Vorbemerkung


Wenn ich ihnen sage, dass ich schon epileptische Anfälle hatte, beschreibe ich ihnen keine Krankheit. So wenig wie ich ihnen eine Krankheit beschreibe, wenn ich ihnen sage: "Damals hatte ich Fieber".
Als ich 4 Jahre alt war, hatte ich schweres Fieber: Ich hatte die Masern und eine leichte Lungenentzündung. Und irgendwann hatte ich das, was man in der Pfalz die "Gischdere" nennt.
Auf Hochdeutsch: Ich hatte Fieberkrämpfe.
Mit Fieber wehrt sich der Körper gegen eine Infektion. Und mit Epilepsie wehrt sich das Gehirn. Die Frage ist: Wogegen ?
Es kann eine Geschwulst sein, eine Hirnverletzung oder die Ursache ist „idiopathisch“. „Idiopathisch“ steht im Medizin-Jargon für „I don't know“.
An einer solchen „idiopathischen Epilepsie“ auch „genuine Epilepsie“ genannt leide ich.
Genauer gesagt an einer „Aufwachepilepsie“. Man vermutet bei einer solchen Epilepsie einen Zusammenhang mit dem Schlaf-/Wach-Rhythmus mit zu vielen Träumen und zu wenig Tiefschlaf.
Wir gelten gewissermaßen als Träumer und Chaoten unter den Epileptikern.

Jeder Mensch kann einen Anfall bekommen. Die Ärzte wissen sogar sehr gut, wie sie einen Anfall provozieren.
Auch ohne jede Provokation erleiden ca.5% der Bevölkerung einmal im Leben einen Anfall.


Diese Menschen gelten aber nicht als epilepsiekrank.
Als krank gilt man erst, wenn man immer wieder Anfälle bekommt.
Zwischen meinem 16. und meinem 18. Lebensjahr hatte ich ca. alle 14-Tage mindestens einen Anfall. Danach, vor allem nach richtiger medikamentöser Einstellung bekam ich nur noch ca. alle 3 Jahre einen Anfall.
Inzwischen nehme ich seit ca. 20 Jahren keine Tabletten mehr und bin anfallfrei.


Ich kann somit sagen: ich bin gesund.

Trotzdem bin ich anders. Und um dieses Anderssein soll es hier gehen.

Dabei beziehe ich einen radikal subjektiven Standpunkt:

Ich versuche mich selbst zu erkunden und die Ergebnisse dieser Erkundung mit der eines Anderen zu konfrontieren, ihn als meinen Spiegel zu benutzen.
D.h. mein Gegenstand ist jener Fürst Myschkin und die Frage in wie fern ich selbst ein Myschkin bin.
Wobei das für mich gar keine Frage ist:
Der Fürst ist so was wie mein älterer Bruder.
Deswegen möchte ich ihn auch ein bisschen in Schutz nehmen z.B. gegen Fehlinterpretationen. Fehlinterpretationen z.B. von Ärzten für die er zu Recht eine Art Modellkranker ist, Fehlinterpretationen aber auch durch ihn selbst bzw. seinen großen Schöpfer Dostojewksij.
Nein, er ist kein verhinderter Heiliger, der die Idee der Liebe der körperlichen Liebe vorzieht. Er scheitert nur, weil er so wie er ist, bestimmte Forderungen und Anforderungen seiner Mit- und Umwelt nicht gerecht werden kann u.a. auch beim üblichen Balzritual.
Er ist auch nicht das große, naive Kind als das ihn andere abstempeln.

Er „tickt“ einfach nur anders.
Und sein größter Wunsch ist es, so zu sein wie alle anderen.
Das ist zugleich sein größter Fehler.
Und damit steht er nicht allein: Alle Myschkins dieser Welt möchten nicht mehr als das: sein wie alle anderen.

Wir sind es aber nicht.
Manches, was andere für schwierig erachten, fällt uns leicht.
Und anderes, von dem alle meinen: das kann doch jeder, können wir nicht.
Und so meinen wir ständig uns entschuldigen müssen, für das was wir nicht können und wundern uns, wenn andere uns für etwas loben, was doch ganz leicht ist und keine Mühe macht.

Nur wenn wir uns offen dazu bekennen, dass wir so wie wir sind, anders sind, haben wir die Chance allen Peinlichkeiten zu entgehen und nicht zu scheitern.

Natürlich gehören dazu immer zwei:
Die, die den Mut haben zu sagen: Ja, ich bin anders.
Und auf anderen Seite eine Gesellschaft die Anderssein nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung ihrer Identität erlebt.
Eine Gesellschaft, die das Nicht-Identische nicht vernichten will, sondern sich einverleiben.
In so fern lebe ich heute hoffentlich in besseren Zeiten als Myschkin.
In Zeiten, die auch deshalb besser sind, weil Leute wie ich dafür gekämpft haben.
Und die mir deswegen auch den Mut geben, über dieses Anderssein zu reden.