Im Stück „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“ von Peter Weiss ereignet sich im 1.Akt in der 14.Szene ein „bedauerlicher Zwischenfall“, wobei man nicht weiß, was am Bedauerlichsten ist:
Der Zwischenfall selbst oder dass Weiss diesen „Zwischenfall“ so auf die Bühne bringt:
„Im Hintergrund wird ein Patient, der sich eine priesterliche Halskrause umgelegt hat, von einem Anfall ergriffen und hüpft auf den Knien nach vorn.
PATIENT überstürzt stammelnd
Betet betet
betet ihn an
Satan der du bist in der Hölle
dein Reich komme
dein Wille geschehe
wie in der Hölle also auch auf Erden
Vergib uns unsere Unschuld
erlöse uns von allem Guten
Führe uns
Führe uns in Versuchung
in Ewigkeit
Amen
Coulmier ist aufgesprungen. Pfleger werfen sich über den Patienten, binden ihn, schleppen ihn nach hinten ab. Er wird unter eine Dusche gestellt.
AUSRUFER schwingt die Holzrassel
Zwischenfälle dieser Art sind nicht zu vermeiden
sie gehören bei uns zum Bild der Leiden
Lassen Sie uns mit Ehrfurcht bedenken
daß jener den sie dort hinten zur Besinnung lenken
einmal als Prediger sehr bekannt
einem berühmten Kloster vorstand
Lassen Sie es als eine Erinnerung gelten
an die Undurchschaubarkeit himmlischer und irdischer Welten
schwingt die Rassel zum Abschluß.
Coulmier setzt sich.
Die Patienten ziehen sich zurück und strecken sich, von Schwestern und Pflegern überwacht, auf den Bänken aus.“
Soweit der „bedauerliche Zwischenfall“. In der nähsten Szene „Fortsetzung des Gesprächs zwischen Marat und Sade“ sagt Sade:
„Um zu bestimmen was falsch ist und was recht ist
müssen wir uns kennen
Ich
kenne mich nicht“
Vielleicht sollten Weiss/Sade die Sache nicht zu hoch hängen: Auch wenn wir uns in einem umfassenden Sinn nicht kennen und vielleicht gar nicht kennen können, wäre doch schon viel gewonnen, wenn wir wenigstens Kenntnisse hätten.
Die absolute Kenntnisslosigkeit mit der Weiss das Thema Epilepsie hier auf die allerdümmste und primitivste Art abhandelt, lässt uns selbst im Nachhinein noch rot vor Scham werden.
Zumal gerade Weiss wusste und wissen musste, dass das „Vergasen“, bevor es in Auschwitz und Maidannek im industriellen Maßstab ausgeführt wurde, in den „Anstalten“ im Technikums-Maßstab an den verschiedenen Sorten von „Idioten“ erprobt wurde.
Natürlich lebt Theater vom Rummel, vom Spektakel.
Die Herkunft vom Jahrmarkt ist offensichtlich und überhaupt keine Schande.
Und natürlich verlangt der Rummel nach dem deutlichen Knalleffekt, nach der „Theatralik“. Es soll donnern und blitzen.
Trotzdem oder gerade deswegen gehört das Verbreiten primitiver und für die Betroffenen potentiell bedrohlicher, ja lebensbedrohlicher Vorurteile nicht zu dem, was dem Theater erlaubt ist.
Dabei geht es nicht um Zensur, sondern um Verantwortung.
Die Verächtlichmachung Schwacher ist eines intelligenten und klugen Menschen unwürdig.
Das Spielen mit Vorurteilen um der Effekthascherei willen, können wir nur aus tiefstem Herzen verachten.
Zumal eine epileptischer Anfall, einfach nur als Anfall dargestellt, durchaus dramatisch und effektvoll ist.
Meistens wirkt er verstörend und erschreckend, auf die Zuschauer.
Das Auf-die-Bühne hoppeln, das Weiss zu einem Teil des Anfalls werden lässt, wirkt dagegen nicht erschreckend, sondern lächerlich.
Und die Anrufung des Satans durch den Epileptiker (der auch noch ein gewesener Priester sein soll) ist bloßes Vorurteil.
Allerdings brandgefährlich für jeden Idioten.
Schließlich hat die katholische Kirche den Exorzismus noch in ihrem Repertoire.
Wir erinnern uns, dass in den siebziger Jahren in der Gegend von Würzburg Anneliese Michel, einer Epileptikerin solange der Teufel ausgetrieben wurde, bis sie qualvoll gestorben war.
Und wir wissen auch, dass damals noch ein Theologieprofessor in Würzburg lehrte und seinen Bischof beriet, der später zum Haupt der Inquisition und sogar der ganzen katholischen Kirche wurde.
Damit ist und bleibt die Verknüpfung von Epilepsie und Teufel gefährlich, mitunter lebensgefährlich für EpileptikerInnen.
Von Peter Weiss hätte man erwarten können, dass er das weiß.
Aus der Wikipedia erfahren wir dazu folgende Geschichte:
„Ab 1959 besuchte Anneliese Michel die Volksschule in Klingenberg, zur 6. Klasse wechselte sie an das Karl-Theodor-von-Dalberg-Gymnasium in Aschaffenburg, wo sie als hochintelligent galt, aber wegen nervlicher Probleme auffiel.
So biss sie sich im Jahr 1968 bei einem Krampfanfall in die eigene Zunge, woraufhin bei ihr eine generalisierte Epilepsie mit Anfällen vom Typ Grand Mal diagnostiziert wurde, wogegen sie antikonvulsive Mittel erhielt.
Anneliese Michel ging mehrmals wöchentlich zur Messe, betete regelmäßig Rosenkränze, schlief zur Sühne manchmal auf dem Fußboden. Sie war Mitglied im Sportverein und erhielt Klavier- und Akkordeonunterricht.
Nach einer Mandeloperation, einer Rippenfell- und anschließender Lungenentzündung erkrankte sie an einer Lungentuberkulose. Sie hielt sich deswegen im Jahre 1970 sechs Monate in der Lungenheilanstalt von Mittelberg im Allgäu auf.
Anneliese war außergewöhnlich gut in der Schule und hatte den Wunsch, Lehrerin zu werden. Ihre Eltern unterstützten sie in diesem Vorhaben. Nach ihrem Abitur im Jahr 1973 studierte sie ab dem Herbst desselben Jahres an der Pädagogischen Hochschule in Würzburg. Sie wohnte im Ferdinandeum, dem katholischen Wohnheim der PH.
Beim Besuch verschiedener Ärzte wurde eine Temporallappenepilepsie diagnostiziert und mit dem Antikonvulsivum Carbamazepin behandelt. Eine eingehende psychiatrische Untersuchung mit psychopathologischem Befund fand anscheinend nie statt. So ist unklar, ob sie zusätzlich noch an einer psychischen Krankheit litt (z. B. einer neuronalen Störung wie Trance- und Besessenheitszustand ICD 10 F 44.3). Sie starb 1976 an den Folgen von Unterernährung und Entkräftung. Bei der Obduktion wurde eine Lungenentzündung festgestellt. Eine pathologische Veränderung im Schläfenlappenbereich ließ sich nicht feststellen, allerdings ist dies kein Beweis dafür, dass sie keine Epilepsie hatte. In den letzten Monaten ihres Lebens war mit Genehmigung des Würzburger Bischofs Josef Stangl von Pater Arnold Renz († 1986) und Pfarrer Ernst Alt der Große Exorzismus nach dem Rituale Romanum durchgeführt worden. Schon mehrere Jahre lang hatte sie auffallend wenig gegessen und in den letzten Monaten schließlich jegliche Nahrungsaufnahme verweigert. Bei ihrem Tod wog sie nur noch 31 kg. Pfarrer Alt nahm daraufhin selbst mit der Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg Kontakt auf.
Anneliese Michel brachte sich nach den Aussagen der Anwesenden schwere Verwundungen bei, darunter Blutergüsse im Bereich beider Augen. In den letzten Wochen ihres Lebens wurde sie zeitweise ans Bett gefesselt, um schlimmere Verletzungen zu verhindern. Darüber hinaus ist noch von abgebrochenen Zähnen und Wundmalen die Rede, die an Körperstellen aufgetreten waren, wie sie häufig mit Jesus Christus in Verbindung gebracht werden. Aller Wahrscheinlichkeit nach beruhen sämtliche Verletzungen auf Selbstgeißelungen oder unkontrollierten Handlungen während spontaner Anfälle. Sie sind auf mehreren Fotos dokumentiert.
Befreundete Kommilitoninnen berichten, dass Anneliese schon im Studentinnenwohnheim einer Rosenkranzgebetsgruppe angehörte. Als sich ihr Zustand verschlimmerte, hätten diese das Herbeirufen eines Notarztes verhindert und stattdessen einen Exorzisten geholt, der sich als Annelieses Hausarzt ausgegeben habe; somit habe Anneliese schon in einem verhältnismäßig frühen Stadium ärztliche Hilfe gefehlt.
Aus Tonbandaufzeichnungen geht hervor, dass Anneliese Michel mit stark veränderter Stimme sprach und immer wieder spontane Schreie ausstieß. Sie benutzte grob unflätige Ausdrücke, welche die Exorzisten Dämonen zuschrieben. Auch menschliche Dämonen, die sich als Hitler oder Nero ausgegeben hätten, wollen die Priester bei dem Mädchen ausgemacht haben.
Im Gerichtsverfahren, das als der Aschaffenburger Exorzismus-Prozess weltweit bekannt wurde, beantragte die Staatsanwaltschaft am 19. April 1978 die Bestrafung der Angeklagten wegen „fahrlässiger Tötung durch Unterlassung“. Die Priester sollten eine Geldstrafe erhalten, für die Eltern wurde kein Strafmaß gefordert, da sie am Verlust der Tochter schon schwer genug zu tragen hätten. Richter Elmar Bohlender folgte diesem Antrag nicht, sondern verurteilte sowohl die Eltern als auch Pater Renz und Pfarrer Alt am 21. April 1978 zu je sechsmonatigen Haftstrafen, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das Gericht warf ihnen vor, sie hätten für medizinische Hilfe sorgen und einen Arzt hinzuziehen müssen.
Am 25. Februar 1978 fand eine Exhumierung der Toten statt. Als Grund gaben die Eltern an, Anneliese hätte in großer Eile in einem billigen Sarg bestattet werden müssen, jetzt wolle man sie in einen mit Zink ausgeschlagenen Eichensarg umbetten. Im Hintergrund stand aber vermutlich auch die Behauptung einer Nonne aus dem Allgäu, Anneliese sei ihr erschienen. Sie hätte angekündigt, ihr Körper sei bisher unverwest. So würde die übernatürliche Natur des Geschehenen belegt. Das offizielle Ergebnis der Exhumierung lautete aber auf eine dem Zeitrahmen entsprechende Verwesung. Von den Angeklagten hat sie niemand gesehen. Pater Renz sagte, er sei am Betreten der Leichenhalle gehindert worden.“
Im Internet finden sich unter dem Stichwort „Anneliese Michel“ zahlreiche Seiten, die vor allem eines beweisen:
Dass die religiösen Fanatiker über ihre Untaten keinerlei Reue empfinden !
In einem der „Wikipedia“ nach empfundenen „Kathpedia“ erfahren wir folgendes:
„Das Exorzitat (Exozist) ist die zweite Niedere Weihe zum Priestertum in der außerordentlichen Form des römischen Ritus. Sie entfiel im ordentlichen römischen Ritus durch das Motu proprio Ministeria quaedam vom 15. August 1972 des Papstes Paul VI. über die Reform der Weihestufen in der lateinischen Kirche.
Das Wort Exorzismus kommt aus dem Griechischen. Man versteht darunter einen im Namen Gottes an den Teufel gerichteten Befehl, einen Menschen oder einen Gegenstand zu verlassen und ihm nicht zu schaden. In einer Zeit, in der sogar Christen den Teufel leugnen und andererseits der Satanismus in erschreckendem Ausmaß ständig neue Blüten treibt, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass sowohl die Existenz des Satans als auch einer ewigen Hölle sicheres katholisches Glaubensgut ist [vgl. KKK 391 und 1035].
Der Exorzistendienst hat sich in der frühen Kirche als ein eigenes Amt herausgebildet. Wenn auch die Kirche später das Recht, Exorzismen vorzunehmen, stark eingeschränkt hat, so hat sie doch die Exorzistenweihe als Vorstufe zum Priestertum beibehalten. Der Exorzist erhält Anteil an der priesterlichen Gewalt, das Böse zu bannen. Sie wird verliehen als eine potestas ligata, d. h. als eine zwar reale, aber gebundene Gewalt. Um sie auszuüben bedarf es nach geltendem Kirchenrecht einer besonderen und ausdrücklichen Erlaubnis des Ortsbischofs [vgl. CIC Can 1172 § 1).
(www.kathpedia.de/index.php?title=Exorzist )“
Die Autoren scheinen gar nicht zu begreifen, dass es ein Unterschied ist, ob man an die Existenz des Bösen glaubt (und es als „Satan“ personifiziert) oder ob man behauptet, dass jemand vom Teufel besessen ist.
Es ist ein Verbechen, auch im christlichen und katholischen Sinn, wenn man Kranke, statt ihnen zu helfen, als vom „Teufel besessen“ diffamiert.
In der gleichen „Kathpedia“ wird übrigens die Verurteilung der Eltern und des Exorzisten als „Schauprozess“ abqualifiziert.
So als sei es eine lässliche Sünde jemand verhungern zu lassen.
Paradigmatisch für das fehlende schlechte Gewissen ist auch die Abhandlung eines Herrn Christian Sieberer: Kommentar zum „Fall Klingenberg“, Anneliese Michel. „Der Autor ist römisch-katholischer Priester.“ heißt es dazu im Wikipedia-Artikel zu Anneliese Michel.
Bei Herrn Sieberer finden wir folgendes:
„In der Presseerklärung zum "Fall Klingenberg", die Kardinal Josef Höffner, der damalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am 28. April 1978 veröffentlichte, bestätigte der höchste Vertreter der katholischen Kirche Deutschlands die grundsätzliche Möglichkeit einer dämonischen Besessenheit, indem er schrieb
"Die katholische Theologie hält an der Existenz des Teufels und dämonischer Mächte fest. Es besteht auch für den Menschen des ausgehenden 20. Jahrhunderts kein Grund, das Wirken Satans und böser Geister in unserer Welt zu leugnen oder die Aussagen darüber als absurd zu empfinden. Die Kirche lehrt in ununterbrochener Tradition, dass Gott unsichtbare Wesen mit Erkenntnis und Willen erschaffen hat. Einige wandten sich aus freier Entscheidung gegen Gott als den Urheber alles Guten und wurden böse. Die Kirche ist ferner der Überzeugung, dass diese bösen Geister auch einen unheilvollen Einfluss auf die Welt und den Menschen auszuüben versuchen. Diese Einwirkung hat viele Formen. Eine dieser Formen kann die Besessenheit sein."
Zeitgeist
Der einzigartige rund um den so genannten "Aschaffenburger Exorzistenprozess" machte auch die Früchte zweier damals aktueller Werke sichtbar: "Abschied vom Teufel" von Herbert Haag und "Der Exorzist" von William Friedkin. Die von den Medien kolportierte öffentliche Meinung rechnete nicht mehr mit der Existenz des Teufels, und die von hohen Vertretern der katholischen Kirche veröffentlichten Schreiben ließen erkennen, dass viele Würdenträger dies höchstens nur mehr in der Theorie taten. Einig waren sich diese beiden Seiten vor allem in der negativen Beurteilung eines durch Jahrhunderte bewährten Rituals der größten Glaubensgemeinschaft der Welt, des Exorzismus der katholischen Kirche.“
Zitiert aus Christian Sieberer: Kommentar zum „Fall Klingenberg“, Anneliese Michel. Der Autor ist römisch-katholischer Priester.
Ob Leute, die uns die persönliche Existenz von Dämonen und Teufeln verkaufen wollen, überhaupt einen angemessenen brauchbaren Begriff des ohne jeden Zweifel realen Bösen haben, darum geht es im folgenden Kapitel.
Gut und Böse sind elementare Gegensatzpaare, genau so elementar wie hell und dunkel, hungrig oder satt, richtig oder falsch, süß oder sauer.
Die Selbstverständlichkeit mit der wir diese Begriffe benutzen, verdeckt aber nur wie wenig selbstverständlich sie sind.
Speziell meine Generation (ich bin Jahrgang 1952) war mit einer ganzen Genaration von Erwachsenen konfrontiert, deren Moral streng unterteilt war in die Zeit vor und nach 1945. Vor 45 war der Gehorsam gegenüber dem „Führer“ ein unter Umständen über Leben und Tod entscheidendes Kriterium für „Gut“ und „Böse“. „Gut“ war, was dem nationalsozialistischen Staat und dem „Führer“ nützte und gefiel, „böse“ und todeswürdig war es gegen beide zu rebellieren.
Nach 45 mussten diese Menschen lernen, dass sie nur gut gehandelt hätten, wenn sie nach „alten“ Maßstäben „böse“ gehandelt hätten.
Wobei es auch ein vor 33 gegeben hat, als die nationalsozialistischen Werte noch nicht galten.
Diese zweimalige Umwertung aller Werte lies spätestens in unserer Pubertät unsere Erzieher in unserer Sicht zu verachtenswerten Kretins schrumpfen.
Inzwischen haben wir genügend eigene Sauereien gut geheißen um von unserem hohen Ross ab zu steigen.
Um so dringender stellt sich allerdings das Problem wie wir Moral neu definieren, wenn die alten Lehrer und ihre Lehren so offenkundig versagt haben und unsere jugendlichen Schnellschüsse auch nicht besser waren.
Traditionell unterscheiden wir in unserer Kultur zwischen dem „bösen“ Tier, das seinen Trieben folgt und dem „zivilisierten“ „guten“ Menschen, der seine Triebe beherrscht.
Das „Böse“ wäre demnach in den Trieben zu Hause. Dass wir essen wollen, wenn wir Hunger haben und so wenig warten wollen, wie der Säugling, der sofort nach der Mutter schreit, wäre demnach eine Quelle des „Bösen“.
Dass wir trinken wollen, wenn wir durstig sind, auch.
Und ganz besonders schlimm: Dass wir bei einem hübschen, runden Hintern Lust verspüren, ist gewissermaßen der Gipfelpunkt jeglicher Sünde.
Was ist aber böse daran satt werden zu wollen ?
Und stehen nicht Tiere (jedenfalls die meisten) sowie so jenseits von Gut und Böse ?
Die Selbstverständlichkeit mit der Freud das „Es“ als zu zähmendes, triebhaftes potentiell böses Tier in uns sah und das von den erwachsenen Erziehern geformte „Über-Ich“, das Gewissen, als die Instanz, die das Tier kontrollieren muss, damit wir nicht in Mord und Todschlag enden, erweist sich angesichts der Orgie des Bösen im 20 Jahrhundert als gefährlicher Aberglaube.
Die Massenmörder mordeten mit einem erstaunlich guten Gewissen.
Zur katholischen Tradition gehört die Lehre von den 7 Todsünden.
In der Wikipedia lesen wir dazu folgendes:
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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig. Weitere Bedeutungen sind unter Todsünde (Begriffsklärung) aufgeführt.
Hieronymus Bosch (1450–1516): Die Sieben Todsünden; in den Ecken: Die vier letzten Dinge
Mit dem Begriff Todsünde (peccatum mortiferum) werden im Katechismus der Katholischen Kirche bestimmte, besonders schwerwiegende Sünden bezeichnet.
Davon grenzt die katechetische Tradition der römisch-katholischen Kirche die „lässliche Sünde“ als minderschweres, geringfügiges Vergehen ab. Bestimmte Vergehen bilden als „himmelschreiende Sünden“ eine Unterkategorie der Todsünde, die als Steigerung wahrgenommen wird.
Den Todsünden werden die Haupttugenden gegenübergestellt.[1]
Inhaltsverzeichnis
Damit eine Sünde als schwer zu beurteilen ist, muss sie drei Voraussetzungen erfüllen:[2]
•.Sie muss eine schwerwiegende Materie, insbesondere einen Verstoß gegen die zehn Gebote, zum Gegenstand haben; traditionell werden Ehebruch, Mord oder Apostasie (= Glaubensabfall) genannt.
•.Der Sünder muss die Todsünde „mit vollem Bewusstsein“ begehen, die Schwere der Sünde also bereits vorher erkennen.
•.Die Sünde muss „mit bedachter Zustimmung“ (also aus freiem Willen) begangen werden.
Papst Johannes Paul II. konkretisierte den Begriff Todsünde im Apostolischen Schreiben über Versöhnung und Buße in der Kirche Reconciliatio et paenitentia aus dem Jahr 1984 wie folgt:
Die Lehre der Kirche nennt „denjenigen Akt eine Todsünde, durch den ein Mensch bewusst und frei Gott und sein Gesetz sowie den Bund der Liebe, den dieser ihm anbietet, zurückweist, indem er es vorzieht, sich sich selbst[3] zuzuwenden oder irgendeiner geschaffenen und endlichen Wirklichkeit, irgendeiner Sache, die im Widerspruch zum göttlichen Willen steht“.[4]
Insgesamt kommt in der Todsünde eine Abkehr von der in der Sündenvergebung durch die Taufe begründeten Gemeinschaft mit Gott zum Ausdruck. Für die erneute Vergebung der persönlichen Schuld ist aber keine weitere Taufe erforderlich, sondern es genügt die vollkommene Reue, also die bewusste Hinwendung zur Liebe Gottes. Im Bußsakrament, der Beichte, ist dem Büßer die Vergebung von Todsünden überdies auch ohne Gewissheit über die Vollkommenheit der Reue zugesagt.
Sünden entstehen nach der klassischen Theologie aus sieben schlechten Charaktereigenschaften:
Superbia
Hochmut (Eitelkeit, Stolz, Übermut)
Avaritia
Luxuria
Wollust (Ausschweifung, Genusssucht, Begehren)
Ira
Gula
Völlerei (Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht)
Faulheit (Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens)
Diese Charaktereigenschaften werden als Hauptlaster bezeichnet. Sie sind die Ursache vieler Sünden und können sowohl zu schweren als auch zu lässlichen Sünden führen. Da die Hauptlaster Ursache und somit Wurzel von Sünden sind, werden sie gelegentlich auch als „Wurzelsünden“ bezeichnet; auch der Begriff „Hauptsünde“ ist gebräuchlich.
Verwirrend und theologisch falsch, aber umgangssprachlich gebräuchlich ist die Bezeichnung der sieben Hauptlaster als „sieben Todsünden“; sie sind zwar durchaus auch selbständige Sünden, Todsünden sind aber – sogar der Materie nach, also auch ohne Berücksichtigung der „mildernden Umstände“ Wissens- und Willensmangel – nur einige davon und dann auch meist nur in ihrer vollen Ausprägung.
Erstmals findet sich eine solche Kategorisierung von menschlichen Lastern bei Euagrios Pontikos Ende des 4. Jahrhunderts. Er benennt acht negative Eigenschaften, von denen die Mönche heimgesucht werden können. Invidia gehörte für ihn nicht dazu, aber zusätzlich zu den oben genannten Vana Gloria (Ruhmsucht) und Tristitia (Trübsinn). Papst Gregor I. († 604) ordnete Trübsinn der Acedia zu, die Ruhmsucht dem Hochmut und fügte dem Sündenkatalog den Neid hinzu.
Schon damals wurden den Hauptlastern bestimmte Dämonen zugeordnet, am weitesten verbreitet ist jedoch die Zuordnung des Peter Binsfeld aus dem 16. Jahrhundert. Diese ordnet Luzifer den Hochmut, Mammon den Geiz, Leviathan den Neid, Satan den Zorn, Asmodeus die Wollust, Beelzebub die Völlerei und Belphegor die Faulheit zu.
Seit der mittelalterlichen Theologie werden den Hauptlastern häufig die Kardinaltugenden gegenübergestellt, die verschiedene Teil-Tugenden zusammenfassen. Zahlreiche Kirchenväter und Theologen befassten sich mit den Hauptsünden und trugen auch zu ihrer Systematisierung bei. Papst Gregor I. stellte ihnen etwa die „Sieben Gaben des Heiligen Geistes“ gegenüber.
Im Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche aus dem Jahr 1992 wird als erste Hauptsünde nicht Hochmut, sondern Stolz genannt.
Nach der Lehre der katholischen Kirche zieht die (schwere) Sünde den zweiten Tod, die Höllenstrafe nach sich, wenn man ohne vollkommene Reue und Buße stirbt. Die Vergebung der Todsünde kann nur im Bußsakrament oder durch vollkommene Reue (d. h. Reue aus Liebe zu Gott) erreicht werden. Die vollkommene Reue muss den Wunsch enthalten, das Bußsakrament und die Absolution (s. u.) zu empfangen. Auch der Empfang der heiligen Kommunion ist als unwürdig verboten. In der persönlichen Beichte spricht die Kirche durch den Priester in persona Christi den Sünder kraft göttlicher Vollmacht von seinen Sünden los: Er erteilt die Absolution. Hier genügt auch eine nur unvollkommene Reue (d. h. Reue aus Furcht vor Gottes Strafe) für die wirksame Wiederherstellung der Taufgnade. „
( http://de.wikipedia.org/wiki/Tods%C3%BCnde Stand 11.5.2013)
Ich habe mit gutem Grund diesen Artikel sehr ausführlich zitiert, verrät er doch ein mehr als fragwürdiges Konzept von Moral. Insbesondere die Frage was gut und böse ist, wird einer Art und Weise beantwortet, die mit meinen, auch christlich geprägten Wertvorstellung in keinster Weise vereinbar ist.
Aber der Reihe nach:
„...traditionell werden Ehebruch, Mord oder Apostasie (= Glaubensabfall) genannt.“. Der einzige Unterschied zu den Taliban, wenn sie die nächste Frau wegen Ehebruch steinigen, läge dann „traditionell“ einzig in der Frage, was der „wahre Glaube“ ist. Das ist ohne Zweifel eine Tradition, die wir in Ost und West so schnell wie möglich beenden müssen.
„Sünden entstehen nach der klassischen Theologie aus sieben schlechten Charaktereigenschaften: „ heisst es dann.
„Superbia
Hochmut (Eitelkeit, Stolz, Übermut)
Avaritia
Luxuria
Wollust (Ausschweifung, Genusssucht, Begehren)
Ira
Gula
Völlerei (Gefräßigkeit, Maßlosigkeit, Selbstsucht)
Faulheit (Feigheit, Ignoranz, Trägheit des Herzens)“
Hier sitzt es wieder auf der Anklagebank, das böse Tier und verlangt nach „Wollust“.
Was aber ist daran böse, sexuelle Lust zu leben, solange Mann keine Frau zu etwas zwingt und erwachsene Männer kleine Jungs erst mal erwachsen werden lassen, bevor sie sie begehren ?
Ich bin aus der Pfalz und hier sind Gourmant und Gourrmet gleichermassen zu Hause. Die einen sind auf der Jagd nach den größten Leberknödeln und den Schnitzeln, die den Teller füllen und kennen jede Straußwirtschaft, die anderen pilgern nach Hayna oder anderen heiligen Orten der Kochkunst und lassen sich den Gaumen kitzeln. Manche, darunter auch ehemalige Bundeskanzler, bewegen sich in beiden Welten.
Wir sind ohne Zweifel ein Landstrich in dem die Völlerei große Wertschätzung genießt. Aber hausst hier auch das Böse, die „Wurzelsünde“ ?
Wenn man zuviel isst und trinkt kann man sich den Magen verderben und die Gesundheit ruinieren, aber dient man damit schon dem Bösen ?
Und so kann man alle 7 „Todsünden“ durchgehen: Hochmut und Stolz können zur Selbstüberschätzung führen, aber ist man deswegen böse ? Geiz und Sparsamkeit sind Geschwister d.h es geht hier eigentlich um das rechte Maß.
Ob Zorn gut oder böse ist, hat mehr damit zu tun, worüber man erzürnt.
Und Neid und Eifersucht sind ganz normale Reaktionen schon eines Kindes, das neidisch wird, wenn es glaubt, dass sein Geschwisterchen mehr geliebt wird.
Vollends daneben ist die Verdammung der Faulheit:
Unser Gehirn arbeitet wie unser Herz Tag und Nacht. Aber es arbeitet in verschiedenen Modi. Sobald wir tätig sind, kontrolliert es diese Tätigkeit. Wir bedürfen der Muse, d.h. wir müssen „faul“ daliegen, damit es in den Modus der Reflexion schalten kann.
D.h. diese „Faulheit“ ist die Voraussetzung für Kreativität.
Das ist die eine Art von „Faulheit“. Es gibt noch eine andere: Die Angst kann uns lähmen und dann tun wir nichts, weil wir uns fürchten (z.B. vor der Hölle).
Zwar hat die Kirche die Ketzer (die Katharer) mit Feuer und Schwert bekämpft, aber der Manichäismus, den jene predigten, die Spaltung des einen Menschen in ein gutes „Geistwesen“ und einen bösen „Leib“ ist ihr trotzdem tief eingeschrieben.
Es ist ein Übel, das sich schon vom ungewaschenen Plotin (und damit ist Heidentum auch nicht automatisch besser) und vom hochverehrten Augustinus herleitet.
Der Körper muss beherrscht, ja unterdrückt werden. Er ist das Böse.
Von diesem Standpunkt aus ist natürlich ein Anfall der Gipfel der Unbeherrschtheit und damit die Verkörperung des Bösen.
Zumal wenn es sich bei der Anneliese Michel vielleicht gar nicht um epileptische sondern um dissoziative Anfälle gehandelt haben sollte.
Wir aber bleiben weiter ohne eine irgendwie befriedigende Antwort auf die Frage: Was ist böse.
Um dieser Frage endlich näher zu kommen, wollen wir uns mit einem Satz befassen, der meiner Meinung nach so was ist wie der Hauptsatz jedweder Ethik, ähnlich elementar wie der Energieerhaltungssatz oder der 2.Hauptsatz der Thermodynamik:
„Was Du getan hast einem der geringsten meiner Brüder, das hast Du mir getan !“
Es ist übrigens bemerkenswert, wie wenig sich gerade die „traditionelle“ Theologie um solche Worte schert und stattdessen Lehrmeinungen aus dem 4-5 Jahrhundert als „maßgeblich“ wiederkäut.
Aber das ist ein innerchristliches Problem.
Warum ist dieser Satz so elementar ?
Weil irgendwann im Verlauf der Evolution die Fähigkeit entsteht „mit zu fühlen“.
Nachweisen kann man diese Fähigkeit bisher bei Primaten, bei einigen wenigen weiteren Säugetierarten, wie Elefanten und Delfinen, sowie bei Rabenvögeln und Papageien.
Zu fühlen, wie andere leiden oder sich freuen, versetzt uns überhaupt erst in die Lage zwischen „ich“ und „du“ respektive zwischen „mir“ und dem Rest der Welt zu unterscheiden. Zugleich verbindet es mich mit anderen, anderen Menschen und anderen Lebewesen.
Diese elementare Fähigkeit ist auch die Basis jeder Moral.
Wir sind gut, soweit diese unsere Fähigkeit fremden Schmerz zu fühlen, auch zu Konsequenzen führt. Wir hören auf gut zu sein, wenn uns dieser Schmerz nicht schert.
Natürlich können wir nicht immer nur gut sein, denn unsere Fähigkeit mit zu fühlen ist grenzenlos, unsere Fähigkeit Leid zu lindern nicht.
Es bleibt ein permanenter Überschuss an möglichem Mitleid.
Dass wir nicht immer gut sind, heisst aber noch nicht, dass wir deswegen schon böse werden.
Das Böse ist für uns das Leid und der Tod. Böse sind wir, sofern wir anderen Leid und Tod bringen.
Damit beginnen aber erst die Schwierigkeiten: Als Tier ernähren wir uns, in dem wir uns fremdes Leben einverleiben. Kein Huhn, kein Schwein, kein Rind, aber auch keine Karotte oder kein Salat lebt dafür, von uns verzehrt zu werden.
Freilich ist unsere Fähigkeit mit Salatköpfen zu leiden wenig entwickelt. Weit weniger als z.B. mit Hühnern.
Meine Großmutter war eine sehr fleißige, praktische Bauersfrau. Sie hatte sicher kein Problem einem Huhn den Kopf ab zu hacken, wenn es geschlachtet werden sollte. Schließlich hatte Gott der Herr die Hühner dafür geschaffen, dass sie für uns Eier legen und wenn sie alt werden noch zu einer guten, fetten Hühnersuppe taugen.
Als aber mein Cousin eine „moderne Massenhaltung“ mit 200 Hühnern begann, wurde sie sehr böse. Zwar hat Gott uns erlaubt Hühnern die Eier zu stehlen und ihnen, wenn die Zeit gekommen ist, den Kopf ab zu schlagen, damit aus ihnen Suppe wird, aber bis es soweit ist haben sie wie wir auch, das Recht auf ein anständiges, halbwegs gutes Leben.
So sah das meine Großmutter. Als Kind plapperte ich den Erwachsenen nach und erklärte meiner Großmutter, dass sie die neuen, modernen Zeiten nicht verstehe. Heute weiß ich, das ich es war, der Entscheidendes nicht verstanden hatte.
Leben ist Werden und Vergehen. „Ewiges Leben“ kann es nicht geben, weil, wenn wir ewig wären, das Leben selbst irgendwann zum Stillstand kommen müsste.
Deswegen gibt es kein Leben ohne Tod und ohne seinen ständigen Begleiter, das Leid.
So unrealistisch es wäre Leid und Tod abschaffen zu wollen, so sehr entspricht es andererseits unserem angeborenen Wesen mitleiden zu können, dass wir versuchen sollten das Ausmaß an Leid und Tod zu verringern.
Das ist sicher eine Tandalos-Aufgabe, aber eine, die uns erst zu wirklichen Menschen macht.
Neben dem Tod, der zum Leben gehört, gibt es noch den Tod, der allem Leben feindlich ist. Nicht die bedingte Negation, sondern die unbedingte.
Dieser Tod ist das absolut Böse, vor dem wir uns fürchten müssen.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar...“ heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Jene, die diesen Satz bewußt an den Anfang, an die erste Stelle setzten, wussten sehr gut wie leicht und wie einfach man jeden Menschen seiner Würde und am Ende auch seines Lebens berauben kann.
Deswegen repräsentiert dieser Satz auch keine ewige Wahrheit, sondern eine durch unermessliches Leid verbürgte historische Erfahrung.
Aber gerade weil der Preis für diese Erkenntnis so hoch war, müssen wir sie um so entschiedener verteidigen.
Ich kann niemand verbieten an die Existenz von Engeln, Teufeln oder welchen Gespenstern und Geistern auch immer zu glauben. Das mag jeder halten, wie er will.
Wer aber behauptet sein Mitmensch sei vom Teufel besessen, überschreitet eine Grenze.
Eine Grenze jenseits derer die Würde dieses so verunglimpften Menschen tot getrampelt wird. Und so wenig es mir das Gesetz erlaubt solange auf einen am Boden liegenden Menschen einzutreten, bis er zu atmen aufhört, so wenig ist es mir erlaubt, diesem Menschen seine Würde zu rauben.
Mord ist nicht nur die böse Tat. Mord kann auch schon die Verleumdung sein, die zur bösen Tat führt.
Angeblich hebt uns zu wissen was Gut und Böse ist auf eine Stufe mit Gott.
Moral ist deswegen ein schwieriges, auch intellektuell anspruchsvolles Thema.
Ausgangspunkt jeder wie immer gearteten Moral kann aber nur der Respekt vor dem Anderen sein. Und deswegen ist es von Grund auf unmoralisch diesen oder diese Andere mit dem Bösen in eins zu setzen.
Wir alle sind böser und schlimmer Taten fähig.
Aber auch der verkommenste Massenmörder bleibt immer noch ein Mensch wie wir.
Es geht dabei nicht um Weichheit und Nachgiebigkeit. Im Gegenteil: Wir müssen sehr entschieden und unbeugsam sein, wenn irgendeiner kommt und seine Mitmenschen auf gut (meistens er selber) und böse (immer die anderen) reduziert.
Dass die französische Revolution den Bürger Capet wie alle anderen Bürger und Bürgerinnen behandelte, war kein Verbrechen.
Dass sie im Namen der Menschlichkeit Köpfe in Weidenkörbe purzeln lies, war dagegen sehr wohl ein abscheuliches Verbrechen.
Jeder gefallene Kopf, auch der des Bürgers Capet, war ein Anschlag auf die Menschenwürde.
Selbstzufriedene Gläubige aller Richtungen, die sicher zu wissen glauben, wer gut und wer böse ist, verkörpern die Pervertierung jedweder Moral.
Moral, so sie den Namen verdient, weiß immer nur was gut und böse ist.
Die Frage wer gut und böse ist, ist dagegen prinzipiell unmoralisch, vor allem wenn man glaubt die Bösen vernichten zu dürfen.
Wir haben nun das paradoxe Resultat, dass ausgerechnet die, die behaupten die Macht zu haben das Böse zu erkennen und zu vergeben, mit ihrer Teufelsaustreibung selbst zu Werkzeugen des Bösen wurden und damit für den Tod der Anneliese Michel voll verantwortlich sind.
Ihre Rechtfertigungen, die zugleich Rechtfertigungen des Exorzismus sind, sind leer und hohl. Vor allem ihr Vorwurf an die Mitwelt, dass diese das Böse und seine Macht verkennt, verdeckt nur, wie problematisch ihr eigener Begriff vom Bösen ist.
Wer „Ehebruch“ mit Mord auf eine Stufe stellt und von Völkermord nichts weiss, soll aufhören uns über Moral belehren zu wollen.
Die einerseits persische und andererseits platonische Tradition den „Geist“ vom „Körper“ zu scheiden, ist die Quelle zahlreicher Irrtümer und dadurch verursachten Leids.
Der Herrschaftsanspruch des Geistes über den Leib wird dementiert durch jeden Anfall.
Wir müssen dieses Dementi ernst nehmen.
Bekanntlich werden Ideen zur materiellen Gewalt, wenn sie genügend Köpfe erreichen und dadurch Menschen zum Handeln bringen.
Es sind freilich nicht immer die wertvollsten, edelsten oder originellsten Ideen, die sich derart durchsetzen.
Es sind auch nicht immer nur die Ideen der Herrschenden, die zu dominieren versuchen.
Gerade eine kapitalistische Ordnung, die alles auf Geld, auf bare Zahlung reduziert, trifft immer wieder auf Herrschaft althergebrachter Art, gegründet auf den Stock, die Einschüchterung oder andere von Alters her „bewährte“ Mittel der Herrschaft und der Unterdrückung.
Aber sie respektiert nur was sie als einziges kennt und anerkennt: Geld, Profit.
Und deswegen müssen Raub, Plünderung, Erpressung immer wieder und immer weiter rationelleren Formen der Herrschaft weichen, auch wenn sie gewissermaßen von „unten“ immer neu nachwachsen.
Vor allem die Hausmeier und Vögte, diese treuen Diener jedes Herren, werden zwar als „Manager“ in die neue Zeit übernommen, aber auch sie unterliegen dem Gebot der Effizienz und so gibt es keine Garantie, dass ihre oft zu klein geradenen Söhne nicht tüchtigeren Vertretern von unten weichen müssen.
Das Geld wird so zum Mittel der Herrschaft und der Unterdrückung, aber auch zum großen Gleichmacher, der keine Stände kennt nur Scheine.
Jede „geborene Elite“ wird früher oder später ausgelöscht, auf dem Altar der ökonomischen Effizienz geopfert.
Das versetzt eine nicht gerade kleine Schicht von Zwischenexistenzen unter permanenten Druck.
Man getraut sich fast gar nicht es zu sagen, so simpel ist es: Aber die Angst vor der „Degeneration“ oder, wenn das „Welsche“ verabscheut: Entartung, ist immer und zuerst die Angst vor dem eigenen Abstieg.
Und je mehr die „Wichtigkeit“ bestimmter Schichten im Materiellen in Frage gestellt wird, desto wichtiger werden Ideen von der eigenen Exklusivität und Wichtigkeit.Von Zeit zu Zeit erscheinen dann merkwürdige Propheten, deren Botschaft dann vor allem aus einem Glaubenssatz besteht: Alle Menschen sind ungleich und ihr, mein Publikum, seid der bessere Teil der Menschheit und müsst Euch gegen die „Unwerten“ schützen.
Wie die Ungleichheit begründet wird, ist dabei bis zu einem gewissen Grad beliebig. Wichtig und zentral ist das hohe Lied auf die geheiligte Ungleichheit.
Ob da einer, wie derzeit, die Minderwertigkeit muslimischen Erbguts verkündet und nur mühsam das fein gestickte Hakenkreuz auf seiner Unterhose verbergen kann oder wie weiland Morel, die „Degeneration“ als Weg in die Unterklasse: Es geht immer um die gleiche verlogene Weise:
Um die eigene Exklusivität und die Minderwertigkeit der Anderen. Umgekehrt entzieht eine Politik, die von Gleichheit nicht nur redet, sondern sie auch ein Stück weit herstellt, den „Degenerationstheoretikern“ den fruchtbaren Boden.
Und es ist daher kein Zufall, dass in den letzten 20 Jahren nicht nur die Gleichheit unter den großen Druck ökonomischer Veränderungen geriet, sondern dass gleichzeitig wieder die Gespenster des Rassismus aus den Staub-Ecken der Geschichte aufwirbelten und mit ihrem Dreck wieder in der Mitte der Gesellschaft landen konnten.
Auch in den 50iger Jahren des 19.Jahrhunderts hatte der große Kampf um Freiheit und Gleichheit gerade 1848/49 eine historische Niederlage erlitten, während gleichzeitig die ökonomische Umwälzung zum Fabriksystem überkommenen privilegierten Existenzen haufenweise den Boden unter den Füßen weg zog.
In dieser Situation tauchte in Paris ein neuer Prophet Namens Auguste Morel auf.
Seine Lehre war einfach und wurde einflussreich:
„Morels Degenerationstheorie
Alles nimmt mit dem Sündenfall seinen Anfang, wo Morel den »type primitif« und »type normal« verortet, der Ursprungsmensch. Nach der Vertreibung aus dem Paradies ist der Mensch Umwelteinflüssen ausgeliefert und entfernt sich vom Ursprungsmenschen, den er mit Adam identisch setzt. Die Nachkommen teilen sich in zwei Gruppen, die eine bleibt durch Anpassung und Gottesgläubigkeit gesund, die andere entartet durch zu große Belastungen.
Die Gruppe der Entarteten zeichnen sich durch körperliche und moralische Vererbung aus und für ihn ist Erblichkeit die Hauptursache für Geisteskrankheit. Zu den Entartungen zählen auch sexuelle Abweichungen. Diese Degenerationserscheinungen nehmen über Vererbung bis hin zum Aussterben und entwickelt sich über Generation in vier Stadien:
- charakterliche Anomalien
- körperliche Krankheiten
- schwere Geistige Störungen
- angeborene Debilität, Missbildungen
Seine Theorie verbreitete sich rasch in der Wissenschaft, wie auch in der Öffentlichkeit. Bald konnte sich ein jeder auf die “natürlichen Gesetze“ berufen und die progressive Degeneration wurde zu einer offenkundigen Tatsache, die auf Schritt und Tritt sichtbar war: Alkoholismus, Armut, Kriminalität, volle Nervenheilanstalten.“
(http://www.psyalpha.net/biografien/benedict-augustin-morel/benedict-augustin-morel-degenerationslehre)
Es wird oft gesagt Morel habe eine Lamarck'sche Evolutionstheorie vertreten.
Der Unterschied zwischen der Lamarckschen und der Darwinschen Theorie liegt ja darin, dass bei Darwin die Umwelt indirekt über den Fortpflanzungserfolg den evolutionären Prozess voran treibt, während es nach Lamarck möglich sein soll, dass Anpassungsleistungen des Individuums biologisch (kulturell geht das sowieso) an die Nachkommen weiter gegeben werden.
Während aber Darwin und Lamarck sich gleichermassen dafür interessieren, wie aus dem Einzeller der Wurm und aus diesem dann irgendwann der Mensch hervorgegangen ist, behaupten Morel und seine Adepten, wir Menschen, oder wenigstens die „Masse“ von uns bewege sich vom Menschen wieder zurück zum Wurm.
Deswegen ist die Differenz zwischen Lamarck und Darwin auch nicht wirklich wesentlich, wie man an dem „genetisch“ argumentierenden Sarrazin sehen kann.
Wesentlich ist, dass sich die Entwicklungsrichtung umgekehrt hat. Der eigene drohende soziale Abstieg ins Proletariat wird zum Menschheitsproblem hochstilisiert und gleichzeitig biologisiert.
Die fortschreitende Herrschaft des Geldes löst eine „Mordernierungswelle“ nach der anderen aus. Unter diesen Wellen (manchmal sind es Tsunamis) geht traditionelle Herrschaft unter und schließlich ist sogar die Vorherrschaft des „Mannes“ an sich bedroht.
Die Reaktion darauf ist das hohe Lied auf die eigene Vollkommenheit und die Verkommenheit der anderen, fleißig gemischt mit abenteuerlichen Verschwörungstheorien.
Auf all dies könnte man mit Spott und Gelächter reagieren, so wie es z.B. Friedrich Engels mit Herrn Professor Dühring seligen Angedenkens getan hat:
„Der Philosoph, dessen Denkweise jede Anwandlung zu einer »subjektivistisch-beschränkten Weltvorstellung ausschließt«, erweist sich nicht nur als subjektivistisch beschränkt durch seine wie nachgewiesen äußerst mangelhaften Kenntnisse, durch seine borniert metaphysische Denkweise und seine fratzenhafte Selbstüberhebung, sondern sogar durch kindische persönliche Schrullen. Er kann die Wirklichkeitsphilosophie nicht fertigbringen, ohne seinen Widerwillen gegen Tabak, Katzen und Juden als allgemeingültiges Gesetz der ganzen übrigen Menschheit, die Juden eingeschlossen, aufzudrängen. Sein »wirklich kritischer Standpunkt« gegenüber andern Leuten besteht darin, ihnen beharrlich Dinge unterzuschieben, die sie nie gesagt, und die Herrn Dührings eigenstes Fabrikat sind. Seine breiten Bettelsuppen über Spießbürgerthemata, wie der Wert des Lebens und die beste Art des Lebensgenusses, sind von einer Philisterhaftigkeit, die seinen Zorn gegen Goethes Faust erklärlich macht. Es war allerdings unverzeihlich von Goethe, den unmoralischen Faust zum Helden zu machen und nicht den ernsten Wirklichkeitsphilosophen Wagner.“
[Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 50484
(vgl. MEW Bd. 20, S. 134)
http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]
Allerdings bleibt einem das Lachen schnell im Halse stecken, wenn man sich die schrecklichen Folgen klar macht, die diese Pseudo-Theorien für bestimmte Gruppen von Menschen, vor allem für Juden, aber auch für Kranke, hatten.
Wer „Elite“ sein will, aber bestenfalls durchschnittlichen Verstand und auch keine übervolle Brieftasche hat, braucht „innere Werte“ die ihn von der großen Masse unterscheiden. Vor allem aber braucht er Menschen, die gesellschaftlich unter ihm stehen.
D.h. aber das es in solchen Zusammenhängen immer kritisch wird und zwar für alle die früher schon, aus welchen Gründen auch immer, diskriminiert wurden.
Sie bilden dann den sichtbaren Teil der „Minderwertigen“ von denen die „Edelmenschen“ sich glanzvoll abheben.
Dass zu diesen „Minderwertigen“ auch die Epileptiker gehören kann gar nicht ausbleiben.
Und so finden wir bereits bei Morel die folgenden Stufen der „Degeneration“:
„Besonders Morels Degenerationsschema hatte auf die Psychiatrie der zweiten Jahrhunderthälfte eine tiefe Wirkung. Demnach sollen Pathologien von Generation zu Generation zunehmen:
•.erste Generation: nervöses Temperament und Ausschweifungen
•.zweite Generation: Schlaganfälle, Epilepsie, Hysterie, und Alkoholismus sowie in der
•.dritten Generation: Selbstmord, Psychosen und Geistesschwäche und endlich in der
•.vierten Generation: angeborene Blödsinnszustände und Missbildungen
Die letzte Stufe der Entartung sei immer die Sterilität. Den Entarteten erkenne man an den Stigmata der Entartung:
"Asymmetrien der Gesichtshälften oder sonstiger korrespondierender Körperteile, ferner Anomalien des Schädelbaues, abstehende oder ungleiche Ohren, angewachsene Ohrläppchen, Schielen, Stottern, Missbildung der Zähne, fehlende oder überzählige Gliederteile, Verkümmerung oder abweichende Bildung der Geschlechtsorgane, (...)."
Dabei handelt es sich offensichtlich um eine Theorie, die „jeder Tertianer (...) an Hand der historischen Genealogien hätte Lügen strafen können“ (Eugen Bleuler).
( http://de.wikipedia.org/wiki/Entartung_%28Medizingeschichte%29#Morel )
Das ist aber noch nicht alles, denn diese „Theorie“ wird auch zur pseudo-“wissenschaftlichen“ Basis des Rassismus und des Antisemitismus, der nun „biologisch“ hergeleitet wird.
Dabei „mißbrauchen“ Rassenideologen wie der Schwiegersohn des Schnorrers, Bankrotteurs und Musikers Wagner H.S.Chamberlain keineswegs diese Theorie, sie denken sie nur bis ans Ende.
Schließlich ist es von der unterstellten „Entartung“ der Individuen zu der „Entartung“ ganzer Völker nur ein kleiner Schritt. Und wenn einmal Vorurteile statt beweisbarer Fakten akzeptiert wurden, gibt es kein Halten.
Meine Verwandtschaft stritt sich darüber, von welcher Seite, mütterlich oder väterlich, meine Epilepsie stammen sollte, d.h. wo es „nervöses Temperament und Ausschweifungen“ gegeben habe. Mein Vater litt sehr darunter, ich fühlte mich nur darin bestätigt, dass die „Alten“ getarnte Nazis sind.
Am weitesten ging meine Tante, die mich ganz im Vertrauen beiseite nahm und vor dem verderblichen Einfluss von „Negermusik“ warnte. „Das ist nicht gut für Deinen Kopf !“.
„So liegen die Dinge: daß es dem Fürsten darum gehen muss, diese Höhen und Tiefen miteinander zu versöhnen, die Mittelung als Synthese zu leisten. Das ist gleichsam der Hegelianische Imperativ, der diesem Wesen geboten ist: dass es ständig die Synthese zu leisten hat - Synthese als Mittelung von Höhe und Tiefe: dass es aber diese Synthese je weniger leisten kann, je ausgeprägter das Alternieren von Höhe und Tiefe ist; dass es vielmehr dann oftmals nichts anderes mehr zeitigen kann als einen mediokren Kompromiß einer Mittelung. In der Tat kann man diese Bewegung in die Mediokrität bei Myschkin immer wieder feststellen – so etwa in der Erzählung vom Gipfel-Traum der an Neapel erinnernden Landschaft.“
( Tellenbach, Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen Dichtung. Hürtgenwald: Guido Pressler 1993, Tellenbach, Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen Dichtung. Hürtgenwald: Guido Pressler 1993, Dostojewskijs epileptischer Fürst Myschkin: Zur Phänomenologie der Verschränkung von Anfallsleiden und Wesensänderung, S. 212-213).
Was bei diesem Zitat zu aller erst auffällt ist die große Höhe, von der herab Tellenbach Myschkin be- und verurteilt.
Er gleicht einem Insektenforscher beim Anblick einer Wanze.
Wobei ich möglicherweise dem Insektenforscher unrecht tue, den oft haben solche Spezialisten eine tiefe Zuneigung zum Objekt ihrer Neugierde.
Davon ist hier nichts zu spüren.
Stattdessen versucht er in der Nachfolge Hegels eine Phänomenologie der Anfallsleiden.
Seine Dialektik der „Höhe und Tiefe“ ist allerdings so medioker (mittelmässig), dass sie eine deutliche Antwort erforderlich macht.
Bevor wir ihm aber die nötige Antwort geben können, müssen wir uns erst einmal auf die Frage einlassen, was das denn ist: Dialektik.
Erst vor diesem Hintergrund wird dann richtig klar, warum die Phrase vom „Hegelianischen Imperativ“ vor allem eins ist:
Leeres Geschwätz.
Exkurs: Was ist und was soll Dialektik ?
Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis logisches Denken mit richtigem Denken gleich zu setzen.
Warum das falsch ist und zwar grundsätzlich falsch, lässt sich am besten am folgenden Beispiel erkennen:
Nachdem das deutsche Bürgertum mehrheitlich Treitschkes unsäglichen und unsäglich dummen Satz: „Die Juden sind unser Unglück“ akzeptiert hatte, erschien ihm die „Endlösung Judenfrage“ nur noch als logisch.
Von Treitschke führt eine in sich stimmige logische Kette nach Wannsee und von dort nach Auschwitz.
Jegliches logische Denken hängt an einem Nagel namens „Prämisse“ und wenn dieser Nagel in die falsche Wand geschlagen wird, hängt auch die Kette falsch.
Das bedeutet aber, dass logisches Denken seine Wahrheit aus der Prämisse bezieht. Wenn diese oder jene Prämisse stimmt, stimmt auch das, was daraus abgeleitet wird.
Daraus erklärt sich überhaupt die große Bedeutung des logischen Denkens für unser ganzes Leben:
Weil wir logische Beziehungen bilden können, können wir darauf verzichten jedes mal bei jeder Behauptung den Wahrheitsbeweis empirisch antreten zu müssen. „Wenn.. dann..“ erspart uns jede Menge Arbeit.
Darin liegt aber auch die oben beschriebene Gefahr, etwas schon für wahr zu halten, weil es Teil einer logischen Kette ist.
Es ist so gar noch problematischer:
Das Fundamentalgesetz jedweden logischen Denkens lautet nämlich A = A bzw. A ungleich nicht-A, will heißen: Veränderung ist verboten. Das Ich von heute soll das selbe sein wie das ich von gestern. Zumindest in Bezug auf die Eigenschaften, auf die sich unsere Kette bezieht.
Logische Wahrheiten sind damit aber ziemlich endlich und beschränkt.
Aus diesem Grund spricht Hegel in der Wissenschaft der Logik vollkommen zurecht davon, dass der Satz A = A genauso wahr sei wie sein Gegenteil.
So sehr Hegel aber mit seiner Kritik des logischen, des „verständigen“, des rationalen Denkens Recht hatte, so sehr ging er fehl in seinem Bemühen an die Stelle der Logik eine „dialektische Logik“ zu setzen.
Es sollte eine Logik des Unlogischen werden.
Wäre dies gelungen, so hätte er tatsächlich den „Stein der Weisen“ gefunden und er wüsste was die Welt im innersten zusammen hält.
Um mit Douglas Adams zu sprechen:
Die „dialektische Logik“ sollte die Antwort auf alle „42er-Fragen“ sein.
Sie ist gescheitert wie „Deep Thought “.
(Douglas Adams, Per Anhalter durch die Galaxis,Seite 170-175)
Wir erhalten somit auf die Frage „Was ist Dialektik“ zwei Antworten:
Dialektik im richtig verstandenen Sinn ist demnach das Wissen um die Beschränktheit logischen Denkens, gepaart mit dem Wissen darüber, dass das Leben selbst unlogisch ist.
Logisches Denken war nicht immer selbstverständlich. Wenn wir aber auf den Ursprung logischen Denkens zurück gehen, treffen wir auf Parmenides, der seine Göttin u.a. folgendes ausführen lässt:
„ 8. So bleibt nur noch Kunde von Einem Wege, daß [das Seiende] existiert. Darauf stehn gar viele Merkzeichen; weil ungeboren, ist es auch unvergänglich, ganz, eingeboren, unerschütterlich und ohne Ende. Es war nie und wird nicht sein, weil es zusammen nur im Jetzt vorhanden ist als Ganzes, Einheitliches, Zusammenhängendes [Kontinuierliches]. Denn was für einen Ursprung willst Du für das Seiende ausfindig machen? Wie und woher sein Wachstum? [Weder aus dem Seienden kann es hervorgegangen sein; sonst gäbe es ja ein anderes Sein vorher], noch kann ich Dir gestatten [seinen Ursprung] aus dem Nichtseienden auszusprechen oder zu denken. Denn unaussprechbar und unausdenkbar ist es, wie es nicht vorhanden sein könnte. Welche Verpflichtung hätte es denn auch antreiben sollen, früher oder später mit dem Nichts zu beginnen und zu wachsen? So muß es also entweder auf alle Fälle oder überhaupt nicht vorhanden sein.
Auch kann ja die Kraft der Überzeugung niemals einräumen, es könne aus Nichtseiendem irgend etwas anderes als eben Nichtseiendes hervorgehen. Drum hat die Gerechtigkeit Werden und Vergehen nicht aus ihren Banden freigegeben, sondern sie hält es fest[.] Die Entscheidung aber hierüber liegt in folgendem: es ist oder es ist nicht! Damit ist also notwendigerweise entschieden, den einen Weg als undenkbar und unsagbar beiseite zu lassen (es ist ja nicht der wahre Weg), den anderen aber als vorhanden und wirklich zu betrachten. Wie könnte nun demnach das Seiende in der Zukunft bestehen, wie könnte es einstmals entstanden sein? Denn entstand es, so ist es nicht und ebensowenig, wenn es in Zukunft einmal entstehen sollte. So ist Entstehen verlöscht und Vergehen verschollen. „ [Parmenides aus Elea: Fragmente. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 108-109 (vgl. Diels-Vorsokr. Bd. 1, S. 153-156) http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]
Parmenides möchte uns nicht mehr und nicht weniger als Werden und Vergehen, Geburt und Tod verbieten. Sie seien nicht wirklich, nur Schein. Das wäre der Preis den wir für die unumschränkte Gültigkeit logischen Denkens, für den endgültigen Sieg des Identischen zu zahlen hätten.
Platon versuchte das Konzept mit seinem ewigen Ideenreich in eine Höhle zu retten und Kant versetzte die ewigen sich selbst gleichen Ideen als „Ding an sich“ ins Jenseits, auch ins Jenseits unseres Denkens.
Es ist sicher kein Zufall, dass der Denker des seienden Ist, ewig und unzerstörbar, aus der Hafen- und Kaufmannsstadt Elea kam. Wer von Italien aus mit Spanien, genauso wie mit Kleinasien Handel betreibt, benötigt Verbindungen und Verträge. Und zu diesen Verträgen gehört ein Geist der Verlässlichkeit, was vereinbart ist, hat zu gelten. Das „Alles fließt“ des gleichzeitigen Heraklit kann niemals eine Kaufmannstugend sein. Dialektik und Vertragstreue gehen selten Hand in Hand.
Wirkliches dialektisches Denken wäre demnach das Wissen um die Endlichkeit und Beschränktheit jeglicher Identität und dass man den Schmerz der Nicht-Identität, des täglichen Sterbens und Neugeboren Werdens, aushalten kann.
Dieses Denken entfaltet sich in Geschichte und Geschichten, denn dort ist der genau der Platz um vom Entstehen des Seiendem aus Nichtseiendem und vielen anderen Dingen, die Parmenides leugnet, zu erzählen.
Dialektisches Denken ist demnach nichts anderes als von allem was ist, die Geschichte wie es wurde und wie es wieder vergehen wird, zu kennen, zu verstehen und zu erzählen.
Vorzugsweise in Deutschland und im Anschluss an Hegels mal geniale, mal banale und manchmal saudumme Drei-Schritt-Sentenzen von These – Antithese – Synthese versteht man unter „Dialektik“ oft auch ein wichtigtuerisches „Einerseits-Andererseits“-Geraune, das in der Regel nicht nur der Mitte, sondern auch der Mittelmäßigkeit verfallen ist.
Es wäre ein prinzipielles Missverständnis, wenn man die oben geäußerte Kritik an Hegel missverstehen würde als prinzipielles Einverständnis mit Popper und Co.
In dieser Denkschule philosophiert man gern über „schwarze Schwäne“ und darüber welche Sensation angeblich darin bestehen soll, dass man im 18. Jahrhundert in Australien schwarze Schwäne entdeckt hat.
Die ganze „Weisheit“ dieser Argumentation besteht darin, dass man ganze Bücher über die Erkenntnis verfasst, wonach man aus „alle Schwäne, die ich sehe sind weiß“ nicht schließen darf, dass tatsächlich alle Schwäne weiß sind.
Das ist zwar unbestreitbar wahr, aber zugleich so wahr, dass kein normal denkender Mensch jemals solche Schlüsse zieht.
Es ist das prinzipielle Problem dieser Leute, dass sie nur logisches Denken kennen und dann verwickelt sich ihr logisches Denken in Widersprüche und sie stehen staunend davor und wollen, dass wir mit ihnen staunen.
Dabei vergessen sie, dass niemand, außer ihnen selbst, nur logisch denkt.
Der berühmte Satz: „Ich bin ein Kreter und ich sage euch, alle Kreter lügen !“ stellt nur Logiker und Mathematiker vor unlösbare Probleme.
Kein Taxifahrer auf der Welt, egal ob aus Kreta, Griechenland, der Türkei, Deutschland oder dem Libanon, wird sich jemals bei der logischen Antinomie dieses Satzes aufhalten.
Stattdessen wird man mit großer Leidenschaft die Frage diskutieren wie ehrlich oder verlogen die Kreter nun tatsächlich sind.
Jeder Taxifahrer wird nämlich implizit unterstellen, dass der Satz meint:
„Ich bin ein Kreter und ich kenne meine Landsleute und deswegen sage ich euch, dass die aller meisten von ihnen lügen !“.
Niemand meint, wenn er „alle Kreter“ sagt, „alle ohne jede Ausnahme“.
Niemand, außer professionellen Logikern, meint, wenn er sagt: „alle Schwäne sind weiß“, dass es niemals und nirgends auf der Welt Schwäne geben kann, die nicht weiß sind.
„Alle“ meint in der Alltagssprache nicht das selbe wie in der Sprache der Logiker.
Für jeden Logiker meint „Alle“ „Alle ohne jede Ausnahme“, der Volksmund weiß aber: Es gibt keine Regel ohne Ausnahme. D.h. das „Alle“ der Logiker ist im Alltagsdenken nicht existent. Wer deswegen dem Alltagsdenken vorwirft es sei falsch, macht aber selbst einen Fehler: Warum sollte unser normales Denken sich freiwillig Probleme einhandeln, die am Ende auch kein Bertrand Russel lösen konnte ? Jeder, der mit Computern arbeitet, weiß, dass das „Denken“ der Maschine dem menschlichen Denken im Allgemeinen weit unterlegen ist.
Ein Grund dafür ist der starre Begriffe von „Alle“ ein anderer die fehlende Fähigkeit bloße Ähnlichkeit anstelle von Gleichheit zu identifizieren.
Die Starrheit, manche nennen es auch „Exaktheit“ der meisten logischen Termini ist ein Problem und keineswegs eine Garantie für richtiges Denken.
Oder andersrum: Die „Ungenauigkeit“ unseres Alltagsdenkens und die Fähigkeit diese Ungenauigkeit aus zu halten, macht dieses Denken der Maschine überlegen.
Die Starrheit der logischen Termini ist allerdings eine Garantie für folgerichtiges Denken. Eines der zentralen Probleme unserer Denkkultur ist, dass wir fortwährend folgerichtiges Denken mit richtigem Denken gleichsetzen. Die verdiente Strafe für diese intellektuelle Todsünde begegnet uns im Fundamentalismus, egal welcher Couleur, dem die Welt klar getrennt in Gut und Böse zerfällt.
Und das Unkritische am „kritischen Rationalismus“ besteht gerade darin, dass er logisches Denken per se für wahr hält, d.h. er hat kein kritisches Verhältnis zum Rationalismus selbst.
Er steht damit nicht allein. Dialektik ist derzeit aus der Mode.
Allerdings waren daran auch die Dialektiker nicht unschuldig: Der Versuch eine Logik des Unlogischen zu erfinden konnte nur im Fiasko oder im banalen, nichtssagenden Geschwätz enden. Trotzdem ist der derzeitige Trend logisches Denken unhinterfragt schon für wahr zu halten und die Existenz des Unlogischen zu leugnen, Theorien die auch das Unlogische fassen wollen, mit dem Stempel der „Unwissenschaftlichkeit“ zu versehen, eine gefährliche Blindheit.
Die Welt ist kein Computer und selbst im Computer ist der Zustand in dem alle Schalter auf Null oder Eins stehen in Wirklichkeit ein Ausnahmezustand. Die weitaus meiste Zeit sind die Schalter am Kippen.
Man braucht eine sehr genaue Uhr namens Taktgenerator um immer genau den richtigen, den eindeutigen Zustand zu erwischen.
Und manchmal spielt uns auch Hitze und Kälte einen Streich und die Maschinen fangen an zu „spinnen“.
Logische Schlüsse der Art, dass wenn A und B gleich sind und A und C ebenfalls, dass dann auch B und C gleich sind, setzen immer voraus, dass gilt A = A und sich A nicht während des Schließens von A in A' verwandelt.
Diese Voraussetzung ist aber alles andere als selbstverständlich. Und genau deswegen ist die prinzipielle Wahrheit logischen Denkens niemals garantiert.
Man nimmt an, dass A bleibt was es ist. Und diese Annahme ist nicht mehr als eine Arbeitshypothese, die zu unserem Glück und zur Erleichterung unseres Lebens meistens annähernd wahr ist. Mehr nicht.
Metaphysik soll Wissen sein, das jeder Erfahrung voraus geht. Das einfach da ist. Für Kant war unsere Vorstellung von Raum und Zeit ein solches „Vorwissen“. Wir haben uns von einem solchen „ewigen“ Raum-Zeit-Verständnis längst verabschieden müssen. Deswegen ist es angebracht, dass wir die Metaphysik endlich dahin verabschieden, wo schon andere vormals mächtige Ideen ihren ewigen Frieden gefunden haben.
Es ist wichtig an der Unterscheidung zwischen Vernunft und Verstand fest zu halten. Wobei unter Verstand im wesentlichen unser Denkapparat zu verstehen ist, der sich die Welt mittels Sprache und logischem Denken erschließt.
Die Vernunft repräsentiert dagegen die Gesamtheit unserer Fähigkeiten uns die Welt in unser Inneres zu holen. Vernunft ist Tun meint Hegel in seiner Vorrede zur Phänomenologie, aber das stimmt natürlich nur für Leute, die wie er auf dem Kopf gehen. Alle Anderen haben dafür ihre Füße und gebrauchen hauptsächlich ihre Hände zum Tun. Unsere mehr oder weniger entwickelte Vernunft ist der ständige Begleiter unseres Tuns.
D.h. unsere Hände sind eben nicht „geistlos“, wie überhaupt die Vorstellung eines getrennt über den Wassern schwebenden Geistes verkennt, das sich Denken, Fühlen und Handeln nur in der Theorie auftrennen und vom Körper lösen lassen.
Insbesondere ist es falsch Erkenntnis nur in der Sprache zu verorten.
Die bekannte Sentenz: „Wovon man nicht reden kann, davon soll man schweigen !“ ist Unsinn.
Es passiert vieles in uns und mit uns, von dem wir auch wissen, von dem aber nur schwer oder prinzipiell gar nicht geredet werden kann.
Ein achthundert Jahre altes Gedicht von Walther von der Vogelweide „Unter der Linde“ handelt genau davon: Es erzählt uns, wie man von etwas redet, von dem man nicht reden kann(zitiert nach Wikipedia):
Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
Vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.
Unter der Linde
an der Heide,
wo unser beider Bett war,
dort könnt ihr
sorgsam gepflückte
Blumen und Gras sehen.
In einem Tal am Waldrand,
tandaradei,
sang die Nachtigall lieblich.
Ich kam gegangen
zuo der ouwe,
dô was mîn friedel komen ê.
Dâ wart ich enpfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin sælic iemer mê.
Kuster mich? Wol tûsentstunt:
tandaradei,
seht, wie rôt mir ist der munt.
Ich kam
zu der Au,
da war mein Liebster schon da (wörtlich: vorher hingekommen).
Dort wurde ich empfangen,
edle Frau! [entweder Ausruf: „Bei der heiligen Muttergottes!“
oder ‚wie eine höfische Dame‘ oder auch: ‚ich, eine höfische Dame‘]
(so) dass ich für immer glücklich bin.
Küsste er mich? Wohl tausendmal!
Tandaradei,
seht, wie rot mir der Mund davon ist.
Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
Des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
Bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken, wâ mirz houbet lac.
Da hatte er aus Blumen
ein prächtiges Bett
vorbereitet.
Darüber wird jetzt noch
herzlich gelacht,
wenn jemand denselben Weg entlang kommt.
An den Rosen kann er wohl,
tandaradei,
erkennen, wo mein Haupt lag.
Daz er bî mir læge,
wessez iemen
(nû enwelle got!), sô schamt ich mich.Wes er mit mir pflæge,
niemer niemen
bevinde daz, wan er und ich,
und ein kleinez vogellîn -
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.
Dass er bei mir lag,
wüsste das jemand
(das wolle Gott nicht!), dann würde ich mich schämen.
Was er mit mir tat,
das soll nie jemand
erfahren, außer er und ich
und ein kleines Vöglein,
tandaradei,
das kann wohl verschwiegen sein.
„Wes er mit mir pflæge,“ darüber will sie niemand etwas erzählen. Aber genau deswegen können wir alle es uns sehr gut vorstellen.
Jede wortreiche Erklärung könnte die Schönheit dessen, wovon die Rede ist nur unzureichend wiedergeben.
Große Gefühle vertragen keine großen Worte. Trotzdem kann man von ihnen nicht schweigen. Wittgensteins Ratschlag würde die Dichter arbeitslos machen.
Dabei brauchen wir die Dichter um uns von dem zu erzählen, wovon man nicht reden kann, aber wovon man auch nicht schweigen darf.
Leben heißt handeln, heißt etwas tun.
Dieses Tun muss begleitet und vorausgeplant werden.
Dazu benützen wir die Gesamtheit dessen, was wir als Vernunft bezeichnen.
Es reicht dabei nicht, nur mit dem Verstand voraus zu denken. Wir müssen uns auch einfühlen können, in andere genauso, wie in neue Situationen.
Wir müssen blitzschnell, instinktiv reagieren oder langsam und sorgfältig nach langer Überlegung und entsprechender Beratung.
Dabei stehen wir mitten in den Widersprüchen des Lebens.
Ja wir können sagen: Alles Leben ist mit sich selbst im Widerspruch.
Identisch und gleichzeitig Nicht-Identisch zu sein ist sein Wesen.
Kommt der Stoffwechsel mit dem Außen zum Erliegen ist der Tod unvermeidbar.
Um zu leben und am Leben zu bleiben, bedient sich jeder Mensch auch seines Verstandes, wohl wissend, dass dies ein beschränkter Geselle ist.
Beschränkt schon dadurch, dass ihm die reiche weite Welt der Gefühle nur als Ahnung aufscheint und er oft rätseln muss, was ihm sein Bauch denn sagen will.
Beschränkt aber auch dadurch, dass manche Denkoperationen ihre eigenen Gesetze haben und ihr Recht fordern. So gehorcht das logische Denken dem Satz von der Identität (A = A). Leben ist aber beides: Identisch und Nicht-Identisch, die Identität erhält sich indem sie sich stückweise aufgibt.
Logisches Denken ist deswegen vom Leben und Lebendigen gereinigt.
Wenn Hegel, aber in seiner Nachfolge z.B. auch Marx oder Dewey von der „Logik der Sache“ reden, dann ist das falsch. Logik ist die Kunst des Folgerns.
Jedes Folgern endet aber am Widerspruch.
Nur wenn das Nicht-Identische fortwährend zum Identischen verdaut wird, kann das Folgern weitergehen.
Im Netz der Kausalitäten sind die Identitäten die Knotenpunkte und jede dominierende Nicht-Identität ein relativer Endpunkt, an dem das Netz ein Loch hat.
Wesentlich für den Unterschied zwischen „vernünftig“ und „verständig“ ist das Verhältnis zum Widerspruch.
Logisches Denken muss Widersprüche eliminieren. Sie sind gewissermaßen Brüche in den kausalen Ketten (oder Löcher im Kausal-Netz, durch das die Fische der Wahrheit davon schwimmen).
Dialektisches Denken bewegt sich im Widerspruch und durch den Widerspruch.
Widersprüche sind die Hot-spots an denen neue Ideen zur Oberfläche drängen.
Aber nicht nur neue Ideen drängen an die Oberfläche, denn Widersprüche durchziehen auch die Realität: Widersprüche sind der Ort an dem das Leben pulsiert.
Es sind die Brüche in der Identität. Dort wo das Ich ins Nicht-Ich übergeht ist der Widerspruch zu Hause. Ihn zu beseitigen gelänge nur, wenn ich so, wie ich bin, für immer eingefroren werden könnte und trotzdem am Leben bliebe.
Jegliche Identität, gedacht als fortdauernd oder gar ewig, ist Illusion.
Sich zu erhalten, in dem man sich jeden Tag erneuert und ändert, ist der Widerspruch, der letzten Endes jede Form von Lebendigkeit begründet und durchzieht.
Geburt und Tod sind dabei die mächtigsten und elementarsten Wahrheiten.
Da Männer nicht gebären können, versuchen sie der eigenen Vergänglichkeit durch den Rekurs auf „ewige Wahrheiten“ zu entfliehen.
Ein leider viel zu früh verstorbener Freund, Klaus Schwarz, selbst ein Philosoph, postulierte, dass jegliches Philosophieren in der Angst vor dem Tod seinen wirklichen Grund hat.
Die „ewigen Ideen“ sind der Ersatz für das nicht existierende „ewige Leben“.
Das wirkliche ewige Leben, das durch den Zyklus von Geburt und Tod neuer Geburt und wieder Tod bestimmt ist, soll dagegen nur „irdischer Schein“ sein.
Dieses System „ewiger Wahrheiten“ und die Logik stützen und stärken sich von Geburt an gegenseitig, weil die „ewigen Wahrheiten“ der Logik eben so ewige Identitäten liefern. So können beide zusammen den Anspruch erheben mit der Wahrheit identisch zu sein.
Logisches Denken geht auf die Ewigkeit, dialektisches Denken kennt nur den ewigen Prozess des Werdens und Vergehens.
Der Widerspruch zwischen dialektischem und logischem Denken bildet selbst einen Hot-spot.
Dabei kann die Dialektik die wilden Ideen liefern, die dann mittels der Logik auf ihre Konsequenzen hin entwickelt werden müssen und dadurch zu beweisen oder zu widerlegen sind.
Das ergäbe ein viel fröhlicheres und fruchtbareres Paar als die Verheiratung der Logik mit „ewigen Wahrheiten“.
Hegels großer Irrtum liegt dagegen darin, dass er eine „dialektische Logik“ postulierte. Das unterstellt eine Folgerichtigkeit, die dem Leben fremd ist, eine Folgerichtigkeit, die in dieser Eindeutigkeit weder der unbelebten noch gar der belebten Natur zukommt. Auch nach Hegel findet man immer wieder die Idee einer „dialektischen Logik“ zuletzt als „negative Dialektik“. Dieser Ansatz ist aber falsch.
Die Dialektik sprengt logische und kausale Ketten, sie begründet keine.
Wenn wir etwas sehen und wissen sollen z.B. „dies ist ein Haus“ benötigen wir die Idee des Hauses zuvor in unserem Kopf, sonst sehen wir kein Haus.
Sowenig wir irgendein Haus sehen ohne die Idee des Hauses, sowenig sehen wir einen Baum ohne die Idee des Baums. Natürlich ist es Quatsch zu sagen der Baum benötige erst den Kopf eines Menschen um zu existieren, aber ohne die Baumidee existiert er nicht im Kopf.
Die Existenz einer Idee ist das apriori jeder Erkenntnis.
D.h. neue Erkenntnisse brauchen erstmal neue Ideen, sonst können sie gar nicht einsortiert werden.
Damit haben wir ein erstes „apriori“.
Dieses Apriori ist allerdings nicht historisch das erste. Unser ganzer Körper ist unser allererstes „apriori“.
Dabei führt es in die Irre, wenn wir uns diesen unseren Körper hierarchisch gegliedert vorstellen, bei dem dann über allem der Verstand thront und die Fäden zieht.
Diese falsche Vorstellung führt angesichts neuerer Ergebnisse der Hirnforschung zu sehr schrägen Diskussionen. Wenn festgestellt wird, dass meine Hand bereits unterwegs sein kann, bevor mein Kopf ihr sagt: „Mach Dich auf den Weg!“, dann ändert das überhaupt nichts daran, dass es meine Hand ist. Und deswegen ist und bleibt, was auch immer meine Hand tut, meine Tat.
Würde sich diese Hand zusammen mit ihrer Schwester um den Hals eines anderen Menschen legen und zudrücken, so wäre ich doch nicht dadurch vom Mordvorwurf suspendiert, dass ich nachweisen kann, dass mein Verstand meinen Händen atemlos hinterher gerannt ist.
Vielleicht wird aus Mord Totschlag, weil mein Verstand definitiv abwesend war, aber ich bleibe verantwortlich.
Unser Denkvermögen ist kein separates, vom restlichen Körper strikt getrenntes Gebilde, sondern eine unserer vielen Fähigkeiten, die alle strikt an unsere Körperlichkeit gebunden sind und mit ihr untergehen.
Dieser unser Körper ist deswegen unser allererstes „apriori“, weil keine Erfahrung uns auch nur das Geringste lehren kann, wenn Verstand und Gefühl, kurz wir, wie wir sind, nicht dafür bereit sind.
Eine wesentliche Voraussetzung und damit das 2. „apriori“ dafür, dass uns Erfahrung etwas lehrt, ist das Vorhandensein passender Ideen. Sie bilden die Schubladen in die wir unsere Erfahrungen packen.
Und erst wenn eine Erfahrung uns nicht in Ruhe lässt, aber auch mit noch so roher Gewalt nicht in eine bereit liegende Schublade passt, werden wir empfänglich für neue Ideen und konstruieren neue Schubladen.
Dabei können wir eines sicher wissen: Keine Schublade wird jemals immer passen. D.h. neue Ideen eröffnen nicht nur neue Perspektiven, sie können auch alte verstellen. Das „Licht der Aufklärung“ kann auch blenden und verblenden.
Die Logik steht zwischen Körperlichkeit und Denkidee:
Einerseits ist logisches Denken so primitiv und technisch einfach zu installieren, dass vermutlich bereits der Fadenwurm ein veritabler Logiker ist. Er ist sich dessen aber nicht bewusst. D.h. unser Körper ist bereits ein versierter Logiker. Und gerade jene Abläufe bei uns, die quasi automatisch ablaufen, werden vermutlich über eine fest verdrahtete oder manchmal auch mehr oder weniger mühsam erlernte interne Logik gesteuert.
Andererseits entsteht Logik als Denkkonzept erst mit der eleatischen Philosophie. Das Problematische an dieser ganzen Richtung, die auch heute noch den philosophischen Diskurs zu beherrschen sucht, ist vor allem der Überlegenheitsanspruch:
Der Kopf herrscht über den Bauch, wie der Herr über den Knecht und unter beiden ist die Magd der Gefühle beiden gefügig.
Das Absurde an dieser Philosophie besteht darin, dass ausgerechnet dem primitivsten Teil unseres Denkapparats die höchste Wertschätzung entgegen gebracht wird.
Die andere Absurdität besteht darin, den einen Körper in zu dem noch hierarchisch über- und untergeordnete Teile auf zu trennen.
Wir haben es somit mit mindestens 3 „Aprioris“ zu tun, die jeder Erfahrung vorausgehen:
1Unserem Körper, der jede Erfahrung filtert und bewertet
2Den in unserer Kultur vorgefundenen und von uns verinnerlichten Ideen, die uns den Ordnungsrahmen, aber auch weitere Filter liefern, in den wir unsere Erfahrungen einsortieren können und mit denen wir sieben, z.B.nach wesentlich oder unwesentlich, gut oder böse, erlaubt oder verboten.
3Der Logik, als einem wesentlichen Werkzeug des Denkens. Wobei Logik in zweierlei Form unser Denken begleitet:
Als körperliche Struktur, die es uns überhaupt erst ermöglicht Sinneseindrücke in verschiedene Arten von innerer Repräsentation zu überführen und als Idee in unserem Kopf, mit deren Hilfe wir die Welt ordnen.
Ideen ordnen nicht nur das, was wir erfahren, sie können auch so stark sein, dass sie verhindern, dass wir etwas erfahren. Sie formulieren gewissermaßen das Vor-Urteil, das unser Denken und unser Urteilen im voraus prägt. Das gilt auch und in ganz besonderem Maße für die Idee der Logik.
Vor diesem Hintergrund kann Philosophie nur dann Sinn machen, wenn sie sich mit der Fragwürdigkeit bestimmter Leitideen befasst.
Die zentrale Leitidee, mit deren Fragwürdigkeit wir uns befassen müssen, ist die Logik.
Eine Philosophie, die selbst heute noch, angesichts von Logik als industriellem Massenprodukt, nur der Logik huldigt, ist keine.
Im Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams gibt es eine berühmte Stelle. Ein Computer bekommt die Aufgabe die „Antwort auf alles“ zu finden. Hier erfahren wir, was er gefunden hat:
'Seventy-five thousand generations ago, our ancestors
set this program in motion,' the second man said, 'and
in all that time we will be the first to hear the computer
speak.'
'An awesome prospect, Phouchg,' agreed the first
man, and Arthur suddenly realized he was watching a
recording with subtitles.
'We are the ones who will hear,' said Phouchg, 'the
answer to the great question of Life …'
' The Universe ...' said Loonquawl.
'And Everything ...!'
'Shhh,' said Loonquawl with a slight gesture, 'I think
Deep Thought is preparing to speak!'
There was a moment's expectant pause whilst panels
slowly came to life on the front of the console. Lights
flashed on and off experimentally and settled down into
a businesslike pattern. A soft low hum came from the
communication channel.
'Good morning,' said Deep Thought at last.
'Er ... Good morning, O Deep Thought,' said Loon-
quawl nervously, 'do you have ... er, that is ...'
'An answer for you?' interrupted Deep Thought
majestically. 'Yes. I have.'
The two men shivered with expectancy. Their waiting
had not been in vain.
'There really is one?' breathed Phouchg.
'There really is one,' confirmed Deep Thought.
18E
'To Everything? To the great Question of Life, the
Universe and Everything?'
'Yes.'
„Vor fünfundsiebzigtausend Generationen brachten
unsere Ahnen dieses Programm ins Rollen“, sagte der
zweite, „und nach dieser langen Zeit werden wir die er-
sten sein, die den Computer wieder sprechen hören.“
„Eine ehrfurchtgebietende Aussicht, Phouchg“, stimm-
te der erste zu, und Arthur wurde mil einemmal klar, daß
er eine Vorstellung mil Untertiteln sah.
„Wir sind diejenigen“, sagte Phouchg, „denen er die
Antwort geben wird auf die große Frage nach dem Le-
ben ...!“
„... dem Universum ...“, sagte Luunqnoal.
„... und allem ...!“
„Schsch!“ sagte Luunquoal mit einer leichten Handbe-
wegung, „ich glaube, Deep Thought wird gleich spre-
ehen."
Es folgte eine kurze, erwartungsvolle Stille, als an der
Vorderseite des Schaltpults Armaturen langsam auf-
zuglühen begannen. Lämpchen gingen probeweise an
und aus und bildeten schließlich ein niichtern-geschäfts-
mäßiges Muster. Ein sanftes tiefes Summen war aus dem
Mitteilungsfrequenzband zu vernehmen.
„Guten Morgen“, sagte Deep Thought endlich.
„Äh ... Guten Morgen, oh Deep Thought“, sagte Luun-
quoal ängstlich, „hast du ... äh, das heißt...“
„Eine Antwort für euch?“ unterbrach ihn Deep
Thought würdevoll. „Ja. Die habe ich.“
Die beiden Männer zitterten vor froher Erwartung. Ihr
Warten war nicht vergeblich gewesen.
„Es gibt tatsächlich eine?“ hauchte Phouchg.
„Es gibt tatsächlich eine“, bestatigte Deep Thought.
„Auf alles? Auf die große Frage nach dem Leben, dem
Universum und allem?“
„Ja.“
Both of the men had been trained for this moment,
their lives had been a preparation for it, they had been
selected at birth as those who would witness the answer,
but even so they found themselves gasping and squirm-
ing like excited children.
'And you're ready to give it to us?' urged Loonquawl.
'I am.'
'Now?'
Now,' said Deep Thought.
They both licked their dry lips.
'Though I don't think,' added Deep Thought, 'that
you're going to like it.'
'Doesn't matter,' said Phouchg. 'We must know it!
Now!'
Now?' enquired Deep Thought.
'Yes! Now ...'
'All right,' said the computer and settled into silence
again. The two men fidgeted. The tension was unbear-
able.
'You're really not going to like it,' observed Deep
Thought.
'Tell us!'
'All right,' said Deep Thought. 'The Answer to the
Great Question ...'
'Yes ...!'
'Of Life, the Universe and Everything ...' said Deep
Thought.
'Yes ...!'
'Is ...' said Deep Thought, and paused.
Yes ...!'
is...'
'Yes ...!!!... ?'
Beide Männer waren auf diesen Augenblick gedrillt
worden, ihr Leben war eine einzige Vorbereitung auf die-
sen Moment gewesen, man hatte sie bereits bei ihrer Ge-
burt als diejenigen ausgewählt, die der Antwort beiwoh-
nen wiirden, aber selbst sie wurden gewahr, daß sie jetzt
nach Luft schnappten und rumhampelten wie aufgeregte
Kinder.
„Und du bist bereit, sie uns zu geben?“ drängte Luun-
quoal.
„Das bin ich.“
„Jetzt?“
„Jetzt“, sagte Deep Thought.
Beide Männer leckten sich ihre trockenen
.ippen.
„Allerdings glaube ich nicht“, setzte Deep Thought
hinzu, „daß sie euch gefallen wird.“
„Das macht doch nichts!“ sagte Phouchg. „Wir miissen
sie nur jetzt erfahren. Jetzt!“
„]etzt?“ fragte Deep Thought.
„Ja! Jetzt...“
„Also schon“, sagte der Computer und versank wieder
in Schweigen. Die beiden Männer zappelten nervös hin
und her. Die Spannung war unerträglich.
„Sie wird euch bestimmt nicht gefallen“ bemerkte
Deep Thought.
Das macht doch nichts!“ sagte Phouchg. „Wir miissen
sie nur jetzt erfahren. Jetzt!“
„]etzt?“ fragte Deep Thought.
„Ja! Jetzt...“
„Also schon“, sagte der Computer und versank wieder
in Schweigen. Die beiden Männer zappelten nervös hin
und her. Die Spannung war unerträglich.
„Sie wird euch bestimmt nicht gefallen“ bemerkte
Deep Thought.
„Sag sie uns trotzdem!“
„Na schön“, sagte Deep Thought. >-Die Antwort auf die
Große Frage ...“
„Ja ...!“
„... nach dem I.eben, dem Universum und allem ...“,
sagte Deep Thought.
sagte Deep Thought.
„Ja ...!“
„... lautet ...“, sagte Deep Thought und machte eine
Pause.
„Ja ...!“
„... lautet...“
„Ja ...!!! ...???“
'Forty-two,' said Deep Thought, with infinite majesty
and calm.
It was a long time before anyone spoke.
Out of the corner of his eye Phouchg could see
the sea of tense expectant faces down in the square
outside.
'We're going to get lynched, aren't we?' he whispered,
it was a tough assignment,' said Deep
Thought
mildly.
'Forty-two!' yelled Loonquawl. is that all you've got
to show for seven and a half million years' work?'
i checked it very thoroughly,' said the computer, 'and
that quite definitely is the answer. I think the problem,
to be quite honest with you, is that you've never actually
known what the question is.'
'But it was the Great Question! The Ultimate Question
of Life, the Universe and Everything,' howled Loonquawl.
'Yes,' said Deep Thought with the air of one who
suffers fools gladly, 'but what actually is it?'
A slow stupefied silence crept over the men as they
stared at the computer and then at each other.
'Well, you know, it's just Everything ... Every-
thing ...' offered Phouchg weakly.
„Zweiundvierzig“, sagte Deep Thought mit unsagba-
rer Erhabenheit und Ruhe.
Es dauerte lange, lange, ehe wieder jemand sprach.
Aus den Augenwinkeln sah Phouchg
unten auf
dem Platz das Meer gespannter und hoffnungsvoller Ge-
sichter.
„Jetzt werdcn sie uns wohl lynchen, was meinst du?“
fliisterte er.
„Es war eine sauschwere Aufgabe“, sagte Deep
Thought mit sanfter Stimme.
„Zweiundvierzig!“ kreischte Luunquoal los. „Ist das al-
les, nach siebeneinhalb Millionen Jahren Denkarbeit?“
„Ich hab's sehr griindlich nachgeprüft“, sagte der Com-
puter, „und das ist ganz bestimmt die Antwort. Das Pro-
blem ist, glaub ich, wenn ich mal ganz ehrlich zu euch
sein darf, daß ihr selber wohl nie richtig gewußt habt, wie
die Frage Iautet.“
„Aber es handelte sich doch um die Große Frage! Die
I.etzte aller Fragen nach dem Leben, dem Universum und
allem, jammerte Luunquoal.
„Ja“, sagte Deep Thought in einem Ton, als ertrüge er
es mit Freuden, mit solchen Idioten zu reden, „aber wie
lautet sie denn nun?“
Ein dumpfes, verblüfftes Schweigen kroch über die
Männer weg, als sie erst den Computer anstarrten und
dann sich.
„Naja, weißt du, es geht einfach um alles
... um alles“,
schlug Phouchg schüchtern vor.
Exactly!' said Deep Thought. 'So once you do know
what the question actually is, you'll know what the
answer means.'
'Oh, terrific,' muttered Phouchg, flinging aside his
notebook and wiping away a tiny tear.
'Look, all right, all right,' said Loonquawl, 'can you
just please tell us the question?'
'The Ultimate Question?'
'Yes!'
'Of Life, the Universe and Everything?'
'Yes!'
Deep Thought pondered for a moment.
'Tricky,' he said.
'But can you do it?' cried Loonquawl.
Deep Thought pondered this for another long
moment.
Finally: 'No,' he said firmly.
Both men collapsed on to their chairs in despair.
„Genau!“ sagte Deep Thought. „Wenn ihr erstmal ge-
nau wißt, wie die Frage wirklich lautet, dann werdet ihr
auch wissen, was die Antwort bedeutet.“
„Oh Gott, grauenhaft", murmelte Phouchg, pfefferte
sein Notizbuch in die Gegend und wischte sich eine win-
zige Träne aus dem Auge.
„Also schon, okay, okay“, sagte Luunquoal, „kannst du
uns dann bitte wenigstens die Frage sagen?“
„Die Letzte aller Fragen?“
„Ja!“
„Nach dem Leben, dem Universum und allem?“
„Ja!“
Deep Thought dachte einen Moment nach.
„Knifflig“, sagte er.
„Aber du kannst sie uns doch sagen?“ schrie Luunquo-
al.
Deep Thought pondered this for another long
moment.
Finally: 'No,' he said firmly.
Both men collapsed on to their chairs in despair.
But I'll tell you who can,' said Deep Thought.
They both looked up sharply.
'Who? Tell us!'
Suddenly Arthur began to feel his apparently non-
existent scalp begin to crawl as he found himself moving
slowly but inexorably forward towards the console, but it
was only a dramatic zoom on the part of whoever had
made the recording, he assumed.
Deep Thought dachte wiederum lange darüber nach.
Schließlich sagte er mit fester Stimme: „Nein.“
Die beiden Männer sanken verzweifelt auf ihre Stühle.
„Aber ich werde euch sagen, wer das kann“, sagte
Deep Thought.
Wie auf ein Kommando sahen beide nach oben.
„Wer?“
„Sag es uns!“
Arthur fühlte plötzlich, wie er sich langsam, aber un-
aufhaltsam auf das Schaltpult zubewegte, und seine of-
fenbar nicht existente Kopfhaut begann zu kribbeln. Aber
es handelte sich lediglich um einen dramatischen Zoom
des unbekannten Filmkünstlers, der die Aufnahmen ge-
macht hatte, stellte Arthur fest.
I speak of none but the computer that is to come
after me,' intoned Deep Thought, his voice regaining
its accustomed declamatory tones. 'A computer whose
merest operational parameters I am not worthy to calcu-
late - and yet I will design it for you. A computer which
can calculate the Question to the Ultimate Answer, a
computer of such infinite and subtle complexity that
organic life itself shall form part of its operational matrix.
And you yourselves shall take on new forms and go
down into the computer to navigate its ten-million-year
program! Yes! I shall design this computer for you. And
I shall name it also unto you. And it shall be called ...
the Earth.'
„Ich spreche von keinem anderen, als von dem Compu-
ter, der nach mir kommt“, verkündete Deep Thought, und
seine Stimme nahm wieder ihren gewohnten Predigtton
an. „Ein Computer, dessen simpelste Funktionsparameter
zu berechnen ich nicht würdig bin - und doch werde ich
ihn euch entwerfen. Ein Computer, der die Frage nach der
Letzten aller Antworten berechnen kann, ein Computer
von so unendlicher und unerhörter Kompliziertheit, daß
das organische Leben selbst einen Tell seiner Arbeitsma-
trix bildet. Und ihr selbst werdet neue Gestalt annehmen
und in den Computer steigen und sein Zehn-Millionen-
Jahre-Programm steuern! Ja! Ich werde euch diesen Com-
puter entwerfen. Und ich werde ihn euch auch benennen.
Und er soll heißen ... Die Erde.“
Phouchg gaped at Deep Thought.
'What a dull name,' he said and great incisions
appeared down the length of his body. Loonquawl too
suddenly sustained horrific gashes from nowhere. The
computer console blotched and cracked, the walls flick-
ered and crumbled and the room crashed upwards into
its own ceiling...
Slartibartfast was standing in front of Arthur holding the
two wires.
'End of the tape,' he explained.
Phouchg glotzte Deep Thought an.
„Ein saublöder Name“, sagte er, und tiefe Schnitte er-
schienen an seinem ganzen Körper. Auch Luunquoal
empfing plötzlich aus dem Nichts grauenhafte Schnitt-
wunden. Das Computerterminal wurde fleckig und rissig,
die Wände bebten und krachten zusammen, und das
ganze Zimmer stürzte in seine eigene Decke ...
Slartibartfast stand vor Arthur und hielt zwei Drähte in
der Hand.
„Das Band ist zu Ende“, erklärte er.
(Douglas Adams, Per Anhalter durch die Galaxis,Seite 170-175 bzw. Hitchhkers Guide to the Galaxy, page 183-187).
Die Erde ist der Computer, der nicht die Antworten gibt, sondern erst mal dazu führt, dass wir die richtigen Fragen stellen.
Eine dieser Fragen nach „Allem“ und, zwar die bei weitem populärste, ist die Frage „Warum lebe ich ?“. „Was für einen Sinn hat es, dass ich lebe ?“
Es ist eine durch und durch sinnlose Frage.
Das Leben braucht keinen Grund. Es ist sich Grund genug.
Das Leben braucht auch keine Rechtfertigung. Es ist dadurch gerechtfertigt, dass es ist.
Das Leben braucht keinen Sinn. Es trägt seinen Sinn in sich selber.
Schon das Leben einer Amöbe ist ein außerordentliches Wunder in der Kälte des Weltalls. Dass es Leben gibt, ist dieses Wunder. Es ist einer Natur abgetrotzt, die diesem Leben oft nicht freundlich gesonnen ist. Und es ist ein Prozess, der sich selbst stützt und verstärkt.
Jedes Menschenleben ist ein Teil dieses Lebensprozesses. Und jedes dieser Leben ist ein Wunder für und an sich.
Deswegen besteht der Sinn des Lebens darin, dass wir leben.
Wenn trotzdem viele Menschen sich die „Sinnfrage“ stellen, dann liegt das daran, dass wir sehr oft gelebt werden, statt zu leben.
Die unselige Tradition Menschen zu „stimmbegabten Werkzeugen“ zu degradieren ist zwar geschwächt, aber noch lange nicht endgültig gebrochen. Und solange das so ist, gibt es das „falsche Leben“.
Und indem wir gelebt werden, statt zu leben, stellt sich uns die Sinnfrage.
Dabei lenkt der Blick auf den Himmel nur von der hier auf Erden zu lösenden Aufgabe ab: Nämlich endlich frei zu sein.
Frei nicht von Bindungen oder Verpflichtungen, wenn wir für andere da sein wollen, aber frei davon, für andere da sein zu müssen.
Dass unser Leben seinen Sinn in sich selber und im Mitleben mit allem Leben um uns herum findet, ist deswegen ein Akt der Befreiung, der noch gelingen muss.
Die Behauptung Gott sei gut und allmächtig führt in einen Widerspruch, denn wenn Gott allmächtig ist, ist auch das Böse nur auf der Welt, weil er es duldet. Dann kann er aber nicht gütig sein, sondern höchstens ein Zyniker.
Leibniz hat versucht Gott dadurch zu rechtfertigen, dass er im unterstellt hat, das Böse nur deswegen und in soweit erlaubt zu haben, dass die Menschen sich zwischen Gut und Böse entscheiden können. Wir lebten somit in der besten aller möglichen Welten. Das Erdbeben von Lissabon hat allerdings noch zu seinen Lebzeiten die Leibnizsche Apologie unter sich begraben.
D.h. das Böse kann und darf nicht verniedlicht werden und Gott, so er allmächtig ist, wäre dann für dieses Böse verantwortlich.
Nun reden wir hier ja auch von Dialektik. Und jede 70iger Jahre Wohngemeinschaft hätte dieses Problem mit dem Argument: „Das musst Du dialektisch sehen !“ gelöst.
Aber kann man das überhaupt dialektisch sehen ?
Etwas dialektisch sehen heißt jede Identität, hier Gott, als geworden und im Werden zu begreifen.
Das widerspricht aber der üblichen Definition Gottes als allmächtig und ewig. Überhaupt sind absolute Wahrheiten mit Dialektik unvereinbar.
Es war die Tragik Hegels, dass er ein Dr.Faustus war und wissen wollte, was die Welt im Innersten zusammenhält, d.h. er wollte dem Absoluten ins Angesicht schauen. Auf dem Weg dahin entdeckte er die Dialektik. Dabei übersah er, dass er damit entdeckt hatte, dass es dieses Absolute gar nicht gibt. Die Welt ist ein einziges Werden und Vergehen und das Ewig-Sichgleiche, wie immer es heißt, ist nicht von dieser Welt.
So kann auch Gott dialektisch nur so verstanden werden, wie ihn Bloch in „Der Atheismus im Christentum“ verstanden hat: Nicht als der Donnergott Hiobs, von dessen hoher Warte aus wir nur „Gewürm“ sind, sondern nur als der Schutzgott des Mose beim Auszug aus Ägypten, aus der Sklaverei und als „Vater“ des „Menschensohns“ der gekommen ist jede Sklaverei zu beenden und eine Welt ohne Herrschaft zu begründen.
Ein Gott, der mit uns und durch uns Siege und Niederlage erleidet.
Ein schwacher, verletzlicher Gott, der weit davon entfernt ist, allmächtig zu sein.
Ein Computer ist zunächst mal nichts weiter als ein Haufen Elektronikschrott. Erst dadurch, dass Programme geladen und gestartet werden können und diese wieder weitere Programme laden und prozessieren entsteht ein sinnvolles Ganzes.
Umgekehrt: Ein Programm ist, egal ob auf Papier oder magnetischem Datenträger, für sich genommen nur eine Sammlung schwer verständlicher Zeichen.
Niemand wird aber ein „Hard-Software-Problem“ sehen, denn es wäre ausgesprochen albern im Zusammenhang damit über Substanzen zu diskutieren. Ebenso wie sicher niemand darüber diskutiert, ob das Verhältnis von Hard- und Software dualistisch oder monistisch gesehen werden sollte.
Dafür spricht man der Maschine gerne jeden „Geist“ ab, weil es natürlich „Geistesarbeiter“ tödlich beleidigt, wenn ihr vornehmstes Tun von Maschinen erledigt wird.
Natürlich ist das Hard-Software-Modell viel zu simpel im Vergleich zum menschlichen Körper und der menschlichen Intelligenz. Und Gefühle kennt die Maschine überhaupt nicht.
Das ändert aber gar nichts daran, dass hier zumindest ein ähnliches Problem verhandelt wird. Signale sind z.B. auf der einen Seite physisch repräsentiert, auf der anderen Seite haben sie einen Sinngehalt, der nichts direkt mit der Art ihrer physischen Repräsentation zu tun hat.
Das beginnt bereits bei den Erbinformationen, die einerseits eine chemisch-physikalische Struktur haben, andererseits aber einen Sinngehalt. Dieser Sinngehalt ist hier aber untrennbar verknüpft mit der Fähigkeit zur Reproduktion. D.h. der Sinngehalt existiert nicht für sich. Er ist verknüpft mit einer Aktion: Der Herstellung eines Replikats oder der Einleitung und Durchführung eines Entwicklungsprozesses zum neuen Lebewesen.
Das ist auch der Normalfall, selbst beim denkenden Menschen hat das Denken zu aller erst den Sinn zu wissen, wie man etwas tut.
Es geht um Handlungskompetenz, darum dass unsere Hände richtig anfassen können. Und Handlungskompetenz ist wieder eingebettet in unsere Fähigkeit zu leben und am Leben zu bleiben.
Darin, dass wir leben und uns reproduzieren und nicht darin, dass wir bestimmte „höhere“ geistige Fähigkeiten haben, unterscheiden wir uns von der Maschine, vom Computer oder Roboter.
Und aus dem Tierreich haben wir uns heraus entwickelt, weil wir Handlungen, Handlungen anderer, aber auch unsere eigenen, antizipieren können. Dass wir auch fremden Schmerz fühlen können und dass fremdes Glück uns erfreuen kann, macht uns zu Menschen.
Was nicht ausschließt, dass wir Empathie auch schon bei intelligenten Tieren finden. Aber erst bei uns kann sie sich voll entfalten. Und hier wie dort ist sie das Fundament intelligenten Verhaltens.
Erst sehr spät in der menschlichen Entwicklung findet eine Entkoppelung von Denken und Handeln statt. Die Symbolverarbeitung wird ausgelagert: In Felsenmalereien, in Bildnissen und Idolen, in Büchern, Zeitungen, Filmen und Computern.
Irgendwo auf diesem Weg entstand die Idee einer „Seele“ oder „Geist“ genannten selbständigen Substanz.
Es gibt diese Substanz nicht. Allerdings gibt es eine zunehmende Entkoppelung von der materiellen Realisierung und dem Eigenwert der Symbole unabhängig von ihrer Realisierung.
Aus diesem Grund macht auch eine „monistische“ Position wenig Sinn. Informationen sind etwas anderes als die physikalischen Zustände, die sie repräsentieren. Sie brauchen aber bestimmte physikalische Zustände um überhaupt zu existieren. Dabei können die gleichen Bedeutungen auf unterschiedlichem Weise repräsentiert werden. Es macht schließlich keinen prinzipiellen Unterschied (zumindest in der Bedeutung), ob ich mit Tinte auf Papier oder mit Kreide auf eine Tafel schreibe.
Und deswegen sind Leib und Seele weder eins noch existieren sie getrennt.
Mein einer und einziger Körper lässt sich nicht in Geist und Leib auftrennen. Trauer verändert meine Körperchemie, Freude auch und Trauer kann ein ständiger Gast meines Lebens werden, weil meine Körperchemie entgleist ist.
Aber dass Information an materielle Strukturen gebunden ist, heißt eben nicht, dass sie ganz genau an eine bestimmte materielle Struktur gebunden ist. Die Gedanken müssen nicht an einem bestimmten Platz im Gehirn lokalisierbar sein, um zu existieren.
Die Frage der Rechtfertigung ist zuerst eine religiöse Frage: Wie sind wir gerechtfertigt vor Gott. Durch unserer Taten oder alleine durch SEINE Gnade.
Das ist die große Streitfrage der Reformationszeit.
Bevor wir uns aber auf diese Frage überhaupt einlassen, wollen wir erst eine andere Frage beantworten: Warum müssen wir überhaupt vor Gott gerechtfertigt werden ?
Angeblich geschieht dies wegen der Erbsünde.
Nur: Worin besteht die ?
Es soll die Schlange gewesen sein, die die Sünde auf die Welt brachte. Und diese Sünde, gewissermaßen die Ursünde, soll darin bestanden haben, dass Adam und Eva einen Apfel vom Baum der Erkenntnis aßen.
Es ist eine sehr merkwürdige Geschichte, so merkwürdig, dass ich mir hier erlaube sie vollständig wieder zu geben:
„Genesis 3
1Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten?
2Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten;
3aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Eßt nicht davon, rührt's auch nicht an, daß ihr nicht sterbt.
4Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet mitnichten des Todes sterben;
5sondern Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon eßt, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.
6Und das Weib schaute an, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er lieblich anzusehen und ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er aß.
7Da wurden ihrer beiden Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schürze.
8Und sie hörten die Stimme Gottes des HERRN,
der im Garten ging, da der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter die Bäume im Garten.
9Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du?
10Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.
11Und er sprach: Wer hat dir's gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot, du solltest nicht davon essen?
12Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.
13Da sprach Gott der HERR zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich also, daß ich aß.
14Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du solches getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und vor allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang.
15Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Derselbe soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.
16Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel
Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, und er soll dein Herr sein.
17Und zu Adam sprach er: Dieweil du hast gehorcht der Stimme deines Weibes und hast gegessen von dem Baum, davon ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen, verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang.
18Dornen und Disteln soll er dir tragen, und sollst das Kraut auf dem Felde essen.
19Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis daß du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.
20Und Adam hieß sein Weib Eva, darum daß sie eine Mutter ist aller Lebendigen.
21Und Gott der HERR machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und kleidete sie.
22Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!
23Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist,
24und trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Cherubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens.“
[Luther-Bibel 1912: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Luther-Bibel, S. 5198
(vgl. Gen 3, 1-24) http://www.digitale-bibliothek.de/band29.htm ]
Worin besteht das Verbrechen ?
Darin:
„Und Gott der HERR sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich!“
Dass ist die „Erbsünde“, dass „Adam..worden (ist) wie unsereiner, denn er weiss was Gut und Böse ist“ (Eva zählt nicht, sie ist „nur“ eine Frau).Und deswegen muss er schnell aus dem Paradies geschmissen werden, denn sonst isst er noch vom Baum des Lebens und wird unsterblich.
Dann gibt es aber keinen Unterschied mehr zwischen Adam und Gott.
D.h. die Sünde, die Erbsünde, bestünde darin, dass Eva und Adam aufgebrochen sind aus der fremdbestimmten Unmündigkeit und nun wissen, was Gut und Böse ist.
Damit aber sind sie überhaupt erst eines moralischen Urteils fähig.
Die „Sünde“ bestünde somit darin, dass Adam und Eva zu erwachsenen Menschen geworden sind.
Und das Vergehen der Schlange ? Sie sagt die Wahrheit !
Das ist ihre Schuld.
Sie wird deswegen seit Generationen von Theologen als „lügnerische Schlange“ verleumdet. Dabei ist es doch der HERR, der offensichtlich gelogen hat.
Es ist eine merkwürdige Geschichte und es sind noch viel merkwürdigere Lehren, die aus dieser Geschichte gezogen werden.
So soll man im Stande der „Unschuld“ sein, wenn man zwar Böses tut, aber nicht weiß, was gut und böse ist. Kinder sind so. Und deswegen landet auch ein Kind, das mordet, nicht im Gefängnis.
Aber lässt sich daraus ein Ideal ableiten, wonach man ein Leben lang kindisch bleiben soll ?
Die Geschichte von Adam und Eva ist voller sexueller Symbole (Apfel, Schlange) und das Wort „Unschuld“ hat ja auch im Alltagsgebrauch den Sinn von „ohne sexuelle Erfahrung“.
Damit kommen wir aber zum Schluss, dass nach dieser Moral Wissen und sexuelle Erfahrung die Endursache jeglicher „Sünde“ sein sollen.
Damit erweist sich die hier gelehrte „Moral“ aber als hohl und leer.
Denn das Wissen um Gut und Böse ist die elementare Voraussetzung jeglichen moralischen Handelns. Und unsere Fähigkeit zu lieben, mit Haut und Haaren zu lieben, ist die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Welt und unsere Mitmenschen achten.
Und die Weigerung erwachsen zu werden ist kein ernsthaftes Ziel für ernsthafte Menschen.
So sollten wir also Eva ein Denkmal setzen für ihre Liebe und Klugheit.
Sie muss sich für ihr Tun sowenig rechtfertigen, wie wir, wenn wir ihr nachfolgen.
Im Grunde genommen ist die Frage nach der Rechtfertigung unseres Lebens nur eine Umformulierung der Frage nach dem Sinn des Lebens.
Und sie ist genauso unsinnig. Wir sind und dadurch sind wir auch gerechtfertigt. Niemand hat das Recht unser Da-Sein in Frage zu stellen.
Wer es trotzdem tut, gehört vor ein Gericht.
Es hat auch niemand das Recht zu entscheiden, ob wir bloß existieren oder ob wir wirklich sind: Wir sind, sobald wir existieren.
Mag diese unsere Existenz auch noch so unvollkommen sein.
Diese Unvollkommenheit hat was mit schlechtem oder besserem Leben zu tun, aber auch das schlechte Leben ist wirkliches Leben und bereits dadurch gerechtfertigt, dass es ist.
Natürlich können wir, z.B. durch Krankheit eine Grenze erreichen oder überschreiten jenseits der es kein gutes Leben mehr gibt und geben kann.
Üblicherweise sind wir dann auch nicht mehr zu einer eigenständigen freien Willensäußerung fähig.
Das ist ein Problem, für das es keine allgemeine Lösung gibt. Jede Regel, jede Regelung muss damit leben, dass der oder die, die da im Wachkoma vor einem liegt, nicht sagen kann, ob für sie bzw. ihn das Leben noch lebenswert ist. Das ist aber der einzige zulässige Maßstab.
Aus diesem Grund kann man höchstens ein Verfahren festlegen, dem andere sich unterwerfen müssen, bevor sie die Maschinen abstellen dürfen.
Mehr geht nicht.
Es ist überhaupt ein prinzipielles Problem, das man hat, wenn einem menschliches Leben heilig ist: Normalerweise beginnt und endet dieses Leben nicht abrupt, sondern es gibt ein weites Übergangsfeld.
Solange Leben noch nicht wirklich existiert oder umgekehrt dabei ist, zu vergehen, helfen weder Grundsätze noch Rechtspositionen.
Es nützt nichts nach eindeutigen Regeln zu rufen, wenn es gerade das besondere der Situation ist, in keiner Weise eindeutig zu sein.
Das Einzige was eindeutig regelbar ist, ist das Verfahren mit dem Entscheidungen getroffen werden dürfen.
Die von Parmenides begründete und von Platon zur Hegemonie geführte philosophische Richtung lebt von der Behauptung, dass das Werden und Vergehen der belebten und unbelebten Natur (und auch von uns) nur „schöner Schein“ sei.
Hinter diesem „Schein“ verbergen sich angeblich „ewige Wahrheiten“.
Und traditionell heißen diese Wahrheiten auch metaphysisch.
Für Kant bedeutet Metaphysik: Wahrheit vor und unabhängig von jeder Erfahrung.
„Zuerst, was die Quellen einer metaphysischen Erkenntnis betrifft, so liegt es schon in ihrem Begriffe, daß sie nicht empirisch sein können. Die Prinzipien derselben (wozu nicht bloß ihre Grundsätze, sondern auch Grundbegriffe gehören) müssen also niemals aus der Erfahrung genommen sein: denn sie soll nicht physische, sondern metaphysische, d.i. jenseit der Erfahrung liegende Erkenntnis sein.“
[Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 24695 (vgl. Kant-W Bd. 5, S. 124) http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]
„Sie ist also Erkenntnis a priori, oder aus reinem Verstande und reiner Vernunft.“
[Kant: Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 24696 (vgl. Kant-W Bd. 5, S. 124) http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]
Als Beispiel einer solchen Wahrheit benennt er Raum und Zeit. Und der Dummkopf Schopenhauer plappert ihm das eifrig nach.
Wie überhaupt Schopenhauers Elaborat „Über den zureichenden Grund“ nichts weiter ist, als ein schwer genießbarer Aufguss aus kantischer Philosophie „gewürzt“ mit Beschimpfungen Hegels und Schellings und garniert mit Ignoranz und Unverstand, vor allem der Idee der Wechselwirkung gegenüber.
Nun konnten Kant und Schopenhauer natürlich nichts von Einstein wissen.
Aber wir haben da keine Ausreden mehr:
Einstein fasst seine Erkenntnisse in den prägnanten Satz, wonach man um einen Raum auf zu spannen Stangen braucht und für die Zeit Uhren. (Relativitätstheorei allgemeinverständlich... Stadtbücherei !!).
Man braucht also Meter und Uhren statt „reinem Verstande und reiner Vernunft“ um Raum und Zeit zu bestimmen. Damit sind aber Raum und Zeit empirisch.
Natürlich hat Hume trotzdem unrecht: Unser Denken ist tatsächlich von einer Vorstellung von Raum und Zeit bestimmt, die zumindest jeder erwachsenen Erfahrung voraus geht. Ob wir damit auf die Welt kommen oder es beim Krabbeln erlernen, werden Kognitionsforscher heraus finden (wenn sie es nicht schon wissen).
Es ist aber ein Kurzschluss zu meinen, dass ein solches „apriori“ ewige Wahrheiten repräsentiert. Es repräsentiert eher unsere biologischen Vorprägungen. Und wenn wir uns in den Kosmos wagen (zumindest theoretisch) brauchen wir eine neue Idee von Raum und Zeit, ein anderes apriori.
Ausgehend von angeblich „ewigen“ Wahrheiten lassen sich nun Schlussketten definieren, die dann natürlich ebenfalls „ewige“ Wahrheiten bestimmen.
Aus diesem Grund gelten auch deduktive Schlüsse als sicher und beweiskräftig, während man gegen induktive Schlüsse immer einwenden kann, dass etwas, was tausendmal so gewesen ist, beim tausend und ersten mal anders sein kann.
Deduktive Schlüsse bleiben aber ebenfalls nur richtig, wenn die Prämisse, die tausend mal gestimmt hat, auch beim tausend und ersten mal noch stimmt.
Und deswegen gibt es so oder so keine absolute Gewissheit.
Und der einzige feste Grund auf dem die Wahrheit ruht, ist die Erfahrung. Die Schmerzen, die wir erleiden, wenn wir uns die Finger verbrennen, der Geschmack des Essens auf unserer Zunge, die Wärme aus einer Berührung etc.pp. all dies begründet Wahrheit. Natürlich erreichen uns diese Erfahrungen nicht ungefiltert z.B. erreichen uns nur die Schmerzsignale aus unserem Körper, die eine innere Instanz für vordringlich hält. Und natürlich bestimmt auch die Sprache, die wir sprechen, darüber mit, wovon wir etwas sagen können oder worüber wir stammeln müssen.
Und jedes neue Werkzeug, jedes neue Medium bringt uns nicht nur neue Zugänge zur Welt, sondern auch neue Erfahrungsräume, in denen wir am Ende auch eingesperrt sein können.
„Forschung und Rechtfertigung haben zwar zahlreiche Einzelziele, aber kein überwältigendes Ziel namens Wahrheit. Forschung und Rechtfertigung sind Tätigkeiten, denen wir uns als Sprecher einer Sprache gar nicht entziehen können. Ein Ziel namens „Wahrheit“ brauchen wir dazu ebensowenig, wie unsere Verdauungsorgane ein Ziel namens „Gesundheit“ brauchen, damit sie ihre Funktion erfüllen. Der Verzicht auf gegenseitige Rechtfertigung ihrer Überzeugungen und Wünsche ist den Sprechern einer Sprache genauso unmöglich wie dem Magen die Nichtverdauung der Nahrung.“
(Richard Rorty, Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die pragmatische Philosophie, S.31)
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Herrn Rorty niemals schlecht war und dass er in seinem Leben kein einziges Mal gekotzt hat.
Jedes Kotzen ist aber der nicht zu leugnende Beweis dafür, dass unser Magen im Interesse unserer Gesundheit auch das Nichtverdauen von Nahrung veranlassen kann.
Verdauen ist für den Magen kein Selbstzweck.
Denn in der Tat ist es das Ziel jeden Lebewesens am Leben zu bleiben. Und dazu braucht dieses Lebewesen den Stoffwechsel mit der übrigen Natur.
Im Rahmen dessen erhält auch der Magen seine Ziele. Und die bestehen keineswegs nur darin alles unbesehen zu verdauen. Dass es einem schlecht wird oder dass man Durchfall bekommt, dient häufig der Abwehr und Abfuhr der Gesundheit nicht zuträglicher Mageninhalte.
Es ist somit keineswegs so lächerlich und überflüssig wie Rorty meint, dem Magen ein Ziel Gesundheit zu unterstellen.
Überhaupt bedeutet „Gesundheit“ ja, dass wir in der Auseinandersetzung mit unserer Umgebung uns selbst, einschließlich unserer diversen inneren Gleichgewichtszustände, erhalten. Was so einfach klingt: Ich, ist in Wirklichkeit ein komplexes System, das ständig in vielfältiger Wechselwirkung mit seinen Mitmenschen, der Natur und der von uns allen geschaffenen 2.Natur namens Kultur steht. Und in all diesen Zusammenhängen wollen wir uns als mit uns selbst Identisches erhalten. Das gelingt nie ganz. Aber wenn es gar nicht mehr gelingt sterben wir. Jede einzelne unserer Zellen ist diesem Ziel verpflichtet. Und sobald sich eine größere Zahl unserer Zellen diesem Ziel sich nicht mehr unterordnet, sind wir als Krebskranke todgeweiht.
Aus dem selben Grund aus dem unser Magen dem Ziel Gesundheit verpflichtet ist, benötigen wir Wahrheit.
Etwas zu wissen oder nicht zu wissen, kann existenziell sein.
In diesem Sinn dient auch unser Forschen der Wahrheit. Pilze z.B. gelten als essbar, giftig oder berauschend. Und wenn ich in Begründungs- und Rechtfertigungszusammenhänge geraten sollte, in denen man den grünen Knollenblätterpilz für geniessbar hält und brät, riskiere ich mein Leben, wenn ich davon esse.
Das heißt: Vollkommen unabhängig von und vor jeder Philosophie gibt es so etwas wie Wahrheit. Einige dieser Wahrheiten sind so elementar, dass ihr Ignorieren mit dem sicheren Tod bestraft wird.
Wobei ich mir fast sicher bin, dass Rorty meinen Einlassungen nicht widersprechen würde.
Er würde sagen, dass ich das Zusammenprallen mit der Wirklichkeit mit ihrer Bewältigung verwechsle („Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie“ S.406).
Er will keine Wahrheit finden, sondern das Gespräch in Gang halten.
Das man glaubt die Wahrheit zu haben und dann Diskussionen für überflüssig hält, ist was eine „bildende Philosphie“ seiner Meinung nach bekämpfen muss.
Da wollen wir nicht widersprechen.
Aber hat er auch recht, wenn er statt Wahrheit nur noch Diskursergebnisse kennt ?
Zwei Einwände sind hier wichtig:
Erstens werden unsere Gespräche schon deswegen in Gang bleiben, weil auch Wahrheiten ein Haltbarkeitsdatum haben. Wie alles in der Welt entstehen und vergehen sie.
Wir spiegeln die Welt, wir spiegeln uns in Anderen und Andere in uns, wir spiegeln uns in Spiegeln, in Gesichtern, Gesten tausendfach.
Jedes dieser Bilder zeigt uns in einer anderen Facette.
Und so vielfältig, facettenreich wie die Spiegel, in denen wir uns betrachten sind die Wahrheiten über uns.
Zweitens haben wir keinen Grund die Ergebnisse eines Diskurses per se für wahr zu halten. Es gibt auch ein „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen“. D.h. Wahrheit kann einsam machen. Trotzdem muss sie gewagt werden. Unbeirrt. Unbeirrbar.
Platoniker werden wir deswegen noch lange nicht.
Der zentrale Irrtum dieser Philosophenschule ist der Glaube an die Ewigkeit und Unzerstörbarkeit gewisser Ideen, die hinter den Dingen deren Wesen bilden sollen. Dass es dieses ewige „Eigentliche“ nicht gibt, macht Begriffe wie „Wahrheit“ oder „Wesen“ weder überflüssig noch unbrauchbar.
Der Spiegel ist in einer nicht-platonischen Welt nur ein Spiegel, und die Idee ein ideeller Spiegel.
Sie vergeht mit dem, was sie spiegeln soll. Und solange es existiert, kann sie niemals mehr zeigen, als das, worauf sie zeigt.
Im Gegenteil: Jedes Ding, das existiert, bildet für sich bereits ein Universum. Ein Universum an Komplexität, an Vielfalt, an Ideen.
Über jedes Schräubchen im Getriebe lassen sich Bücher schreiben und manchmal sind diese Bücher spannender als manches philosophisch konstruierte „Gestell“.
„Wahrheit“ ist in diesem Sinn zwar ein inhärentes, aber kein überwölbendes Ziel. Es gibt die Wahrheit der Schraube, des Zahnrads, des Getriebes, einer Blume, dieses oder jenes Menschen, aber es gibt keine Wahrheit an sich.
Wahrheit existiert am allerwenigsten ewig und jenseits unserer Erfahrungen.
In diesem Sinn sind wir mit Rorty einverstanden, wenn er die Metaphysik für immer verabschiedet.
Aber im Gegensatz zu ihm halten wir an Wahrheit und Wesen, als identitärer Kern einer Sache, weiter fest.
Gerade wer nicht in der platonischen Höhle festgebunden ist, sondern sich frei in freier Luft bewegt, versucht immer wieder neu seine innere Welt mit der äußeren zur Deckung zu bringen und ist somit auf der Suche nach der Wahrheit.
Dabei geht es um mehr als bloße „Rechtfertigung“ gegen andere. Auch wenn die Anderen mit ihrer Meinung mir gleichgültig sind, die heiße Herdplatte, Hunger oder Durst, das Verlangen nach Liebe und Anerkennung, werden mir immer genügend Antrieb verleihen, um dem auf der Spur zu bleiben, was Wahrheit heißt.
Dass die Schöpfung sich selbst schöpft und dass wir ein untrennbarer Bestandteil dieses Prozesses sind, ist das, was Rorty interessiert.
Deshalb möchte er Hoffnung, die Suche nach dem noch nicht Erreichten an die Stelle einer rückwärts gewandten Suche nach ewigen Wahrheiten setzen.
Wir sind da ganz bei ihm.
Vor allem wenn er sagt:
„Da niemand die Zukunft kennt, weiss auch niemand, welche Überzeugungen ihre Berechtigung behalten und welche nicht; und daher gibt es auch nichts Ahistorisches, was sich über die Erkenntnis oder die Wahrheit sagen ließe. Daß man nichts weiter sagt, hat den Effekt, daß das was Europa der Metaphysik und der Erkenntnistheorie anvertraut hat an die Hoffnung übergeht. Es hat den Effekt, dass man Platons Versuch der Zeit zu entrinnen, durch die Hoffnung ersetzt, wir könnten eine bessere Zukunft gewinnen“
(Rorty,Hoffnung statt Erkenntnis. Eine Einführung in die pragmatische Philosophie, S.34)
Wir können und wollen ihm aber nicht folgen, wenn er mit der ewigen Wahrheit die Wahrheit überhaupt verabschiedet. So wenig wir ihm folgen können, wenn er darauf verzichten will, etwas, unabhängig vom Urteil anderer, für wesentlich zu halten.
Dass es keinen Felsen in welcher Brandung auch immer gibt, der dieser ewig trotzt, ist noch lange kein Grund an der Existenz dieses Felsens zu zweifeln.
Wir können und müssen in Bezug auf die Zukunft mehr haben als bloße Hoffnungen oder umgekehrt Befürchtungen.
Was wir z.B. über den zu erwartenden Klimawandel wissen, hat nicht den Charakter einer ewigen, metaphysischen Wahrheit. Trotzdem ist es nichts, was man mal so oder so sehen kann, je nach Diskussionsstand in der Gesellschaft. Die Atmosphärenphysik ist unabhängig von menschlichen Diskussions- und Rechtfertigungsprozessen. Und auch wenn es keine ewigen Wahrheiten sind, sind es doch Wahrheiten.
Und wir wissen auch und das sogar gewiss, dass es für uns wesentlich ist, den Eintrag von Klimagasen in die Atmosphäre zu stoppen.
Begriffe wie Wahrheit, Wesen können nicht einfach den Platonikern überlassen werden, nur weil diese den Geltungsbereich dieser Begriffe fälschlich in die Ewigkeit verlängert haben.
Das Alltagsbewusstsein wusste immer, dass sich jemand in seinem Wesen verändern kann. Und das Alltagsbewusstsein weiß auch, dass dies ein außergewöhnlicher Vorgang ist.
D.h. der Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung existiert unabhängig von der Existenz irgendwelcher ewiger Ideen.
Und zu behaupten, dass „Europa“ der Metaphysik huldigt, bedeutet eine wesentliche philosophische europäische Richtung, die von Demokrit über Epikur bis zu Marx reicht, komplett zu unterschlagen.
Es wäre viel gewonnen für den Pragmatismus, wenn man in der Neuen Welt zur Kenntnis nehmen würde, dass Platon und Kant nicht die einzigen europäischen Philosophen sind, dass es eine alternative Richtung gibt und immer gegeben hat.
Unter der Überschrift:
„Das Geheimnis der spekulativen Konstruktion“ liefern Marx und Engels eine köstliche Dekonstruktion gängiger philosophischer Methoden.
Man könnte nach dieser Methoden nicht nur die Hegelsche, sondern auch eine ganze Reihe weiterer philosophischer Systeme zerlegen.
Genauso gut liese sich daraus eine Art Konstruktionsplan gewinnen: Wie verliere ich mich so im Gestrüpp der Abstraktionen, dass am Schluss alles verrätselt ist.
Dagegen hilft nur konsequenter Nominalismus, wie ihn schon Scotus gelehrt hat.
Aber lesen wir erst mal, was die beiden schreiben:
„Wenn ich mir aus den wirklichen Äpfeln, Birnen, Erdbeeren, Mandeln die allgemeine Vorstellung »Frucht« bilde, wenn ich weitergehe und mir einbilde, daß meine aus den wirklichen Früchten gewonnene abstrakte Vorstellung »die Frucht« ein außer mir existierendes Wesen, ja das wahre Wesen der Birne, des Apfels etc. sei, so erkläre ich – spekulativ ausgedrückt – »die Frucht« für die »Substanz« der Birne, des Apfels, der Mandel etc. Ich sage also, der Birne sei es unwesentlich, Birne, dem Apfel sei es unwesentlich, Apfel zu sein. Das Wesentliche an diesen Dingen sei nicht ihr wirkliches, sinnlich anschaubares
Dasein, sondern das von mir aus ihnen abstrahierte und ihnen untergeschobene Wesen, das Wesen meiner Vorstellung, »die Frucht.« Ich erkläre dann Apfel, Birne, Mandel etc. für bloße Existenzweisen, Modi »der Frucht.« Mein endlicher, von den Sinnen unterstützter Verstand unterscheidet allerdings einen Apfel von einer Birne und eine Birne von einer Mandel, aber meine spekulative Vernunft erklärt diese sinnliche Verschiedenheit für unwesentlich und gleichgültig. Sie sieht in dem Apfel dasselbe wie in der Birne und in der Birne dasselbe wie in der Mandel, nämlich »die Frucht.« Die besondern wirklichen Früchte gelten nur mehr als Scheinfrüchte, deren wahres Wesen »die Substanz«, »die Frucht« ist.
Man gelangt auf diese Weise zu keinem besondern Reichtum an Bestimmungen. Der Mineraloge, dessen ganze Wissenschaft sich darauf beschränkt, daß alle Mineralien in Wahrheit das Mineral sind, wäre ein Mineraloge – in seiner Einbildung. Bei jedem Mineral sagt der spekulative Mineraloge »das Mineral«, und seine Wissenschaft beschränkt sich darauf, dies Wort so oft zu wiederholen, als es wirkliche Minerale gibt.
Die Spekulation, welche aus den verschiednen wirklichen Früchten eine »Frucht« der Abstraktion – die »Frucht« gemacht hat, muß daher, um zu dem Schein eines wirklichen Inhaltes zu gelangen, auf irgendeine Weise versuchen, von der »Frucht«, von der Substanz wieder zu den wirklichen verschiedenartigen profanen Früchten, zu der Birne, dem Apfel, der Mandel etc. zurückzukommen. So leicht es nun ist, aus wirklichen Früchten die abstrakte Vorstellung »die Frucht« zu erzeugen, so schwer ist es, aus der abstrakten Vorstellung »die Frucht« wirkliche Früchte zu erzeugen. Es ist sogar unmöglich, von einer Abstraktion zu dem Gegenteil der Abstraktion zu kommen, wenn ich die Abstraktion nicht aufgebe.
Der spekulative Philosoph gibt daher die Abstraktion der »Frucht« wieder auf, aber er gibt sie auf eine spekulative, mystische Weise auf, nämlich mit dem Schein, als ob er sie nicht aufgebe. Er geht daher auch wirklich nur zum Scheine über die Abstraktion hinaus. Er räsoniert etwa wie folgt:
Wenn der Apfel, die Birne, die Mandel, die Erdbeere in Wahrheit nichts anders als »die Substanz«, »die Frucht« sind, so fragt es sich, wie kommt es, daß »die Frucht« sich mir bald als Apfel, bald als Birne, bald als Mandel zeigt, woher kommt dieser Schein der Mannigfaltigkeit, der meiner spekulativen Anschauung von der Einheit, von »der Substanz«, von »der Frucht« so sinnfällig widerspricht?
Das kommt daher, antwortet der spekulative Philosoph, weil »die Frucht« kein totes, unterschiedsloses, ruhendes, sondern ein lebendiges, sich in sich unterscheidendes, bewegtes Wesen ist. Die Verschiedenheit der profanen Früchte ist nicht nur für meinen sinnlichen Verstand, sondern für »die Frucht« selbst, für die spekulative Vernunft, von Bedeutung. Die verschiednen profanen Früchte sind verschiedne Lebensäußerungen der »einen Frucht«, sie sind Kristallisationen, welche »die Frucht« selbst bildet. Also z.B. in dem Apfel gibt sich »die Frucht« ein apfelhaftes, in der Birne ein birnenhaftes Dasein. Man muß also nicht mehr sagen, wie auf dem Standpunkt der Substanz: die Birne ist »die Frucht«, der Apfel ist »die Frucht«, die Mandel ist »die Frucht«, sondern vielmehr: »die Frucht« setzt sich als Birne, »die Frucht« setzt sich als Apfel, »die Frucht« setzt sich als Mandel, und die Unterschiede, welche Apfel, Birne, Mandel voneinander trennen, sind eben die Selbstunterscheidungen »der Frucht« und machen die besondern Früchte eben zu unterschiednen Gliedern im Lebensprozesse »der Frucht.« »Die Frucht« ist also keine inhaltslose, unterschiedslose Einheit mehr, sie ist die Einheit als Allheit, als »Totalität« der Früchte, die eine »organisch gegliederte Reihenfolge« bilden. In jedem Glied dieser Reihenfolge gibt »die Frucht« sich ein entwickelteres, ausgesprocheneres Dasein, bis sie endlich als die »Zusammenfassung« aller Früchte zugleich die lebendige Einheit ist, welche jeder derselben ebenso in sich aufgelöst enthält als aus sich erzeugt, wie z.B. alle Glieder des Körpers beständig in Blut sich auflösen und beständig aus dem Blut erzeugt werden.
Man sieht: wenn die christliche Religion nur von einer Inkarnation Gottes weiß, so besitzt die spekulative Philosophie soviel Inkarnationen, als es Dinge gibt, wie sie hier in jeder Frucht eine Inkarnation der Substanz, der absoluten Frucht besitzt. Das Hauptinteresse für den spekulativen Philosophen besteht also darin, die Existenz der wirklichen profanen Früchte zu erzeugen und auf geheimnisvolle Weise zu sagen, daß es Apfel, Birnen, Mandeln und Rosinen gibt. Aber die Äpfel, Birnen, Mandeln und Rosinen, die wir in der spekulativen Welt wiederfinden, sind nur mehr Scheinäpfel, Scheinbirnen, Scheinmandeln und Scheinrosinen, denn sie sind Lebensmomente »der Frucht«, dieses abstrakten Verstandeswesens, also selbst abstrakte Verstandeswesen. Was sich daher in der Spekulation freut, ist, alle wirklichen Früchte wiederzufinden, aber als Früchte, die eine höhere mystische Bedeutung haben, die, aus dem Äther deines Gehirns und nicht aus dem materiellen Grund und Boden herausgewachsen, die Inkarnationen »der Frucht«, des absoluten Subjekts sind. Wenn du also aus der Abstraktion, dem übernatürlichen Verstandeswesen »die Frucht«, zu den wirklichen natürlichen Früchten zurückkehrst, so gibst du dagegen den natürlichen
Früchten auch eine übernatürliche Bedeutung und verwandelst sie in lauter Abstraktionen. Dein Hauptinteresse ist es eben, die Einheit »der Frucht« in allen diesen ihren Lebensäußerungen, dem Apfel, der Birne, der Mandel, nachzuweisen, also den mystischen Zusammenhang dieser Früchte, und wie in jeder derselben »die Frucht« sich stufenweise verwirklicht und notwendig, z.B. aus ihrem Dasein als Rosine, zu ihrem Dasein als Mandel fortgeht. Der Wert der profanen Früchte besteht daher auch nicht mehr in ihren natürlichen Eigenschaften, sondern in ihrer spekulativen Eigenschaft, wodurch sie eine bestimmte Stelle im Lebensprozesse »der absoluten Frucht« einnehmen.
Der gewöhnliche Mensch glaubt nichts Außerordentliches zu sagen, wenn er sagt, daß es Äpfel und Birnen gibt. Aber der Philosoph, wenn er diese Existenzen auf spekulative Weise ausdrückt, hat etwas Außerordentliches gesagt. Er hat ein Wunder vollbracht, er hat aus dem unwirklichen Verstandeswesen »die Frucht« die wirklichen Naturwesen, den Apfel, die Birne etc. erzeugt, d.h. er hat aus seinem eignen abstrakten Verstand, den er sich als ein absolutes Subjekt außer sich, hier als »die Frucht « vorstellt, diese Früchte geschaffen, und in jeder Existenz, die er ausspricht, vollzieht er einen Schöpfungsakt.
Es versteht sich, daß der spekulative Philosoph diese fortwährende Schöpfung nur zuwege bringt, indem er allgemein bekannte. In der wirklichen Anschauung sich vorfindende Eigenschaften des Apfels, der Birne etc. als von ihm erfundne Bestimmungen einschiebt, indem er dem, was allein der abstrakte Verstand schaffen kann, nämlich den abstrakten Verstandesformeln, die Namen der wirklichen Dinge gibt; indem er endlich seine eigne Tätigkeit, wodurch er von der Vorstellung Apfel zu der Vorstellung Birne übergeht, für die Selbsttätigkeit des absoluten Subjekts, »der Frucht«, erklärt.
Diese Operation nennt man in spekulativer Redeweise: die Substanz als Subjekt, als inneren Prozeß, als absolute Person begreifen, und dies Begreifen bildet den wesentlichen Charakter der Hegelschen Methode.“
[Marx/Engels: Die heilige Familie oder Kritik der kritischen Kritik. Philosophie von Platon bis Nietzsche, S. 48661 - 48667
(vgl. MEW Bd. 2, S. 60 - 62)
http://www.digitale-bibliothek.de/band2.htm ]
Die Kritik ist wesentlich schärfer und auch grundsätzlicher als Rorty sie jemals gewagt hätte.
Die „Frucht“ ist weder „Wesen“ noch „Wahrheit“ des Apfels.
Nur im Apfel selbst und zwar im einzelnen, konkreten sinnlich fassbaren Apfel kann seine Wahrheit gefunden werden. Und auch die Frage, was an einem Apfel wesentlich ist, kann weder mit Verweis auf die Frucht noch mit Abhandlungen über die Idee des Apfels ergründet werden.
Das ist nicht nur eine Absage an die Metaphysik, das ist auch eine Absage an jede Art von Philosophie, die sich „über“ den Dingen wähnt.
An Geisterbeschwörungen, bei denen die konkreten Körper unwesentlich werden.
Das Bilden von Abstraktionen ist ein wichtiges Denkwerkzeug.
Aber diesen Abstraktionen kommt keine eigene Existenz zu.
Zeit existiert nicht ohne Uhren, „Obst“ nur in Form von Äpfeln und Birnen und anderen Früchten. Ja selbst den „Apfel an sich“ gibt es nicht, sondern immer nur diesen und jenen Apfel.
Wesen und Wahrheit müssen im Konkreten gesucht und gefunden werden.
Umgekehrt kann man diese Kritik auch als eine Art „Bauanleitung für philosophische Systeme mit Absolutheitsanspruch“ lesen.
Man nehme z.B. zwei höchst abtrakte Begriffe wie „Sein und Zeit“. Über das Sein lässt sich eigentlich nur sagen, dass es ist. Jede andere Konkretion wurde daraus entfernt. Gerade daraus resultiert ja die breite Anwendbarkeit des Allerwelt-Hilfsverbs „ist“. Alles, was überhaupt existiert hat die Eigenschaft zu sein. Und im Grunde wird hier nur eine leere Abstraktion durch eine andere erklärt.
Also wäre: „Das Sein ist“ alles was sich zum Thema sagen lässt.
Wobei wir, was wir sagen, doppelt sagen, denn das Substantiv Sein nichts weiter als das ins Substantiv gesetzte Hilfsverb mit Namen „ist“.
Damit wäre alles gesagt, was über das Sein zu sagen ist und damit lassen sich natürlich weder Bücher füllen noch Lehrstühle erobern.
Aber vielleicht rettet uns ja die Zeit ?
Nicht wirklich.
Bekanntlich wurde die Zeit ja aus dem Reich der metaphysischen Begriffe, die jeder Erfahrung voraus gehen sollen, gewissermaßen „eingeboren“ sind, auf die platte Erde herunter geholt mit der simplen Feststellung: Damit es eine Zeit gibt, muss es eine Uhr geben. Ohne Uhren keine Zeit.
Was sind Uhren ?
Im weiteren Sinn sind es periodische Prozesse (z.B. Tag, Monat=Mondperiode, Jahr=Sonnenperiode), die durch ihre Periodenlänge einen Zeitraum messbar machen.
Im engeren Sinn sind es Maschinen, in denen solche periodischen Prozesse ablaufen und die uns deswegen als Zeitmesser dienen.
Damit aber überhaupt Zeit vergeht, müssen diesen periodischen Prozessen irreversible Prozesse (z.B. einem Menschenleben) gegenüber stehen, die durch ihre Irreversibilität einen Zeitstrahl aus dem Gestern über das Heute ins Morgen definieren.
Damit hätten wir auch dieses Thema erschöpft.
Und immer noch kein Buch in Sicht, das uns lehrstuhlwürdig machen würde.
Sobald wir nun Sein und Zeit mit einander kombinieren und z.B. das Sein in seiner Gewordenheit untersuchen, begehen wir den gleichen Schwindel, den Marx und Engels bereits ausführlich auf gedeckt haben.
Wer über das Sein mehr sagt als dass es ist, sagt zuviel.
Er billigt dem Sein mehr Inhalt zu als es seinem Wesen nach hat.
Gleichzeitig bleibt er aber im Abstrakten, Vagen.
Das führt aber dazu, dass man das Sein wie ein Gummi in beliebige Richtungen ziehen und dehnen kann und dass daraus dann auch eine ebensolche Beliebigkeit im Inhalt resultiert.
Auf diesem Weg lassen sich dann viele Bücher füllen.
Ob man aber auch nur ein einziges davon gelesen haben muss um wirklich was von der Welt zu verstehen, ist eine ganz andere Frage.
Hier endet der Exkurs über die Dialektik. Eigentlich sollte hier noch ein Kapitel über eines der schönsten und interessantesten Bücher kommen, das überhaupt jemals zu philosophischen Fragen geschrieben wurde: Die Deutsche Ideologie von Marx und Engels.
Die Autoren hatten ihr Werk ursprünglich der „nagenden Kritik der Mäuse“ (Engels) überlassen, aus der es erst in den 30er Jahren des 20.Jahrhunderts erlöst wurde.
Da es in der Deutschen Ideologie aber zentral um die Frage geht, wie wir frei und gut leben können und was wir dazu an unserer Gesellschaft ändern müssen, gehört die Auseinandersetzung damit in das letzte, utopische Kapitel dieses Buches.
Dort ist es dann aber kein Exkurs mehr.
Bevor wir aber dahin kommen, müssen wir uns noch den verschiedenen Aspekten des Schicksals unseres Fürsten widmen. Dabei geht es nicht zuletzt um die Frage, ob uns unser Schicksal vorbestimmt ist, wenn wir wie Myschkin zu den Idioten gehören. Tellenbach hat dazu eine klare und eindeutige Meinung.
Kommen wir nun auf Tellenbach zurück.
Wir hatten ihn folgendermaßen zitiert:
„So liegen die Dinge: daß es dem Fürsten darum gehen muss, diese Höhen und Tiefen miteinander zu versöhnen, die Mittelung als Synthese zu leisten. Das ist gleichsam der Hegelianische Imperativ, der diesem Wesen geboten ist: dass es ständig die Synthese zu leisten hat - Synthese als Mittelung von Höhe und Tiefe: dass es aber diese Synthese je weniger leisten kann, je ausgeprägter das Alternieren von Höhe und Tiefe ist; dass es vielmehr dann oftmals nichts anderes mehr zeitigen kann als einen mediokren Kompromiß einer Mittelung. In der Tat kann man diese Bewegung in die Mediokrität bei Myschkin immer wieder feststellen – so etwa in der Erzählung vom Gipfel-Traum der an Neapel erinnernden Landschaft.“
( Tellenbach, Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen Dichtung. Hürtgenwald: Guido Pressler 1993, Tellenbach, Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen Dichtung. Hürtgenwald: Guido Pressler 1993, Dostojewskijs epileptischer Fürst Myschkin: Zur Phänomenologie der Verschränkung von Anfallsleiden und Wesensänderung, S. 212-213).
Für Tellenbach haben Epileptiker ein Identitätsproblem.
Er nicht.
Ist er damit gesund ?
Wenn jegliche Identität, auch unsere eigene, prekär, zeitweilig und gefährdet ist, eine temporärer Einheit von Widersprüchen, ist dann die in sich ruhende Selbstgewissheit, frei von jedem Selbstzweifel, fern von jeglichem Identitätsbruch, ein Merkmal von Gesundheit ?
Oder definiert diese Abwesenheit von Zweifel und Unsicherheit nicht ein eigenes Krankheitsbild ?
Wir wollen Tellenbach keine Krankheit andichten, aber so viel Gesundheit macht mir Angst.
Sein „Oben“ und „Unten“ ist im übrigen zutiefst hierarchisch gedacht. Für „Oben“ und „Unten“ kann auch stehen „Edel“ und „Ordinär“, „Intelligent“ und „Dumm“, „Kindlich“ und „Erwachsen“ und schließlich und nicht zu Letzt: „Gesund“ und „Krank“.
Keine dieser Unterscheidungen bereitet ihm Probleme und keine dieser Unterscheidungen ist ihm ein Problem.
Und genau aus diesem Grund versteht er vom Wesen des Fürsten und vom Wesen seiner Krankheit nichts, überhaupt nichts.
Und das Gerede von Dialektik ist nichts als Kopfputz, intellektueller, unverstandener Zierrat.
Dialektik heißt eben nicht sich im Einerseits und Andererseits zufrieden aus zu ruhen, sondern den Schmerz und die Unruhe des Nicht-Identisch-Seins verstehen, ver- und ertragen zu können.
Das ist nicht einfach.
Manche machen es sich nur einfach.
„Es gibt kaum einen Zug im Wesen des Fürsten, der uns so ubiquitär entgegentritt wie sein Kindhaftigkeit. „ urteilt Tellenbach.
( Tellenbach, Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen Dichtung. Hürtgenwald: Guido Pressler 1993, Tellenbach, Schwermut, Wahn und Fallsucht in der abendländischen Dichtung. Hürtgenwald: Guido Pressler 1993, Dostojewskijs epileptischer Fürst Myschkin: Zur Phänomenologie der Verschränkung von Anfallsleiden und Wesensänderung, S. ???).
Das Kindhafte solle sich u.a. im Mangel an Takt und in seinem fehlenden sexuellen Interesse an Natasja kenntlich machen.
Überhaupt scheint ihm nur die Beziehung zwischen Natasja und dem Fürst in den Blick zu geraten, Aglaja scheint eine Nebengestalt.
Dabei übersieht er, dass gerade die Szene auf der Parkbank mit Aglaja für den Roman, aber auch für den Epileptiker Myschkin zentral ist.
Aber bleiben wir bei der Kindhaftigkeit und der fehlenden sexuellen Beziehung zu Natasja:
Was Tellenbach ziemlich grosszügig ignoriert und nur in einem Nebensatz über Rogoschin erwähnt:
Natasja wurde als 16jährige von Tozki in einen goldenen Käfig gesperrt und zu seiner Geliebten gemacht. Und zwar in dem er in „Freudendorf“ ein „Freudenhaus“ unterhielt. Er hat sie abgerichtet wie ein Reitpferd und nun ist sie in Petersburg, weil sie sich an Tozki und allen anderen Männern für das rächen will, was ihr angetan wurde.
Myschkin ist der Einzige, der ihre geschundene Seele erkennt und heilen möchte, der Einzige der diese Frau auch als Frau ernst nimmt. Und damit erweist er sich als Kind ? Mit unentwickeltem Eros ? Sind dann die bloße Geilheit und die Gleichgültigkeit gegen das, was eine Frau empfindet, zumal einer Frau von der wir nicht wissen, ob sie überhaupt Spaß und Freude an der Sexualität hat oder einfach nur gelernt hat sich von Tozki besteigen zu lassen, entwickelter, erwachsener Eros ?
Zu diesem Befund würde auch Tellenbachs Humorbegriff passen:
Am Beginn des Romans erzählt Myschkin vom „alten Geschlecht der Myschkins“ und Rogoschin und Lebedeff lachen über dieses versehentliche und müde Altherrenwitzchen. Myschkin kann nicht lachen, ich auch nicht, aber ich bin ja von der gleichen Fakultät wie Myschkin. Daraus leitet Tellenbach dann weitreichende Schlüsse her über Myschkins fehlenden Humor. Das Erwachsensein misst sich aber selten an der Menge des auf Paukböden gesoffenen Biers und an der Kenntnis der bei solchen Gelegenheiten gerissenen Zoten.
Zeigt nicht gerade der Versuch Myschkins Natasjas geschundene Seele zu heilen von einem Verantwortungsbewußtsein dem geliebten Menschen gegenüber von dem all diese Tozkis, Jepantschins, Rogoschins, Lebedefs etc. meilenweit entfernt sind.
Und man muss schon arg vom Geist der Mittelmässigkeit durchdrungen sein, wenn man die Anpassung an den common sense einer Meute, die sich, alle wie sie sind, jedenfalls auf der männlichen Seite, sehr oft als die eigentlichen Idioten erweisen, zur Generaltugend erklärt.
Was Tellenbach aber zu allererst nicht versteht:
Gerade weil Myschkins Epilepsie in einer abweichenden Struktur seines Geistes ihre Basis hat, ist bereits das Kind Myschkin anders als andere Kinder. Und deswegen kann auch der Mann Myschkin nur ein anderer Mann sein. Für seine Reife oder Unreife liefern die „Normalen“ keinen brauchbaren Maßstab.
Zumal Tellenbach es versäumt für das Erwachsensein etwas anderes an zu geben als seinen fragwürdigen Maßstab der Normalität.
Vom Vertrauen und der angeblichen Vertrauensseeligkeit Myschkin wird später noch zu reden sein.
Das Gerede von der epileptischen Wesensveränderung verwechselt überhaupt Ursache mit Wirkung. Nicht der Anfall ändert das Wesen, sondern das andere Wesen erleidet wegen seines Andersseins eher einen Anfall als andere Menschen.
Anders zu sein ist aber noch keine Krankheit. Es kann krank machen, wenn dieses Anderssein, dieses Nicht-Identisch sein, in Konflikte führt, die den Mensch, vor allem aber seinen Geist, überfordern.
Und selbst dann muss das Problem nicht im und am Anderen liegen.
Der Reifeprozess, der zum Erwachsenwerden gehört, muss bei den Myschkins einer etwas anderen Logik folgen, weil sie anders sind, wenn er gelingen soll.
Dabei müssen die spezifischen Stärken genauso wie die spezifischen Schwächen und der richtige Umgang mit beiden, so dass ein selbständiges erwachsenes Leben möglich ist, gelernt werden.
Dass dies nicht einfach ist, zeigt sich daran, dass die Pubertät die Zeit ist, in der fast alle ihre Anfälle bekommen. Aufwachepileptiker sind meist 16 oder 17 wenn sie ihre „Anfallkarriere“ starten.
Wenn wir diesem Andersein im einzelnen nachgehen, wird sich zeigen, dass manches was Tellenbach als „unreif“ abtut, richtig, vernünftig oder nicht zu vermeiden ist auf der Basis dieser eigensinnigen Logik.
Dialektisches Denken bedeutet überhaupt, dass man jenseits allen Identitätsdenkens, alles „ich bin, der ich bin“-Geraunes (bekanntlich definiert sich so sogar Gott), von der Existenz unterschiedlicher, manchmal gegensätzlicher Logiken und Identitäten weiß und davon, dass diese auch in ein und der selben Person existieren. An die Stelle einer „Dialektik der Höhe und Tiefe“ tritt daher die Erkenntnis über die eigene Logik, mehr noch: die je eigene Geschichte, der ein Myschkin folgt und bis zu einem gewissen Grad immer folgen muss.
Diese eigene Logik ergibt sich u.a. daraus, dass uns manches leicht fällt, bei dem andere sich schwertun: Geschichten, Entwicklungen, Zusammenhänge erfassen wir oft eher und besser als andere. Das ergibt dann die Tellenbachsche „Höhe“, aber gleichzeitig müssen wir damit fertig werden, dass oft einfache Dinge nicht checken und dann stürzen wir in die Tellenbachsche „Tiefe“.
Nur dass dieses allgemeine Geraune von Höhe und Tiefe eben nichts wirklich erklärt sondern nur die Illusion einer Erklärung verbreitet.
Wenn wir uns fragen, wie wir die Welt erkennen sollen und können werden wir im Großen und Ganzen 2 komplementäre Methoden gegeneinander abgrenzen:
Einmal das Erfassen der inneren Logik einer Sache und die daraus sich ergebende Ausformung genereller Regeln, Sätze und Gesetze.
Diese Regeln fassen aber immer nur das Allgemeine.
Sie geben uns die Knochen, das Skelett, aber nicht das wirkliche Leben.
Schlimmer noch: Das Leben, das Lebendige muss erst stillgelegt, quasi getötet werden, damit es logisch zugeht.
Zum anderen aber das sich Einlassen auf die jeweilige Geschichte, eigentlich sogar das sich darin Verlieren. Wie ein Fluß entspringt sie dann in den Bergen und mäandert dem Meer der Weltweisheit zu.
Und manchmal schleppt dieser Geschichten-Fluss Goldkörner mit. Aber nur wenn er nicht kanalisiert wird durch allzu enge Konvention oder Tendenz.
Große Erkenntnisse basieren immer auf großen und großartigen Erzählungen. Das wird über dem später daraus abgeleiteten Formelapparat gerne vergessen.
Das heutige Misstrauen gegen die „großen Erzählungen“ ist kontraproduktiv. Was allein berechtigt ist, ist das Misstrauen gegenüber der Idee einer angeblich „ehernen Logik“, die aus diesen Erzählungen folgen soll.
Aus Erzählungen erfolgt überhaupt keine Logik. Erzählungen sind per se antilogisch, weil sie die Veränderung, das Werden und Vergehen beschreiben. Damit handeln Erzählungen immer davon wie Nicht-Identisches Identisch wird und umgekehrt.
Logisches Denken ist aber im wesentlichen Identitätsdenken.
Nach einem bekannten Satz haben die Philosophen die Welt nur verschieden interpretiert, „es kömmt darauf an sie zu verändern.“
Wer Geschichte und Geschichten erzählt, erzählt davon, wie und warum sich die Welt verändert hat. Niemand kann daraus unmittelbar schließen, wie sie sich in Zukunft verändern lässt. Aber andererseits bringt auch nicht jeder neue Augenblick nur Neues.
Die Logik präpariert das heraus, was nicht neu ist am Neuen.
Was sich wiederholt.
Dagegen ist die Hermeneutik, die angeblich nach Dilthey das Feld der Geisteswissenschaften ist, vor allem eines: Nicht Fisch noch Fleisch, noch Knochen.
In Abwandlung obigen Satzes, könnte man sagen: Die Hermeneutiker haben die Philosophen (Dichter, Musiker, Maler etc.) nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, selbst zu denken.
Es ändert an der Autoritätsfixiertheit von Denken überhaupt nichts, wenn man statt der Bibel oder dem Koran einen anderen Kanon zu lesender Autoren definiert und dann fleißig wiederkäut.
Auch die bei den „Eigentlichen“ so beliebten „alten Griechen“, die so bedeutungsschwanger „wesen“ verbreiten angesichts dessen eher den Geist von Verwesung.
Natürlich wird jeder, der Geschichten erzählt, dies aus einer bestimmten Perspektive tun und er/sie wird auch wissen wollen wie andere die Geschichte erzählt haben und manchmal kann gerade das Erzählen über die verschiedenen Arten eine Geschichte zu erzählen selbst wieder eine sehr spannende Geschichte ergeben. Aber entscheidend bleibt immer: Am Ende muss eine eigene Geschichte heraus kommen.
Und wenn diese Geschichte uns etwas über die Welt verrät, in der wir leben, dann ist sie gut.
Ein ganz großer Erzähler war zweifellos Freud. Seine Geschichte vom Es, vom Ich und vom Über-Ich ergibt ein großartiges Setting um zu beschreiben, wie unsere biologische Grundausstattung auf das, was die Gesellschaft von uns fordert, reagiert und wie sich in dieser Spannung ein Ich herausbildet bzw. wie diese Ich-Entwicklung scheitern kann.
Natürlich gab es in dieser Erzählung schon immer ein paar problematische Unterstellungen, z.B. die, dass wir biologisch nur Männer sind, mit und ohne Penis. So als hätten Höhleneingänge, möglichst zugewachsen, nicht schon immer eine magische Anziehung auf kleine und große Jungen. Und es gibt halt nicht nur die Urangst kastriert zu werden, sondern ebenso die Angst sich in einer Höhle für immer zu verlaufen.
Problematisch ist auch die Unterstellung einer Art von „Trieberhaltungssatz“ bei der die Summe der Triebenergie immer gleich sein soll. Danach behindert die Liebe zu und von einer Frau unsere Leistungsfähigkeit, weil sie uns angeblich die Energie raubt, die wir für wissenschaftliche, sportliche, wirtschaftliche oder politische Höchstleistungen brauchen.
Das entspricht zwar unserer protestantischen Tradition, ist aber deswegen noch nicht wahr.
Vollends problematisch ist der unter dem Einfluss des Misanthropen Schopenhauer hergeleitete „Todestrieb“. Dass die Suche nach absoluten Gewissheiten am Schluss nur den Tod als letzte und endgültigste aller Gewissheiten übrig ließ, lässt nur den Schluss zu, dass man sich besser von letzten und absoluten Gewissheiten fernhält.
Die große Zuneigung, die das ausgehende deutsche 19.Jahrhundert dem Tod entgegenbrachte, hat bekanntlich in der „schwarzen Milch der Frühe“ mit dem „Tod als Meister aus Deutschland“ geendet. Diese verhängnisvolle und für viele Menschen lebensbedrohende deutsche Fehlentwicklung darf aber nicht der Biologie angelastet werden. Der Bauplan für Mord-Fabriken findet sich nicht in unseren Genen.
Zwar spricht viel dafür, dass der Vatermord in der patriachalischen Gesellschaft ein durchaus konstitutives Element ist. Die Erzählung vom König Ödipus ist sogar noch ein vergleichbar harmloses Beispiel dafür.
So tötet bekanntlich Zeus seinen Vater, schneidet ihm die Geschlechtsteile ab und aus dem ins Meer getropften Samen wächst in einer Muschel Aphrodite.
D.h. die Liebe existiert nur durch den Vatermord.
Nur spricht halt wenig dafür, dass die ursprüngliche Menschengesellschaft ausschließlich patriarchalisch war. Unsere nächsten Verwandten: Schimpansen und Bonobos lassen jedenfalls auch für die frühen Menschen wesentlich komplexere Strukturen vermuten.
Das gilt selbst dann, wenn man den sehr schönen Erzählungen Franz de Wals über „Make love not war“ als grundlegende Verhaltensstrategie der Bonobos misstraut.
Auf jeden Fall scheint die Sozialstruktur der Bonobos eher matriarchalisch zu sein.
Das Es erweist sich damit als viel variabler und weit weniger festgelegt als sich Freud das vorstellen wollte. Das Soziale einschließlich der Empathie scheint auch (schon weil Empathie die Basis intelligenten Verhaltens ist) viel fester in unserem biologischen Erbe verankert zu sein, als er glaubte. Damit müssen wir unser Es auch nicht mehr als fremde Macht fürchten, die uns überwältigt und in Mord und Totschlag treibt.
Auf der anderen Seite schützt aber auch Kultur nicht vor Barbarei. Bekanntlich musste Himmler bei der Besichtigung von Auschwitz kotzen, weil sein Es viel anständiger war als sein Ich und Über-Ich. Er hat dann jene furchtbare Rede gehalten über den sich für die Sache des Nationalsozialismus aufopfernden SS-Mann, der sich beim Morden nicht schont und gegen alle natürliche Abneigung in kantischer Pflichterfüllung treu bei der Sache, in dem Fall beim Zyklon B, bleibt.
Aus Himmler spricht in der Tat das väterliche Über-Ich, aber welches Monster grinst uns da an ! Und wer wissen will, wie dieses Monster geschaffen wurde, der lese von Andersch, „Der Vater eines Mörders“. Himmlers Vater war Schullehrer und unterrichtete u.a. Alfred Andersch.
Aber selbst wenn man all diese Abstriche bei Freud von vorne herein schon mal macht, ist die Enttäuschung trotzdem noch riesig, über die allzu dünne Wassersuppe, die er uns in seiner Abhandlung über den Epileptiker und ebenfalls großen Erzähler Dostojewskij anbietet.
Das beginnt bei der Frage: Hatte Dostojevskij nun epileptische Anfälle und gehört damit den Neurologen oder sind es in Wirklichkeit hysterische Anfälle und dann könnte sich Freud als der eigentlich kompetente in der Behandlung von Neurosen präsentieren.
Freud löst dieses Problem nach der Art jenes Besoffenen, der seinen verlorenen Schlüssel nicht dort sucht, wo er ihn verloren hat, sondern unter der Laterne, weil es dort heller ist.
Freud schreibt:
„Wodurch wird nun im strengen Sinne die Neurose erwiesen? Dostojewski nannte sich selbst und galt bei den anderen als Epileptiker auf Grund seiner schweren, mit Bewußtseinsverlust, Muskelkrämpfen und nachfolgender Verstimmung einhergehenden Anfälle. Es ist nun überaus wahrscheinlich, daß diese sogenannte Epilepsie nur ein Symptom seiner Neurose war, die demnach als Hysteroepilepsie, das heißt als schwere Hysterie, klassifiziert werden müßte. Volle Sicherheit ist aus zwei Gründen nicht zu erreichen, erstens, weil die anamnestischen Daten über Dostojewskis sogenannte Epilepsie mangelhaft und unzuverlässig sind, zweitens, weil die Auffassung der mit epileptoiden Anfällen verbundenen Krankheitszustände nicht geklärt ist.
Zunächst zum zweiten Punkt. Es ist überflüssig, die ganze Pathologie der Epilepsie hier zu wiederholen, die doch nichts Entscheidendes bringt, doch kann man sagen: Immer hebt sich noch als scheinbare klinische Einheit der alte Morbus sacer hervor, die unheimliche Krankheit mit ihren unberechenbaren, anscheinend nicht provozierten Krampfanfällen, der Charakterveränderung ins Reizbare und Aggressive und der progressiven Herabsetzung aller geistigen Leistungen. Aber an allen Enden zerflattert dies Bild ins Unbestimmte. Die Anfälle, die brutal auftreten, mit Zungenbiß und Harnentleerung, gehäuft zum lebensbedrohlichen Status epilepticus, der schwere Selbstbeschädigung herbeiführt, können sich doch ermäßigen zu kurzen Absenzen, zu bloßen rasch vorübergehenden Schwindelzuständen, können sich ersetzen durch kurze Zeiten, in denen der Kranke, wie unter der Herrschaft des Unbewußten, etwas ihm Fremdartiges tut. Sonst in unfaßbarer Weise rein körperlich bedingt, können sie doch ihre erste Entstehung einem rein seelischen Einfluß (Schreck) verdankt haben oder weiterhin auf seelische Erregungen reagieren. So charakteristisch die intellektuelle Herabsetzung für die übergroße Mehrzahl der Fälle sein mag, so ist doch wenigstens ein Fall bekannt, in dem das Leiden intellektuelle Höchstleistung nicht zu stören vermochte (Helmholtz). (Andere Fälle, von denen das gleiche behauptet wurde, sind unsicher oder unterliegen denselben Bedenken wie Dostojewski selbst.) Die Personen, die von der Epilepsie befallen sind, können den Eindruck von Stumpfheit, behinderter Entwicklung machen, wie doch das Leiden oft greifbarste Idiotie und größte Hirndefekte begleitet, wenn auch nicht als notwendiger Bestandteil des Krankheitsbildes; aber diese Anfälle finden sich mit allen ihren Variationen auch bei anderen Personen vor, die eine volle seelische Entwicklung und eher übergroße, meist ungenügend beherrschte Affektivität bekunden. Kein Wunder, daß man es unter diesen Umständen für unmöglich findet, die Einheit einer klinischen Affektion »Epilepsie« festzuhalten. Was in der Gleichartigkeit der geäußerten Symptome zum Vorschein kommt, scheint eine funktionelle Auffassung zu fordern, als ob ein Mechanismus der abnormen Triebabfuhr organisch vorgebildet wäre, der unter ganz verschiedenen Verhältnissen in Anspruch genommen wird, sowohl bei Störungen der Gehirntätigkeit durch schwere gewebliche und toxische Erkrankung als auch bei unzulänglicher Beherrschung der seelischen Ökonomie, krisenhaftem Betrieb der in der Seele wirkenden Energie. Hinter dieser Zweiteilung ahnt man die Identität des zugrunde liegenden Mechanismus der Triebabfuhr. Derselbe kann auch den Sexualvorgängen, die im Grunde toxisch verursacht sind, nicht fernestehen; schon die ältesten Ärzte nannten den Koitus eine kleine Epilepsie, erkannten also im sexuellen Akt die Milderung und Adaptierung der epileptischen Reizabfuhr.“ Belegstelle
Das letztere ist natürlich, auch wenn es von den „ältesten Ärzten“ kommt, besonderer Blödsinn. Wer einmal mit Muskelkater, zerbissener Zunge und geschlagen mit einem Gefühl der abgrundtiefen Blödheit und Leere im Kopf, mit großen Problemen einfachste Fragen, etwa der danach, was denn nun 1+1 ist, richtig zu beantworten, wach wird, wobei man ja eigentlich gar nicht wach wird, sondern nur als wach wahr genommen wird, erst Tage später ist man wieder wirklich wach, wer also einen solchen Zustand einmal erlebt hat, wird niemals auf die Idee kommen, ein solches Geschehen mit einem Orgasmus in Bezug zu setzen.
Was aber, davon abgesehen, am meisten auffällt, ist, wie große Mühe Freud sich gibt, die Epilepsie bei Dostoevskij zu einer „sogenannten“ Epilepsie zu erklären.
Hier will jemand offensichtlich gar nicht wissen, dass auch intellegente Menschen, ja sogar Genies Anfälle bekommen können.
Wenn ich irgendwem erkläre, dass ich Epileptiker bin (selbst wenn ich schon lange keine Anfälle mehr habe), dann versuchen die Allermeisten, Frauen wie Männer, so schnell als möglich das Thema zu wechseln. Ich spüre förmlich das körperliche Unbehagen, das eine solche Botschaft auslöst.
Dieses Unbehagen spürt man auch bei Freud. Dass es da in der Psychatrie ein paar Idioten gibt, die von Zeit zu Zeit merkwürdig schreien und dann zucken, ansonsten aber mehr und mehr dem Schwachsinn verfallen, macht ihm wenig aus, aber dass ein Helmholtz oder Dostojewskij, Leute, die ihm in Punkto geistige Potenz um nichts nachstehen, vor dieser „ unheimliche Krankheit“ nicht gefeit sind, das ängstigt ihn zutiefst.
Wir können und wollen ihm da kein bisschen helfen.
Es ist ja überhaupt so: Wenn wir Menschen ohne Arme oder Beine funktionierende Prothesen wünschen, tun wir das nicht nur für sie, sondern auch für uns. Jeder Armstumpf erinnert uns daran, dass auch wir nicht unverletzlich sind.
Es gibt halt nicht nur eine Kastrationsangst.
Und ich denke, die Angst den „Kopf zu verlieren“ ist unter all diesen Ängsten nicht die geringste.
Myschkin unterhält die Jepantschinschen Damen bei seinem ersten Besuch ja unter anderem mit dieser merkwürdigen Geschichte über seinen Besuch bei einer Hinrichtung. Beim Guilitonieren geht es ganz konkret darum, dass man seinen Kopf für immer verliert.
Aber auch jeder Anfall ist ein solcher, wenigstens zeitweiser Verlust.
Selbst wenn man keinen Anfall hat: Die Anfälle sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Die regelmässigen Fehlleistungen, von denen noch die Rede sein wird, führen dazu, dass sich kein Myschkin seines Kopfes wirklich sicher sein kann.
Das führt zu einem merkwürdigen Widerspruch: Einerseits weiss jeder Myschkin, dass er nicht normal ist, andererseits ist der Wunsch ganz normal zu sein, übermächtig.
Wie übermächtig, kann ich mit einem kleinen Beispiel aus eigenem Erleben schildern: Zwischen meinem 16-18. Lebensjahr hatte ich, u.a. wegen unzureichender Einstellung auf die richtigen Medikamente, ungefähr im 2-Wochen-Rhytmus Anfälle.
Gleichzeitig war ich, getreu meinem großen Vorbild Rudi Dutschke, Reisender in Sachen Weltrevolution. Bei einem solchen „Einsatz“ wurde es später und ich erinnere mich noch, dass ich mit einem Bekannten an der Bushaltestelle gestanden habe, um auf den Bus zur letzten Straßenbahn nach Bad Dürkheim 20 km weiter zu warten.
Wach wurde ich dann wieder im Krankenwagen kurz vor meinem Elternhaus. Sobald ich wieder wach wurde und schon im Krankenwagen versuchte ich den Sanitätern zu erklären, wieso ihr Einsatz ganz überflüssig gewesen sei, ich hatte ja nichts, nur einen Anfall. Dabei hätte ich bei nüchterner Betrachtung wissen müssen, dass ich ohne die Sanitäter nie nach Hause gekommen wäre.
Je mehr nach einem Anfall meine Umgebung erschrocken war, und solche Anfälle erschrecken und verunsichern sehr stark, desto größere Mühe habe ich mir gegeben, das was da gerade passiert war, zu bagatellisieren.
Von Hermann Hesse gibt es einen Aufsatz aus dem Jahr 1919 mit dem Titel „Gedanken zu Dostojewskis «Idiot»“. Das folgende Zitat gibt diesen Aufsatz auszugsweise wieder. Den ganzen Aufsatz findet man hier: http://www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/Idiot-mit-Dostobild.pdf
Hermann Hesse meint:
„ Oft ist Dostojewskis «Idiot», der Fürst Lew Myschkin, mit Jesus verglichen
worden. Natürlich kann man das tun. Man kann jeden Menschen
mit Jesus vergleichen, der, von einer der magischen Wahrheiten gestreift,
das Denken vom Leben nicht mehr trennt und dadurch inmitten seiner Umgebung vereinsamt und zum Gegner aller wird. Darüber hinaus scheint mir
die Ähnlichkeit zwischen Myschkin und Jesus nicht eben sehr auffallend,
nur ein Zug noch, ein wichtiger freilich, fällt mir an Myschkin als jesushaft
auf: seine zaghafte Keuschheit. Die verheimlichte Angst vor dem Geschlecht
und der Zeugung ist ein Zug, der dem «historischen», dem Jesus
der Evangelien, nicht fehlen dürfte, der auch deutlich mit zu seiner Weltmission
gehört. …..
Aber es ist seltsam ─ so wenig mir der ewige Vergleich zwischen
Myschkin und Christus sympathisch ist ─ auch ich sehe die beiden Bilder
unbewußt miteinander verbunden. ... Es fiel mir eines Tages, als ich an den Idioten dachte, auf, daß mein erster Gedanke an ihn immer ein scheinbar nebensächlicher ist.
Wenn ich an ihn denke, sehe ich ihn, ... immer in einer besonderen, an sich unbedeutenden Nebenszene. Ebenso geht es mir mit dem Heiland. Wenn irgendeine Assoziation mich zu der Vorstellung «Jesus» führt oder das Wort Jesus durch Ohr oder Auge mich trifft, dann sehe ich im ersten Aufblitz niemals Jesus am Kreuz, oder Jesus in der Wüste, oder Jesus als Wundertäter, oder Jesus als Auferstandenen, sondern ich sehe ihn in dem Augenblick, wo, er im Garten Gethsemane den letzten Kelch der Vereinsamung trinkt, wo die Wehen von Sterbenmüssen und höherer Neugeburt seine Seele zerreißen, und wie er da, in einem letzten rührenden Kinder-Trostbedürfnis, sich nach seinen Jüngern
umsieht, ein wenig Wärme und Menschennähe, eine flüchtige holde Täuschung
inmitten seiner hoffnungslosen Einsamkeit sucht ─ und wie da die
Jünger schlafen! …..... Dieser grauenhafte Augenblick ist mir, ich weiß
nicht auf welchem Wege, schon seit sehr früher Jugend tief eingeprägt, und,
wie gesagt, wenn ich an Jesus denke, so taucht immer sofort unfehlbar die
Erinnerung an diesen Augenblick mit auf.
Die Parallele dazu bei Myschkin ist diese. Wenn ich an ihn, an den
«Idioten», denke, so ist es ebenfalls ein scheinbar nicht so wichtiger Moment,
der mir zuerst aufblitzt, und zwar ist es ebenfalls der Moment einer
unglaublichen, totalen Isoliertheit, einer tragischen Vereinsamung. Die
Szene, ... ist jener Abend in Pawlowsk im Hause Lebedeffs, wo
der Fürst, wenige Tage nach seinem epileptischen Anfall, ...den Besuch der ganzen Familie Jepantschin empfangen hat, als plötzlich in diesen heitern und eleganten, obwohl auch schon mit heimlichen Spannungen und Schwülheiten geladenen Kreis die jungen Herren Revolutionäre und Nihilisten treten, als der gesprächige Bursche Hippolyt mit seinem angeblichen «Sohne Pawlitschews», mit dem «Boxer» und den andern hereinplatzt,....wo diese beschränkten und irregeführten jungen Menschen in ihrer hilflosen Bosheit so grell und exponiert und nackt wie auf überhellter Bühne stehen, wo jedes, jedes einzelne ihrer Worte einem doppelt wehe tut, einmal wegen seiner Wirkung auf den guten Myschkin, und dann noch wegen der Grausamkeit, mit der es den Sprecher selbst entblößt und preisgibt ─ diese seltsame, unvergeßliche, obwohl im Roman
selbst nicht allzu wichtige oder betonte Stelle meine ich. Auf der einen
Seite die Gesellschaft, die Eleganten, die Weltleute, die Reichen, Mächtigen
und Konservativen, auf der andern Seite die wütende Jugend, unerbittlich,
nichts kennend als Auflehnung, nichts kennend als ihren Haß auf das
Hergebrachte, rücksichtslos, wüst, wild, namenlos stupid mitten in ihrem
theoretischen Intellektualismus ─ und zwischen diesen beiden Parteien
stehend der Fürst, allein, exponiert, von beiden Seiten kritisch und mit
höchster Spannung beobachtet. Und wie endet die Situation? Sie endet
damit, daß Myschkin, trotz einigen kleinen Fehlern, die ihm in der Aufregung
passieren, sich ganz seiner guten, zarten, kindlichen Natur entsprechend
benimmt, daß er das Unerträgliche lächelnd hinnimmt, auf das
Unverschämteste noch mit Selbstlosigkeit antwortet, bereit ist, jede Schuld
auf sich zu nehmen, bei sich zu suchen ─ und daß er damit vollkommen
durchfällt und verachtet wird ─ nicht etwa von dieser Partei oder jener,
nicht etwa von den Jungen gegen die Alten, oder umgekehrt, sondern von
beiden, von beiden! Alle wenden sie sich von ihm ab, allen hat er auf die
Zehen getreten, einen Augenblick lang sind die äußersten Gegensätze in
Gesellschaft, Alter, Gesinnung völlig verlöscht, und alle sind einig, vollkommen
einig darin, daß sie sich mit Entrüstung und Wut von dem abwenden,
der der einzige Reine unter ihnen ist!
Worauf nun beruht die Unmöglichkeit dieses Idioten in der Welt der
andern? Warum versteht ihn niemand. ihn, den doch fast alle irgendwie
lieben, dessen Sanftmut allen sympathisch, ja oft vorbildlich erscheint?
Was trennt ihn, den magischen Menschen, von den andern, den gewöhnlichen
Menschen? Warum haben sie recht, wenn sie ihn ablehnen? Warum
müssen sie das tun, unfehlbar? Warum muß es ihm gehen wie Jesus, der
am Ende nicht nur von der Welt, sondern auch von allen seinen Jüngern
verlassen war?
Das ist, weil der Idiot ein anderes Denken denkt als die andern. Nicht
daß er weniger logisch, mehr kindlich-assoziativ denkt als sie, nicht das ist
es. Sein Denken ist jenes, das ich das «magische» nenne. Er leugnet, dieser
sanfte Idiot, das ganze Leben, das ganze Denken und Fühlen, die ganze
Welt und Realität der andern. Für ihn ist Wirklichkeit etwas vollkommen
anderes als für sie. Ihre Wirklichkeit ist für ihn völlig schattenhaft. Darin,
daß er eine ganz neue Wirklichkeit sieht und fordert, wird er ihr Feind.
Der Unterschied ist nicht der, daß die einen Macht und Geld, Familie
und Staat und dergleichen Werte hochschätzen, er aber nicht. Es ist nicht
so, daß er das Geistige verträte und sie das Materielle oder wie man das
formulieren mag! Nicht das ist es. Auch für den Idioten besteht das
Materielle, er anerkennt durchaus die Bedeutung dieser Dinge, wennschon
er sie weniger wichtig nimmt. Seine Forderung, sein Ideal ist nicht ein
asketisch-indisches, ein Absterben von der Welt scheinbarer Wirklichkeiten,
zugunsten des in sich begnügten Geistes, der allein Wirklichkeit zu
sein meint.
Nein, über die beiderseitigen Rechte der Natur und des Geistes, über
die Notwendigkeit ihres Ineinanderwirkens, würde Myschkin sich durchaus
mit den andern verständigen können. Nur daß die Gleichzeitigkeit und
Gleichberechtigung beider Welten für sie ein Verstandessatz, für ihn Leben
und Wirklichkeit ist! Dies ist noch unklar, versuchen wir, es etwas anders
darzustellen.
Myschkin unterscheidet sich von den andern dadurch, daß er als
«Idiot» und Epileptiker, der aber zugleich ein recht kluger Mensch ist, viel
nähere und unmittelbarere Beziehungen zum Unbewußten hat als jene. Das
höchste Erlebnis ist ihm jene halbe Sekunde höchster Feinfühligkeit und
Einsicht, die er einige Male erlebt hat, jene magische Fähigkeit, für einen
Moment, für den Blitz eines Momentes alles sein, alles mitfühlen, alles mitleiden,
alles verstehen und bejahen zu können, was in der Welt ist. Dort
liegt der Kern seines Wesens. Er hat Magie, er hat mystische Weisheit
nicht gelesen und anerkannt, nicht studiert und bewundert, sondern (wenn
auch nur in ganz seltenen Augenblicken) tatsächlich erlebt. Er hat nicht
seltene und bedeutende Gedanken und Einfälle gehabt, sondern ist, einmal
oder einigemal, auf der magischen Grenze gestanden, wo alles bejaht wird,
wo nicht nur entlegenste Gedanke wahr ist, sondern auch das Gegenteil
jedes solchen Gedankens.
Dies ist das Furchtbare, mit Recht von den andern Gefürchtete an
diesem Menschen. Völlig allein steht er nicht, nicht die ganze Welt ist
gegen ihn. Es sind da noch einige Menschen, einige sehr zweifelhafte, sehr
gefährdete und gefährliche Menschen, die ihn zuzeiten gefühlhaft verstehen:
Rogoschin, die Nastasja. Vom Verbrecher und von der Hysterischen
wird er verstanden, er, der Unschuldige, das sanfte Kind!
Aber dies Kind ist, bei Gott, nicht so sanft, wie es scheint. Seine
Unschuld ist keine harmlose und mit Recht erschrecken die Menschen vor
ihm.
Der Idiot ist, sagte ich, zeitweise jener Grenze nahe, wo von jedem
Gedanken auch das Gegenteil als wahr empfunden wird. Das heißt, er hat
ein Gefühl dafür, daß kein Gedanke, kein Gesetz, keine Prägung und
Formung existiert, welche anders wahr und richtig wäre als von einem Pole
aus ─ und zu jedem Pol gibt es einen Gegenpol. Das Setzen eines Poles,
das Annehmen einer Stelle, von wo aus die Welt angeschaut und geordnet
wird, ist die erste Grundlage jeder Formung, jeder Kultur, jeder Gesellschaft
und Moral. Wer Geist und Natur, Gut und Böse, sei es auch nur für
einen Moment, als verwechselbar empfindet ist der furchtbarste Feind jeder
Ordnung. Denn dort beginnt das Gegenteil von Ordnung, dort beginnt das
Chaos.
Ein Denken, das zum Unbewußten, zum Chaos, zurückkehrt, zerstört
jede menschliche Ordnung. Dem «Idioten» wird einmal im Gespräch gesagt,
er sage ja nur die Wahrheit, nicht mehr, und das sei jämmerlich! So ist
es. Wahr ist alles, ja läßt sich zu allem sagen. Um die Welt zu ordnen, um
Ziele zu erreichen, um Gesetz, Gesellschaft, Organisation, Kultur, Moral zu
ermöglichen, muß zum Ja das Nein kommen, muß die Welt in Gegensätze,
in Gut und Böse eingeteilt werden. Mag die erste Setzung jedes Nein, jedes
Verbotes, eine völlig willkürliche sein ─ sie wird heilig, sobald sie Gesetz
wird, sobald sie Folge hat, sobald sie Grundlage einer Anschauung und
Ordnung geworden ist.
Höchste Wirklichkeit im Sinne menschlicher Kultur ist dies Eingeteiltsein
der Welt in Hell und Finster, Gut und Böse, Erlaubt und Verboten.
Höchste Wirklichkeit für Myschkin aber ist das magische Erlebnis von der
Umkehrbarkeit aller Satzungen, vom gleichberechtigten Vorhandensein der
Gegenpole. Der «Idiot», zu Ende gedacht, führt das Mutterrecht des Unbewußten
ein, hebt die Kultur auf. Er zerbricht die Gesetzestafeln nicht, er
dreht sie nur um und zeigt, daß auf der Rückseite das Gegenteil geschrieben
steht.
Daß dieser Feind der Ordnung, dieser furchtbare Zerstörer nicht als
Verbrecher auftritt, sondern als lieber, schüchterner Mensch voll Kindlichkeit
und Anmut, voll guter Treuherzigkeit und selbstloser Gutmütigkeit, das
ist das Geheimnis dieses erschreckenden Buches. Dostojewski hat aus
tiefem Empfinden heraus diesen Mann als krank, als Epileptiker gezeichnet.
Alle Träger des Neuen, des Furchtbaren, des ungewissen Zukünftigen, alle
Vorboten eines vorgeahnten Chaos sind bei Dostojewski Kranke, Zweifelhafte,
Belastete: Rogoschin, die Nastasja, später alle vier Karamasows.
Alle werden als entgleiste, als sonderbare Ausnahmegestalten gezeichnet,
aber alle so, daß wir für ihre Entgleistheit und Geisteskrankheit etwas von der heiligen Achtung empfinden, die der Asiate dem Wahnsinnigen zu schulden glaubt.“
Soweit Hesse.
Betrachten wir seine Ausführungen im einzelnen. Die zentrale Aussage Hesses scheint mir folgende zu sein:
„Der Idiot ist, sagte ich, zeitweise jener Grenze nahe, wo von jedem
Gedanken auch das Gegenteil als wahr empfunden wird. Das heißt, er hat
ein Gefühl dafür, daß kein Gedanke, kein Gesetz, keine Prägung und
Formung existiert, welche anders wahr und richtig wäre als von einem Pole
aus ─ und zu jedem Pol gibt es einen Gegenpol.“
Man kann es auch anders sagen: Für den Idioten ist das Nicht-Identisch-Sein Teil seiner Identität.
Und das erschreckt alle an ihm, auch Hesse.
Das Erschrecken resultiert dabei daraus, dass „Identität“ eben keineswegs ein so selbstverständlicher Zustand ist, wie man sich gerne einredet. Aber je weniger selbstverständlich Identität ist, um so grösser der Unwille, wenn das Identitätsdenken in Frage gestellt wird.
Woher kommt dieses Nicht-Identisch-Sein ?
Hesse meint:
„Myschkin unterscheidet sich von den andern dadurch, daß er als
«Idiot» und Epileptiker, der aber zugleich ein recht kluger Mensch ist, viel
nähere und unmittelbarere Beziehungen zum Unbewußten hat als jene.“
….
„Er hat Magie, er hat mystische Weisheit nicht gelesen und anerkannt, nicht studiert und bewundert, sondern (wenn auch nur in ganz seltenen Augenblicken) tatsächlich erlebt.“
Es ist typisch für Nicht-Epileptiker, dass sie vom Anfallsgeschehen so verstört sind, dass sie hier eine „höhere Macht“ walten sehen.
Dabei wird übersehen, dass man als Epileptiker während des Anfalls bewußtlos ist und in diesem Zustand schlecht das Unbewußte sehen kann. So spektakulär ein Anfall für den Zuschauer aussieht, so banal ist das Geschehen für den im Zentrum. Aber das ist ja nicht ungewöhnlich, denn im Auge des Hurrikans ist es auch still.
Bleibt die Aura, jener kurze, noch bewußte „Moment des Glücks“ von dem Dostojewski schreibt. Ich hatte nie eine Aura. Aber Menschen, die wie Dostojewski eine Aura erlebt haben, haben mir erzählt, dass sie diesen „kurzen Moment“ hauptsächlich dazu nutzen sich in Sicherheit zu bringen. Ein Anfall ist für den Betroffenen zu allererst ein Sturz, bei dem man sich alle Knochen brechen kann. Es ist schon erstaunlich, wie heil ich die unmöglichsten Stürze überstanden habe, aber ich habe mir auch schon aus einer „harmlosen“ Situation heraus das Nasenbein gebrochen und die Zähne eingeschlagen.
So leid es mir für Hesse auch tut: Das mit der höheren magischen Wahrheit ist ein Schmarren.
Damit stellt sich allerdings erst recht die Frage nach der Ursache von Myschkins Andersartigkeit, die laut Hesse ja darin besteht, dass sein Denken „zum Chaos zurück kehrt. „
„Ein Denken, das zum Unbewußten, zum Chaos, zurückkehrt, zerstört
jede menschliche Ordnung.“ dekretiert er.
Die Frage ist allerdings ob seine Angst vor dem Chaos und der „Zerstörung ..menschlicher Ordnung“ nicht typisch deutsch ist.
So ordentlich wie Hesse sich das wünscht, ist nur der Kristall und der ist tot. Das Leben beinhaltet immer neben Ordnung auch Chaos. Nur durch diesen Tanz auf der Grenze von Ordnung und Chaos ist überhaupt das Lebendige definiert.
Bleibt die Frage, wodurch Myschkin das Ordnungsemfinden Hesses, der Jepantschins und ihres Anhangs, aber auch Ippolits und seiner „Nihilisten“ so nachhaltig stört.
Was definiert überhaupt „Ordnung“ ?
Der Mensch ist ein soziales Tier. Und alle diese Tiere haben zu aller erst eine Rangordnung. Mann und Frau sortieren sich in Hierarchien.
In der menschlichen Gesellschaft ist es noch ein bisschen komplizierter. Neben der gewissermaßen natürlichen Hierarchie, die sich aus der Person und ihren nachvollziehbaren Fähigkeiten ergibt (und die man vielleicht sogar riecht), existiert im Rußland der 60iger Jahre des 19.Jahrhunderts noch eine Hierarchie kraft Geburt, die manche dazu berechtigt andere auch körperlich zu züchtigen und daneben und darunter, aber in wachsender Konkurrenz auch eine Hierarchie, die sich auf Besitz gründet und die dem, der Geld hat, auch Geld geerbt hat,die Möglichkeit verschafft, dem der ihn schlagen darf, gegebenenfalls finanziell die Gurgel zu zu drücken.
Weil diese unterschiedlichen Hierarchiesysteme in Konkurrenz und Konflikt geraden sind, deswegen sind die „Nihilisten“ und ihr merkwürdiger Auftritt überhaupt möglich.
Myschkin aber sind all diese konkurrierenden Hierarchiesystem fremd.
Wobei das nicht heißt, dass sein Verstand sie nicht begreift, aber er lebt sie nicht und sie leben nicht in und mit ihm.
Warum ?
Um das zu verstehen, können wir alle „vererbten“, von früheren Fähigkeiten und Verdiensten hergeleiteten Hierarchien, ob sie nun auf Geld (auch ererbtem Geld) oder ererbtem Rang beruhen, getrost vergessen.
Sie definieren sowieso nur ein von den Vorfahren geschenktes Plus oder Minus, das einem am Bein hängt oder nach oben trägt, bei der Herausbildung dessen, was wir als natürliche oder Fähigkeitshierarchie bezeichnen können.
In einer Gesellschaft der Gleichheit wäre dieses Plus oder Minus Null. Und somit würden wir auch nur in einer solchen Gesellschaft tatsächlich von den Fähigsten unter uns regiert.
Aber auch in einer solchen Gesellschaft hätte Myschkin Probleme mit der Rangordnung.
Das liegt daran, dass wir uns in den Gruppen, in denen wir zu Hause sind, gewissermaßen nach unseren Fähigkeiten sortieren.
Da wir auf unterschiedlichen Gebieten unterschiedliche Fähigkeiten haben, findet eine Mittelwertbildung statt. Daraus errechnet sich unser Rang. Natürlich bleiben bei annähernder Gleichheit Zweifel und man überschätzt sich gerne. Dann finden Rangordnungskämpfe statt.
Wir unterscheiden uns da weniger von Affen oder Raben, als wir in unserer Selbstüberschätzung gerne wahr haben wollen.
Das Problem für Myschkin besteht nun darin, dass eine Mittelwertbildung bei Extremwerten nicht funktioniert. Aus einem „klugen Menschen“ und kompletten Idioten ergibt sich nun mal kein halber Idiot oder nicht ganz so kluger Mensch. Beides Klugheit und Idiotie bleiben in ihrer Gleichzeitigkeit Myschkinsche Attribute.
Damit ist aber sein natürlicher Platz in einer natürlichen Hierarchie das Nirgends oder auch das Überall und damit die Ortslosigkeit.
Er ist allen anderen gleichzeitig überlegen und unterlegen und damit ist seine Identität das Nicht-Identisch-Sein.
Wenn wir uns nun fragen, warum es bei sozialen Tieren eine solche Rangordnung geben muss, dann ist die Antwort darauf: Weil damit der Krieg jeder gegen jeden, den nach Hobbes angeblich erst der Staat befriedet, verhindert wird. D.h. natürliche Rangordnungen (nicht der ererbte Rang oder das ererbte Geld) sind für soziales Zusammenleben unverzichtbar.
Gleichzeitig verschlingen Rangordnungskämpfe aber auch viel Energie, denn das Nicht-Identisch-Sein ist bei den Myschkins ja nur extrem, insofern wir es hier mit Gleichzeitigkeit zu tun haben. Aber auch die anderen Mitglieder einer sozialen Gruppe bleiben heute nicht wie gestern. Der eine ist zwar ein Silberrücken, aber an der Spitze zu stehen ist anstrengend und irgendwann schwinden die Kräfte, dem anderen wachsen sie und so greift er an und erobert sich einen neuen Platz in der Hierarchie usw. ad infinitum.
Weibchen sind in der Regel schwächer und zumal mit einem Kind auf dem Rücken verletzlicher und deswegen bleiben sie häufig untergeordnet. Aber mit zunehmender Entwicklung des Sozialen bilden sich neue Verhältnisse. An Stelle roher Kraft tritt die Fähigkeit zu kooperieren, sich zu verbünden.
Hier erweisen sich die Frauen mit ihrer Fähigkeit zu Liebe und Zuneigung aber als das stärkere Geschlecht. Das heißt nicht dass Rangordnungen verschwinden, aber sie werden modifiziert durch Verstehen, Verzeihen und Gernhaben, kurz durch Liebe.
In solchen frauengeprägten Gesellschaften mit ihrer anderen Art von Ordnung hätte es unser Myschkin leichter. Aber leider ist das Matriarchat mit der Herausbildung des Kriegertums vermutlich untergegangen. Zwar erinnert uns der Mythos der Amazonen daran, dass am Anfang dieser Zeit neben Kriegern auch Kriegerinnen existierten, aber vollkommen zu Recht erzählt uns dieser Mythos auch davon, dass am Ende die Kriegerinnen den Krieg verloren haben.
Und so sind wir heute wieder in mancher Hinsicht in der Welt der Paviane gelandet.
„Höchste Wirklichkeit für Myschkin aber ist das magische Erlebnis von der Umkehrbarkeit aller Satzungen, vom gleichberechtigten Vorhandensein der Gegenpole. Der «Idiot», zu Ende gedacht, führt das Mutterrecht des Unbewußten ein, hebt die Kultur auf.
Er zerbricht die Gesetzestafeln nicht, er dreht sie nur um und zeigt, daß auf der Rückseite das Gegenteil geschrieben steht.
Daß dieser Feind der Ordnung, dieser furchtbare Zerstörer nicht als
Verbrecher auftritt, sondern als lieber, schüchterner Mensch voll Kindlichkeit
und Anmut, voll guter Treuherzigkeit und selbstloser Gutmütigkeit, das
ist das Geheimnis dieses erschreckenden Buches.“
Dass der Idiot das „Mutterrecht des Unbewußten“ einführt, hebt mitnichten die Kultur auf.
Es durchlöchert aber die strengen Satzungen des Vaters setzt die prinzipielle Unordnung des Lebens neu auf unsere Tagesordnung.
Mancher behauptet von sich, er sei ein großer Denker, dabei hat er doch nur ein großes Maul.
Unter diesen Maulhelden ist Nietzsche zweifellos der Größte.
„Man muß rechtschaffen sein in geistigen Dingen bis zur Härte, um auch nur meinen Ernst, meine Leidenschaft auszuhalten. Man muß geübt sein, auf Bergen zu leben – das erbärmliche Zeitgeschwätz von Politik und Völker-Selbstsucht unter sich zu sehn. Man muß gleichgültig geworden sein, man muß nie fragen, ob die Wahrheit nützt, ob sie einem Verhängnis wird... Eine Vorliebe der Stärke für Fragen, zu denen niemand heute den Mut hat; der Mut zum Verbotenen; die Vorherbestimmung zum Labyrinth. Eine Erfahrung aus sieben Einsamkeiten. Neue Ohren für neue Musik. Neue Augen für das Fernste. Ein neues Gewissen für bisher stumm gebliebene Wahrheiten. Und der Wille zur Ökonomie großen Stils: seine Kraft, seine Begeisterung beisammenbehalten... Die Ehrfurcht vor sich; die Liebe zu sich; die unbedingte Freiheit gegen sich... Wohlan! Das allein sind meine Leser, meine rechten Leser, meine vorherbestimmten Leser: was liegt am Rest? – Der Rest ist bloß die Menschheit. – Man muß der Menschheit überlegen sein durch Kraft, durch Höhe der Seele – durch Verachtung...“
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche,+Friedrich/Der+Antichrist/Vorwort
Welche Großmäuligkeit und Schlitzohrigkeit zugleich. Es ist der alte Trick der betrügerischen Schneider vom dem uns Andersen in „Des Kaisers neue Kleider“ erzählt: Wenn ihr mich versteht, seid ihr besonders intelligent. Dieser Trick zieht immer, denn die Zahl der Dummköpfe die zur „geistigen Elite“ gezählt werden wollen, obwohl es ihnen an allem mangelt, vor allem an Verstand und Vernunft, ist speziell in Deutschland sehr gross.
Aber gerade wenn man kein Kindskopf ist, muss man eigentlich sehen, dass der Kaiser splitterfasernackt ist.
„2
Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht.
Was ist schlecht? – Alles, was aus der Schwäche stammt.
Was ist Glück? – Das Gefühl davon, daß die Macht wächst – daß ein Widerstand überwunden wird.
Nicht Zufriedenheit, sondern mehr Macht; nicht Friede überhaupt [1166] sondern Krieg; nicht Tugend, sondern Tüchtigkeit (Tugend im Renaissance-Stile, virtù, moralinfreie Tugend).
Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehn: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.
Was ist schädlicher als irgendein Laster? – Das Mitleiden der Tat mit allen Mißratnen und Schwachen – das Christentum...“
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Nietzsche+Friedrich/Der+Antichrist/1-10
Dieses Geschwätz ist hochgradig gefährlich für jeden und jede die wir einmal Momente der Schwäche erleben können. „Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehen....Und man soll ihnen noch dazu helfen.“
Als Idiot muss man wissen was das heißt. Und niemand kann sagen, Hitler habe Nietzsche missverstanden, als er folgenden „Führerbefehl“ nachträglich auf den 1.9.1939 datierte:
„Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“
http://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4
Es ist genau das, was Nietzsche fordert:
„Die Schwachen und Mißratenen sollen zugrunde gehn: erster Satz unsrer Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen.“
Das er selbst in Wirklichkeit ein „Schwacher und Mißratener“ war, macht dabei nichts besser.
Nun hört man oft und oft zurecht, dass Philosophen nicht für Verbrechen, die aus falschen Gedanken resultieren, verantwortlich gemacht werden dürfen.
Hegel, beispielsweise, hat mit seiner „dialektischen Logik“ den Boden bereitet für Stalinsche Willkür.
Seiner Methode der These-Antithese-Synthese wohnt von Haus aus Willkür und Beliebigkeit inne. D.h. seine Methode die Beschränktheit bloßen logischen Denkens zu überwinden, ersetzte die Beschränktheit durch Beliebigkeit.
Die Menschen die Opfer eines „dialektischen“ Rechtssystems wurden, bekamen diese Beliebigkeit zu spüren.
Allerdings hat Hegel groß gedacht und groß geirrt.
Und er hat nie zum Massenmord aufgerufen oder ihn gebilligt.
Andere haben seine Denkfehler missbraucht und damit Massenmorde gerechtfertigt.
Nietzsche kann man nicht missverstehen. Sein Mordaufruf ist unmissverständlich. Und die Euthanasie-Politik der Nazis ist daraus eine zwingende logische Konsequenz.
Nun goutieren viele ja Nietzsche und den „Antichristen“ wegen seiner Religionskritik: Nietzsche, der Tabubrecher, Nietzsche, der endlich sagt, was schon lange mal gesagt werden musste !
Nur was sagt er denn ?
Er wiederholt die einmal gefundene Formel wonach Mitleid angeblich Schwäche sein soll bis zum Erbrechen und übergießt das ganze dann mit einer stinkenden Jauche aus Antisemitismus, den er aus den aller trübsten Quellen seiner Zeit schöpft.
Überhaupt beweist sein Räsonieren z.B. über den Budhismus vor allem eins:
Den Mangel jeder ernst zu nehmenden Kenntnis.
Oder was soll man sonst zu folgender Sentenz sagen:
„Die Voraussetzung für den Buddhismus ist ein sehr mildes Klima..“ Wo ? In Sri Lanka oder eher im tibetischen Hochland ?
Das Verdikt, dass er über das Christentum spricht, bekommt Epikur und bekommen die Epikureer genauso ab.
Alles was nicht den Maximen unter Absatz 2 folgt ist schlecht. Alles was mitleiden kennt, wird verdammt.
Absatz 2 ist gewissermaßen das Nietzsche Glaubensbekenntnis, sein „Vater unser..“.
Es dies ein Bekenntnis der Dummheit und zur Dummheit, denn die Fähigkeit zum Mitleiden ist die Grundlage jeder Intelligenz sozialer Tiere.
Selbst wenn man berücksichtigt, dass Nietzsche alles was wir heute über Spiegelneuronen wissen, zu seiner Zeit nicht wissen konnte, spricht trotzdem die tiefste Nacht der Unkenntnis aus dieser Sentenz:
„Was ist schädlicher als irgendein Laster? – Das Mitleiden der Tat mit allen Mißratnen und Schwachen – das Christentum...“.
Dass er „Mitleiden“ so umstandslos mit Christentum gleichsetzt, ehrt die Christen. Ob sie dieses Lob immer verdient haben, sei dahin gestellt.
Fakt ist: Unsere Fähigkeit in die Haut unserer Mitmenschen schlüpfen zu können, ist die unentbehrliche Basis jeglicher Intelligenz. Wer diese Fähigkeit in sich tötet, tötet seine Vernunft und seinen Verstand.
Weil das so ist, deswegen ist Glück auch nicht „das Gefühl davon, daß die Macht wächst“. Glück ist, wenn ich liebe und geliebt werde. Und Liebe ist, wenn ich meine Freuden und meine Freundlichkeit mit Anderen teilen kann und sie sich dadurch vermehren.
Überhaupt die Macht, sie ist ihm sein Ein und Alles:
„Was ist gut? – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht.“
Nietzsche vergisst, dass die Macht des Anderen über mich meine Ohnmacht ist.
Natürlich träumt er stattdessen von der Ohnmacht der Anderen.
Er hätte aber besser, statt zu träumen und Kant einen „Idioten“ zu nennen, dessen kategorischen Imperativ studiert. Vielleicht hätte er dann begriffen, dass in einer Gesellschaft, in der alle die Macht für sich und die Ohnmacht der Anderen wollen, am Schluss alle gleich ohnmächtig sind.
Wer selber frei sein und bleiben will, darf Sklaverei nicht dulden.
Wer Sklaverei lobpreist, wie unser angeblich großer Denker, schmiedet an seinen eigenen Ketten.
So hasst Nietzsche also den Idioten Kant und den Idioten Jesus, hasst Epikur und den „Bauer“ Luther, wir aber, Idioten von Geburt an, fühlen uns wohl in dieser ehrenwerten Gesellschaft und sind stolz darauf Idioten geheißen zu werden.