellen und Gerd Fröbe als Zauberer Klingsor und dann spielt „Goldfinger“ im Gralsland. Die Muster, die sich z.B. im „Parzival“ des Wolfram finden, wiederholen sich in Hollywood tausendfach.
Und immer ist der perfekte Mann starker, gewandter Totschläger, Überwinder alles Bösen und perfekter, zärtlicher Frauenversteher in einer Person.
Die Orginalität (oder auch nicht) liegt einzig in der Variation dieser Grundkostellation.
Dass dieses Ideal auch für normale Männer unerfüllbar ist, muss man nicht lange diskutieren. Es gilt aber als erstrebenswert. Mann muss sich bemühen dem so nahe wie möglich zu kommen.

Dieses dem Ideal nahe kommen wollen, führt aber bei Myschkin und den Myschkins nur dazu, dass sie gewissermaßen als Einbeinige versuchen Tango zu tanzen und damit im günstigsten Fall nur auf Mitleid rechnen können.
Ansonsten ist ihnen der Spott sicher.
Natürlich erliegt trotzdem der Einbeinige immer wieder der Versuchung Tango tanzen zu wollen, vor allem wenn die Frau schön und begehrenswert ist !

Das Ritterideal erklärt gerade das zu männlichen Kerntugenden was der
„epileptischen Kanaille“ abgeht:
Schnelles Reaktionsvermögen.
Wenn zwischendurch mal die Geigen jauchzen in diesen Ritterfilmen, darf
auch mal Empathie gezeigt werden. Das beeindruckt dann die Frauen.
Aber im Vordergrund steht ganz eindeutig die Fähigkeit schnell, entschlossen und richtig zu handeln, nicht die Fähigkeit sich ein zu fühlen und eigenes und fremdes Tun kritisch zu reflektieren.
Wer den Ball nicht fängt, weil der immer gerade dort ist, wo er ihn nicht erwartet, wird die Tugenden des schnellen Zupackens nicht haben können.

Der Yankee Mark Twains, ist zwar als Kaufmann und „Macher“ ein Gegenbild zum Ritter, aber sein Einsatz im Reiche König Arturs endet nicht nur in einer Katastrophe, er ist eine. Ganz speziell was sein Verhältnis zu seiner Dame, Sandy, wie er sie nennt, angeht.
Wenn man diese Geschichte gelesen hat, versteht man, warum der „Moneymaker“ den Chevalier bei den Frauen nicht verdrängen kann.

Für Myschkins sind beide Männer-„Ideale“ unerreichbar. Ob das allerdings wirklich ein Verlust ist, kann man bezweifeln.
Wie tief allerdings die Sehnsucht der Frauen nach dem „guten Ritter“ verankert ist, wie sehr dieses „Ideal“ das Geschlechterverhältnis prägt, zeigt gerade die feministische Sicht auf den Parceval-Mythos, die „Ausgrabungen“ Göttner-Abendroths. Zwar ist lange nicht entschieden, ob Parceval in den Dienst des Frauenfeindes und Kriegsherren Arthur oder des „heiligen Grals“ und damit des weiblichen Geschlechts in seiner doppelten Bedeutung, tritt. Aber so oder so bleibt er Krieger, bleibt seine Männlichkeit an Schwert und Lanze gebunden, während reflektierte Empathie, so sie nicht weiblich ist, nur „keuschen“ Mönchen und Einsiedlern vorbehalten ist.

Wie wir gesehen haben, war auch der „arme Ritter“ Puschkins ein Ritter. Aglaja sieht ihren Myschkin als Ritter im Dienste Natasjas und sie möchte, dass er in ihre Dienste tritt.
Sie vermutet, dass Myschkins Gefühle zu Natasja mehr dadurch bestimmt sind, dass er sich endlich als Ritter erweisen kann, als durch Liebe. Sie ist überhaupt die klügste Person in diesem Roman.
Aber sie begeht einen verhängnisvollen Irrtum und erkennt nicht, dass er nicht ihr Ritter werden darf, sondern von jeglichem Rittertum und Zwang zum Rittertum erlöst werden muss.
Es wäre für beide eine Befreiung.
Diese Befreiung verfehlt sie und verzehrt sich stattdessen in Eifersucht darüber, dass „ihr“ Ritter der falschen Dame dient. Sie übersieht dabei ganz, dass die 2 Wochen mit Natasja für ihn die schlimmsten Wochen seines Lebens waren, eben weil er als Ritter ohne Furcht und Tadel eine absolute Fehlbesetzung ist.
Aber auch er möchte unbedingt ein Ritter sein und Natassja retten, vor allem vor dem bösen Drachen Rogoschin. Und das, obwohl er weiß, dass er gegen diesen nicht die geringste Chance hat.